Elektro-SUV Gehört der Q6 zu den technologisch fortschrittlichen Modellen, die für den Ruf der Marke Audi stehen?
Der Slogan von Audi ist keineswegs überstrapaziert: «Vorsprung durch Technik». Der Hersteller aus Ingolstadt (D) hat sich diesen Claim redlich verdient, weil er echten Innovationsgeist gezeigt hat. Beispiele? Im März 1980 stellt Audi in Genf den Quattro vor, ein Sportcoupé mit einem neuartigen Allradantrieb. Avantgardistisch! 1994 machten die Ingolstädter Ingenieure von sich reden, als sie mit dem RS2 Avant den Trend zu leistungsstarken Familienkombis auslösten und ein Segment begründeten, das bis heute beliebt ist. Das war der Hammer! Im selben Jahr überraschte das bayerische Unternehmen ein weiteres Mal mit der Produktion der ersten Generation des A8, einem Statussymbol, bei dessen Konstruktion viel Aluminium verwendet wurde. Das war revolutionär!
Und damit kommen wir zurück zur Hauptfrage: Gehört der Q6 zu den grossen, revolutionären Audis, die es dem Unternehmen mit den Ringen ermöglicht haben, einen legitimen Anspruch auf einen Platz im exklusiven Klub der Premiumhersteller zu erheben? Wir haben es überprüft.
Optisch ist der Q6 als Mitglied der Audi-Familie klar erkennbar, auch wenn er die neuen Designcodes von Audi einführt.
Prinzipiell baut der Q6 auf der brandneuen
Premium-Elektroplattform des Volkswagen-Konzerns auf. Die PPE (Premium
Platform Electric) wurde in Zusammenarbeit mit dem Cousin Porsche
entwickelt, der sie nahezu zeitgleich in seinem Modell Macan eingeführt
hat (AR 17/2024). Das Chassis profitiert von der 800-Volt-Architektur,
einer hochmodernen Technologie, die für ein schnelles Aufladen
erforderlich ist. Der Q6 erreicht eine Ladeleistung von bis zu 270 kW.
Bei dieser Leistung dauert es theoretisch nur 22 Minuten, um die Akkus
mit 100 Kilowattstunden Speicherkapazität (Nettokapazität 94.9 kWh)
wieder von zehn auf 80 Prozent aufzuladen. «255 Kilometer können so in
nur zehn Minuten aufgeladen werden», verspricht Audi. Schliesst man den
Q6 an eine Wallbox an, sind serienmässig 11 kW Ladeleistung drin,
optional 22 kW.
Der in Ingolstadt gebaute Q6 ist in drei verschiedenen
Leistungsstufen erhältlich. Der Q6 e-tron Performance mit 240 kW
(326 PS) in der Einstiegsklasse nutzt nur die Hinterräder, um seine
Kraft zu übertragen. Der Q6 e-tron Quattro hingegen hat eine zusätzliche
Asynchronmaschine in der Front und eine Systemleistung von 285 kW
(387 PS). Der SQ6 verfügt ebenfalls über zwei Motoren und leistet 380 kW
(516 PS). Der SQ6 ist derzeit das teuerste Modell, allerdings wird bald
der RS Q6 diese Position übernehmen.
Unterschiede zum Porsche Macan
Indem Q6 e-tron Quattro und SQ6 einen Asynchronmotor
(ASM) für den Antrieb der Vorderräder einsetzen, bei dem das Magnetfeld
durch Strom erzeugt wird, verfolgt Audi einen anderen Ansatz als
Porsche. Die Zuffenhausener setzen beim Macan auf beiden Achsen
permanenterregte Synchronmotoren (PSM) ein. Der Grund für diese
mechanische Vielfalt ist einfach. Wenn er nicht unter Last steht,
erzeugt der Asynchronmotor weniger Schleppverluste und verbraucht damit
weniger Strom als ein PSM. Dafür ist der ASM weniger leistungsfähig,
allerdings auch preiswerter, weil keine teuren Magnete verbaut werden.
Überdies kommt der ASM ohne Seltene Erden aus.
Aber Leistung ist relativ, denn daran mangelt es dem
Ingolstädter SUV nicht. Von 0 auf 100 km/h beschleunigt die Version mit
Hinterradantrieb in 6.6, die Quattro-Version in 5.9 und der SQ6 in
4.3 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 210 km/h, der SQ6 darf
sogar bis Tempo 230 rennen. Das elektrische SUV profitiert vom Know-how
der beiden Marken Porsche und Audi im Bereich Fahrwerk und lässt sich
leicht bewegen. Das gilt besonders auf der Autobahn und in langgezogenen
Kurven, weniger in engen, kurvigen Abschnitten. Hier macht sich das
hohe Basisgewicht von mindestens 2.2 Tonnen bemerkbar. Und im Gegensatz
zum Macan, der auf kleinen Bergstrassen wie auf Schienen zu fahren
scheint, bietet Audi keine Hinterachslenkung an. Trotzdem muss man
sagen, dass die Federung sehr gut arbeitet, wenn es darum geht, das
Fahrzeug aufrecht zu halten, das Fahrwerk leidet nicht unter starken
Wank- oder Nickbewegungen. Die Traktion gibt keinen Anlass zur Kritik,
ganz im Gegenteil.
