Der Mercedes-AMG E 63 ist Geschichte. Künftig markiert der E 53 die Spitze bei den E-Klassen, womit ein Reihensechszylinder-Plug-in-Hybrid an die Stelle des Biturbo-V8 tritt. Deshalb hat Mercedes-AMG ihn bis zu 612 PS gleich auf das Leistungsniveau des alten Topmodells gehoben. Damit jetzt niemand enttäuscht ist und meint, so eine Zwitterlösung könne ja sowieso nichts sein, nehmen wir das Fazit gleich vorweg: Das funktioniert ganz famos.
Mercedes-AMG E 53 - V8-Ersatz im Test
Moritz Doka | 19.06.2024
Ab sofort markiert der E 53 das Topmodell unter den sportlichen E-Klassen. Kann ein Sechszylinder-PHEV wirklich den urigen V8 ersetzen? Wir finden es im ersten Test heraus!
Kein Hybrid wie beim C 63 S
Dafür musste AMG den Antriebsstrang umstricken. Der Dreiliter- Reihensechszylinder bekam einen neuen Turbolader, mehr Ladedruck, eine überarbeitete Motorsoftware und zwei zusätzliche Kühler eingepflanzt. So liegen 330 kW (449 PS) und 560 Nm Drehmoment an. Der Clou liegt im Elektromotor, der den thermischen Kollegen unterstützt. Damit werden nun 430 kW (585 PS) Systemleistung und 750 Nm Systemdrehmoment in den Antrieb gepumpt. Bei aktivierter Launch-Control – AMG sagt dazu Race-Start – sind es dann die besagten 450 kW (612 PS).
Dabei unterscheidet sich die Herangehensweise zum C 63 S. Auch der setzt auf ein Hybridsystem, allerdings mit kleiner Batterie und ausgelegt auf maximale Performance. Der E 53 schleppt unter dem Kofferraumboden einen 28.6-kWh-Akku mit, der in der Realität für rund 80 Kilometer elektrische Reichweite langt. Gegen Aufpreis kann er sogar an der Gleichstromsäule mit bis zu 60 kW aufgeladen werden, was ruhig serienmässig hätte gehen dürfen. Damit hat man für die meisten Alltagsfahrten quasi ein Elektroauto.
In den Kofferraum des AMG E 53 Hybrid T-Modell passen zwischen 460 und 1675 Liter Gepäck.
Die Voraussetzungen sind also erfüllt, um sowohl die Alltags- als auch die Sportfraktion zufriedenzustellen. Eine Spreizung, die der alte E 53 bestens beherrschte. Nun kann die Kundschaft die Differenzierung in die eine oder andere Richtung bereits im Konfigurator vornehmen. Denn mit der Rolle des Topmodells geht auch eine Flut an Sportextras einher, die dem 53er bisher teils verwehrt geblieben sind. Allem voran das Dynamic-Plus-Paket. Es enthält eine Performance-Bremsanlage mit Sechskolben-Sätteln und grösseren Scheiben, aktive Motorlager und ein Hinterachs-Sperrdifferenzial.
Auch die Aussenwirkung kann in Richtung martialisch oder edel getrimmt werden. Mit vielen Kreuzen im Konfigurator und noch mehr Geld lässt sich der E 53 mit dunkel verchromten und glanzschwarzen Zierelementen, Karbon-Anbauteilen und Felgen in bis zu 21 Zoll ausrüsten. Klar, die Kotflügelverbreiterungen von elf Millimetern pro Seite und die gefrässigen Schürzen fallen auch einem Laien ins Auge. Und ob die Beleuchtungen für den Kühlergrill und die Türgriffe wirklich sein mussten, lassen wir einmal dahingestellt. Mit Chromzierteilen und blauer Lackfarbe wie bei unserem Test-Kombi ist man aber dennoch vergleichsweise zurückhaltend angezogen.
Genauso kann man auch unterwegs sein, wenn der Komfortmodus aktiviert ist. Praktisch unmerklich wechselt der Antrieb zwischen Verbrenner und Elektro. Läuft der Benziner, ist kaum mehr als ein leises Grummeln zu vernehmen. Eine gewisse Grundstraffheit ist dem Stahlfederfahrwerk schon anzumerken, alles andere hätte uns in einem AMG auch enttäuscht. Selbst mit 21-Zoll-Rädern rollt es aber nicht zu harsch ab. Wir empfehlen in jedem Fall die Performance Sitze mit integrierten Kopfstützen. Das elektrisch einstellbare, auf Wunsch beheizte und gekühlte Gestühl ist eine nahezu perfekte Mischung aus Seitenhalt und Komfort. Auch nach vier Stunden ausgiebiger Testfahrt hatten wir keine Ermüdungserscheinungen.
