Lexus LM – In der Komfortzone

Tristano Gallace | 19.10.2023

Luxus Wo V-Klasse oder Multivan aufhören, fängt der 
Lexus LM erst an. Der Luxury Mover gehört zu Europas neuer ­Nische: Gehen Sie bitte zur Seite, die VIP-Vans kommen.

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Die Formel für die neuen Grossraumfahrzeuge mit Luxusanspruch ist relativ einfach: Maximaler Federungskomfort, superbequemes Gestühl auf Erste-Klasse-Niveau, umfangreiches Info- und Entertainment bei grösster Privatsphäre. Unwesentlich zu erwähnen, dass wohl niemand seinen Luxus-Van selbst pilotieren wird. Der Sitz vorne links bleibt fürs Personal reserviert. Lexus ist dabei nicht allein. In China gönnt man sich für den alltäglichen Stadtverkehr diesen Luxus. Voyah Dreamer, Maxus Mifa 9 sind die chinesischen Konkurrenten im Segment, der neue Volvo EM90 stammt von einem Hersteller mit europäischer Tradtion (und chinesischem Unternehmensbackground).

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Feinstes Info- und Entertainment mit vollelektrischen Massagesesseln im Viersitzer, einzig die Kopfstütze wird manuell bedient. Edle Verarbeitung und Materialien, also besser keine Schoggi im Auto essen.

Der neue Lexus LM steigt in den Ring und lässt mit dem mächtigen Kühlergrill für jedermann sichtbar die Muskeln spielen. Abgeleitet ist die Schneepflug-Front von den Lexus NX- und RX-Modellen, nur eben auf Van-Dimensionen hochproportioniert, sodass die Markenzugehörigkeit zweifelsfrei erkennbar ist. Unter dem Blechkleid greift Lexus auf die modulare TNGA-K-Plattform zurück. Vorteil gegenüber der Konkurrenz aus Deutschland: Während die VW- und Mercedes-Modelle Multivan (T6.1) und V-Klasse auf Transportern basieren, kann der LM bereits auf dem Komfortniveau eines Personenwagens aufbauen. Alles wird dem maximalen Fahrkomfort untergeordnet, da mögen auch die etwas klein wirkenden 19-Zoll-Räder mit den hohen Reifen was zum Abrollkomfort beitragen.

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Die Dämpfer sind elektronisch einstellbar. Von Rear-Seat-Suspension (sehr, sehr komfortabel) bis Sport (sehr komfortabel) ist die Richtung eindeutig.

Bis zur B-Säule sind die zur Auswahl stehenden Vier- oder Siebensitz-Versionen nahezu identisch, ab der B-Säule beginnt der richtige Luxus. Zwei elektrische Seitentüren geben den Weg in den hinteren Fahrgastraum frei. In Reihe zwei finden sich zwei pompöse, vollelektrische Einzelsessel. Leider kann die dahinterliegende dritte Sitzreihe nicht mit den Verwöhnfunktionen mithalten, sie kann (oder muss) dafür eine grazile Person in ihrer Mitte aufnehmen. Bleibt dem viersitzigen Luxusmobil noch ein ausreichend grosses Gepäckabteil, kann beim Dreireiher lediglich hochkant ein Bilderrahmen mitgenommen werden. Man könnte auch die komplette Sitzreihe hochklappen, aber Lexus versteht ihn als Mover, nicht als Transportmobil.

Die erste Klasse befindet sich im Fahrzeug auf den beiden Einzelsitzen der zweiten Sitzreihe. Die Sitze sind mit unzähligen Verstellmöglichkeiten und diversen Massageprogrammen gesegnet. Eine vollständige horizontale Ausrichtung ist selbstverständlich auch möglich, man sollte beim Siebensitzer jedoch seine hinteren Mitfahrer informieren, ehe man die Blutversorgung derer Beine unterbricht. Über eine smartphonegrosse Bedieneinheit lassen sich Komforteinstellungen wie Entertainment, Beleuchtung, Rollläden an Seite und Dach, Fenster, Klimaanlage und Bildschirm steuern. Wer es klassisch mag, kann aber auch die kleinen Kippschalter und Drehknöpfe an Sitz- und Dachkonsole verwenden.

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Hinten etwas enger Siebensitzer.