Sorgfältige Entwicklung
Im Innenraum gibt es nur noch wenige physische Knöpfe. Die verwendeten Materialien sind teilweise nicht so hochwertig,
wie man sie in einem Premiumauto erwarten würde. Der Innenraum ist jedoch geräumig, der Kofferraum fasst 526 Liter.
Der Verbrauch des Q6 e-tron liegt je nach Version
zwischen 16.5 und 19.6 kWh/100 km im WLTP-Zyklus. Die Audi-Entwickler
haben viel Detailarbeit in das Thema Effizienz investiert. Das Getriebe
mit seiner Trockensumpfschmierung verfügt über eine kleine elektrische
Pumpe, die die Zahnräder ölt, um Reibungsverluste zu reduzieren. Zweites
Beispiel: Dank seiner grossen elektrischen Motoren nutzt der Q6 in den
meisten Situationen – nach Angaben von Audi in 95 Prozent der Fälle –
die Rekuperation zum Abbremsen, wodurch Energie zurück in die Batterie
gespiesen wird. Das regenerative Bremsen kann über Schaltwippen am
Lenkrad eingestellt werden. Vier Rekuperationsstufen sind verfügbar bis
hin zum Modus B, der das One-Pedal-Driving selbst bei Abfahrten von
Bergpässen ermöglicht.
Bis vor einigen Jahren konnte sich Audi für hochwertige
Materialien und ausgezeichnete Verarbeitung rühmen. Beim Q4 e-tron war
das schon nicht mehr der Fall. Kann der Q6, der auf einer edleren
Plattform aufbaut, hier wieder Boden gutmachen? Leider ist dem nicht so.
Im Innenraum enttäuschen die Materialien. Bei den Türgriffen hat Audi
Kunststoffe verwendet, die in einem Auto, das sich als Premiumauto
bezeichnet, wirklich nicht angebracht sind. Dasselbe gilt für den oberen
Teil des Armaturenbretts, wo verschiedene Arten von Polymeren verwendet
wurden, um durchgehende Teile zu verbinden. Ein weiteres Problem ist,
dass ein Teil des Mitteltunnels mit Klavierlack verkleidet ist, der
schnell zerkratzt.
Ausserdem gibt es fast keine physischen Knöpfe mehr.
Stattdessen thront auf dem Armaturenbrett eine Displaykombination, die
den Bildschirmen der Konkurrenz gleicht. Der einzige Unterschied besteht
darin, dass die Displays in der Form des Audi-Singleframe-Kühlergrills
geschnitten sind. Beide Displays profitieren von der Rechenleistung der
neuen Elektronikarchitektur von Audi, E3 genannt. Diese ermöglicht es,
die Anzahl, Grösse und Auflösung der Bildschirme in den Fahrzeugen noch
weiter zu erhöhen, was auch den optionalen Bildschirm vor dem Beifahrer
oder das riesige Head-up-Display mit Augmented Reality erklärt.
Ansonsten ist das Raumgefühl an Bord wirklich angenehm. Der Kofferraum
bietet ein Ladevolumen von 526 Litern, die sich auf 1529 Liter steigern
lassen, wenn man die hintere Sitzbank abklappt. Zu diesem Stauraum
kommen noch 64 Liter im vorderen Kofferraum (Frunk) hinzu. Hier findet
zum Beispiel das Ladekabel für unterwegs seinen Platz.
Die erste Probefahrt mit dem Q6 hat einen allgemeinen
Trend bestätigt. Mit der Elektrifizierung gibt es weniger Anreize, die
stärksten Versionen zu bestellen. Zur Erklärung: In der Zeit der
Verbrennungsmotoren, als die Spitzenmodelle ihre Fahrer mit der Noblesse
ihres grösseren Hubraums belohnten, gab es einen Mehrwert, wenn man
sich für das Spitzenmodell entschied. Das ist heute nicht mehr der Fall.
Am Steuer des Q6 wird selbst der geübte Fahrer den
Unterschied in der Dynamik nicht spüren, der zwischen der
Quattro-Version und der SQ6-Variante besteht. Natürlich beschleunigt der
sportlichere SQ6 etwas kräftiger als der Q6 Quattro. Aber sind es die
1.6 Sekunden wert, die er beim Sprint von 0 auf 100 km/h schneller ist,
so viel Geld auszugeben? Der SQ6 kostet 15 000 Franken mehr als der Q6
Quattro. Das Einstiegsmodell nur mit Heckantrieb ist für 79 900 Franken
erhältlich – zu dessen Fahrleistungen lassen sich allerdings keine
Aussagen treffen, weil diese Version bei der Fahrvorstellung nicht
verfügbar war.
Das sind hohe Preise für ein Auto, das nicht das Zeug
dazu hat, sich in den Pantheon der grossen Audi-Modelle einzureihen.
Denn der Q6 kann sich nicht damit rühmen, der Technologie voraus zu
sein, wie es einige seiner Vorfahren in der Vergangenheit waren und wie
es der Marken-Claim immer noch verspricht. Vielmehr passt er einfach nur
gut in seine Zeit. Nicht mehr und nicht weniger.