Und dann die Autobahngüte. Man merkt, dass dieses Auto in einem Land ohne Tempolimits entwickelt wurde. 240 km/h fühlen sich eher nach der Hälfte an, Geradeauslauf und Spurtreue sind erstklassig. Wind- und Reifenabrollgeräusche wären auch für eine S-Klasse nicht zu hoch.
Detailschwächen im Cockpit
Da bleibt Zeit für einen kritischen Blick aufs Cockpit. Leder, Karbon, Mikrofaser, alles fein. Aber: Der Superscreen lässt sich an den freistehenden Ecken unter lautem Knarzen erschreckend weit durchbiegen. Beim weiteren Anfassen entpuppt sich das vermeintliche Metall an Lüftungsdüsen und Türtafeln als recht günstig wirkendes Plastik. Metall sieht man dafür grossflächig am unverkleideten Kofferraumhimmel in der Limousine. Liebe Mercedes-Leute, das ging auch schon besser.
Er fährt wie ein AMG muss!
Vor uns tut sich eine kurvige Bergstrasse auf. Also beide Hände wieder ans Lenkrad, am Bediensatelliten den Fahrmodus auf Sport+ gestellt, und der Benz wechselt zur dunklen Seite der Macht. Unterstützt vom Drehmoment des Elektromotors schiebt der Kombi ansatzlos voran. Das feinnervige Fahrwerk pariert den welligen Bodenbelag mit Bravour, bringt die Fuhre nie aus der Ruhe. Ja, das Teil wiegt mit Vollausstattung leer rund 2.5 Tonnen. Deswegen spendiert AMG dem 53er ab Werk eine Hinterachslenkung, die das Gewicht in Kurven verflucht gut kaschiert. Zusammen mit der direkten Lenkung scheint locker eine halbe Tonne flöten zu gehen, wobei ein grosser Teil des Verdienstes auf das Konto der Michelin-Sportreifen geht.
Geradeaus geht der E 53 Hybrid verflucht gut, um Kurven genauso.
Auch die lassen sich überlisten. Einfach das ESP ausschalten, in Kurven beherzt auf den Pinsel latschen – und das Heck kommt wunderbar quer. Je härter man ihn rannimmt, desto mehr gibt er einem zurück. Es ist schon erschreckend, wie wandelbar der E 53 ist. Ja, der Sound ist nicht mehr der Gleiche wie einst im 63er. Und er klingt nicht nach aussen, sondern praktisch ausschliesslich nach innen. Hier dafür aber mechanisch und echt, solange man auf den künstlichen Performance-Sound verzichtet.
Hybridsystem als zweischneidiges Schwert
Zwei Mankos gibt es, und beide haben mit dem Hybridsystem zu tun. Erstens die Bremse, die zwar standfest ist, aber mit einem diffusen Pedalgefühl irritiert. Das weiss auch Mercedes-AMG und nennt auf Nachfrage die besonders komplizierte Abstimmung bei PHEV-Bremsen als Grund. Denn die Verzögerung geschieht für den Fahrer unmerklich im Wechsel zwischen Reibbremse und Rekuperation, was sich negativ im Pedalgefühl niederschlägt. Zweitens macht das Konzept Plug-in-Hybrid nur dann Sinn, wenn man ihn überall und also auch zu Hause aufladen kann. Das dürfte für viele den Umstieg auf den E 53 erschweren, weil nicht alle eine Wallbox installieren wollen oder können.
Kein E 63-Ersatz, aber...
Kann der E 53 Hybrid den E 63 ersetzen? Nein, das verunmöglicht schon das Konzept, und auch die Emotionen sind zusammen mit dem Sound ein Stück weit verloren gegangen. Vielleicht muss man ihn als Upgrade zum alten E 53 verstehen. Am Ende, und das ist das Wichtigste, fährt er sich noch immer wie ein echter AMG, wenn man ihn kitzelt. Viel mehr als eine Einstiegsdroge – die Mischung machts.
Fotos: Mercedes-AMG
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