Aus dem Dach klappt beim Siebensitzer ein 14-Zoll-Bildschirm elegant herab. Beim Viersitzer hingegen wird der Pilot durch eine Trennwand von den hinteren Insassen abgekoppelt. In diese Wand ist ein 48-Zoll-Breitbildschirm eingelassen, darüber ein in der Transparenz dimmbares und versenkbares Fenster. Ebenfalls in der Trennwand verbaut ist der Clima-Concierge. Wärmekameras und Luftqualitätssensoren messen ständig die Oberflächentemperaturen der Passagiere und die Luftpartikel im Innenraum. Damit wird über unterschiedlichen Klimazonen die Temperatur angepasst und mittels feinster Wasserpartikel für saubere und gesunde Luft gesorgt. Maximalen Luxus gibts aber auch fürs Ohr. Die Soundanlage verwöhnt die Insassen mit bis zu 23 Lautsprechern und liefert 3-D-Kinosound oder sorgt für Konzertqualität.

Nahezu perfekter Gleiter

Auf den ersten Metern fährt sich der Lexus LM trotz der opulenten Ausmasse leichtfüssig und sehr geschmeidig. Das liegt an der Personenwagen­architektur und ihrer hochkomfortablen Abstimmung, die sich auf Fahrer und Fahrweise überträgt. Überraschenderweise hat Lexus auf eine Luftfederung verzichtet und mit Erfolg auf eine supersofte Schraubenfederung gesetzt. Ausserdem haben sich die Lexus-Ingenieure für den Innenraum die Technik von Active-Noise-Cancelling-Kopfhörern als Beispiel genommen. Über Mikrofone werden Schallfrequenzen gesammelt, analysiert und über die Lautsprecher im Innenraum Frequenzen erzeugt, welche die störenden Schallwellen eliminieren. Was kompliziert klingt, lässt sich ganz einfach erleben: Einen Moment der Stille im LM geniessen – und dann die Seitenscheibe öffnen. So kommen alle Geräusche herein, die zuvor aktiv unterdrückt wurden. Der Unterschied ist enorm.

Ein gewöhnungsbedürftiges Detail ist der Innenspiegel. Mittels Kamera am Fahrzeugheck wird ein blendfreies Bild übertragen, das in Neigung, Höhe und Bildwinkel angepasst werden kann. Über kurz oder lang werden Kameras Aussen- und Innenspiegel wohl ablösen, doch kann das menschliche Auge Tiefen und Abstände auf einem Spiegel besser wahrnehmen als diese im Bruchteil einer Sekunde auf einem Bildschirm zu interpretieren.

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Eine Fahrpräsentation, bei der niemand fahren wollte, sondern alle auf die hinteren Plätze drängten. Die von aussen nahezu undurchsichtige Verglasung schützt vor neugierigen Blicken.

Der Antrieb ist wahrlich keine Rakete, erledigt im Zusammenspiel mit dem stufenlosen Getriebe das souveräne Dahingleiten jedoch nahezu perfekt. Nicht nur verbrennerlos bei rein elektrischer Fahrt, sondern auch dann, wenn der Benziner das Fahrzeug direkt antreibt. Der grosse Hubraum und der Verzicht auf Turboaufladung sorgen für lineare Beschleunigung schon ab niedrigen Drehzahlen. Die Laufruhe und die geringen Vibrationen lassen an einen V6 denken, der Tritt aufs Pedal und die ausbleibende Leistung schaffen aber rasch Klarheit – es ist ein Reihenvierzylinder. Werden Bodenwellen über der Vorderachse noch wahrgenommen, verblassen diese auf der Hinterachse in den unendlichen Tiefen von Federung und Dämpfung.

Das Design zieht die Blicke der Passanten auf sich und polarisiert stark. Den LM mag man – oder man mag ihn nicht. Allerdings wird es angesichts der wenigen für die Schweiz geplanten Exemplare nur selten Gelegenheit zu Diskussionen geben. Hotellerie und Chauffeurunternehmen dürften die Hauptzielgruppe sein, die vom Hersteller auch gern als Kunden aufgeführten Familien muss man wohl ausklammern. Weder mit dem spärlichen Kofferraum noch mit dem hohen Einstiegspreis ab rund 150 000 Franken werden Familienväter ihre Liebsten beeindrucken können. Da können die Kinder von den Bildschirmen noch so schwärmen. Vielmehr bildet der Flughafentransfer sehr wichtiger Personen das ideale Betätigungsfeld des Fahrzeugs. Bald werden manche davon Ende Januar wieder am WEF in Davos anzutreffen sein. VIP auf jeden Fall, vielleicht aber auch schon der eine oder andere Lexus LM.

Fotos: Lexus

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