G bleibt Geländewagen

Arnold R. Pulfer | 16.05.2024

E-volution Mercedes hat die aktuelle G-Klasse überarbeitet, ohne dass man viel davon sieht. Unter dem Blech tat sich umso mehr, der G ist nun auch als Elektroversion zu haben.

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Sie wissen ganz genau, was sie an der G-Klasse haben, bei Mercedes-Benz. Ein absolutes Kultobjekt, das sich zum Lifestyle-Accessoire mauserte – und folglich auch fast ausschliesslich als solches genutzt wird. Ins harte, schmutzige Gelände wird kaum mehr ein G ausgeführt. Stattdessen flaniert der Geländewagen gekonnt auf den Boulevards der grossen Städte.

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Äusserlich sieht man der elektrischen G-Klasse ihren Antrieb kaum an.

Das könnte der Hersteller zum Anlass nehmen, die Ikone etwas aufzuweichen. Warum die Technik nicht etwas näher an die herkömmlicher SUV angleichen, damit viel Aufwand sparen und den Kunden dadurch sogar noch mehr Fahrkomfort auf der Strasse bieten? Die vielleicht eingebüsste Offroadfähigkeit würden viele Fahrer wohl überhaupt nicht vermissen. Aber nichts da. Trotz feinen Lederpolsters und grosser Screens bleibt die G-Klasse ein echter Geländewagen, der seinem Rückgrat, dem robusten Leiterrahmen, seit 1979 weiterhin treu bleibt.

Kleine und grosse Änderungen

Für das neue Modelljahr haben die Schwaben den in Graz (A) gebauten Offroader überarbeitet. Und es zeichnet sich ab, dass sich der 2018 erstmals ernsthaft erneuerte G wie der bis dahin fast 40 Jahre lang gebaute Vorgänger ganz behutsam weiterentwickeln darf. So wurde das Infotainment auf den neusten Stand gebracht und kann nun auch per Touchscreen bedient werden. Erstmals ver- und entriegelt die G-Klasse ihre schweren Türen, die mit ikonisch sattem Knall ins Schloss fallen, auch schlüssellos. Feine Retuschen um den Frontscheibenrahmen sorgen für etwas weniger Luftwiderstand, sind aber von Auge erst auf den zweiten Blick zu erkennen.

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Offroad ist der Stromer sogar noch besser als der Verbrenner. Aber im Gelände werden die häufig als Lifestyle-Laster dienenden G-Klassen ja selten bewegt.

Grosse Änderungen gab es dafür beim Antriebsportfolio. Hier sind nun alle Modelle elektrifiziert. Ein integrierter Starter-Generator kann bei den Verbrennern bis zu 200 Nm und 15 kW (20 PS) beisteuern. Den Einstieg bildet der G 450 d mit Reihensechszylinder-Diesel. Er leistet 270 kW (367 PS) und vor allem 750 Nm Drehmoment schon ab 1350 U/min. Darüber ist der G 500 platziert. Hier kam bisher ein V8 zum Einsatz, der jetzt einem Reihensechszylinder-Benziner weichen muss. Das allgegenwärtige Downsizing macht eben auch vor einer G-Klasse nicht halt. Mit 330 kW (449 PS) bietet die Dreiliter-Maschine zwar etwas mehr Leistung als der bisherige Vierliter-V8, mit 560 Nm fehlen dem G 500 aber 50 Nm im Vergleich zum Vorgänger. Unter den Sechszylindern stellt der Diesel daher die souveränere Lösung dar.

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Topmodell bei den Verbrennern ist weiterhin der G 63 AMG. Der Vierliter-V8 leistet 430 kW (585 PS) und beschleunigt die fahrende Schrankwand in 4.4 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Über den Verbrauch reden wir besser nicht.

Wer weiterhin einen V8 will, wird von AMG bedient. Hier machen 430 kW (585 PS) und 850 Nm dem Geländewagen Beine, untermalt vom typisch kernigen Sound. Optional ist für den AMG ein neues Fahrwerk mit hydraulischer Verbindung der Dämpfer anstelle herkömmlicher Stabilisatoren verfügbar. Das erlaubt eine breitere Spreizung zwischen Komfort und Offroadtauglichkeit und macht den G darüber hinaus agiler, womit Schotterpassagen im Rallyestil genommen werden können. ­Eine elektronisch geregelte Sperre an der Hinterachse unterstreicht diese Agilität. Zudem erlaubt die Elektronik im AMG auch simulierte Sperren über die Bremse. Was selbstverständlich bei allen Verbrennerversionen bleibt: Starrachse hinten, drei Differenzialsperren und Untersetzung für den Geländeeinsatz.

G unter Strom

Die grösste Neuerung im Rahmen der Modellpflege ist ohne Zweifel der G 580 mit EQ-Technologie. Oder anders gesagt: die erste G-Klasse mit E-Antrieb. Auch hier hat Mercedes gigantischen Aufwand betrieben, um nicht bloss ein weiteres E-SUV, sondern einen echten, elektrischen Geländewagen zu konstruieren. Auch die Elektrovariante vertraut auf einen Leiterrahmen. Dieser wurde um zwei Querstreben erleichtert, um Platz für den Akku zu schaffen, der zwischen den Längsträgern platziert wurde. Das doppelstöckige Paket aus 216 Zellen ist eine Neukonstruktion eigens für die G-Klasse. Nur so war es möglich, die Batterie in den Rahmen zu integrieren.

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Der Akku speichert nicht nur 116 kWh nutzbare Energie, er trägt auch zur Stabilität des Rahmens bei. Eine wasserdichte Verpackung und ein Unterbodenschutz in Form einer 2.6 Millimeter dicken Platte aus Karbonverbundstoff sind inklusive. Diese Platte wiegt nur rund 56 Kilogramm, widersteht aber auch härtesten Schlägen. «In der Erprobung springen wir damit sogar auf Steine», erklärt Bernd Bodner, Entwicklungsleiter für das Hochvoltsystem. Der Unterbodenschutz soll das Drei- bis Vierfache des Fahrzeuggewichts auf der Fläche einer Getränkeflasche aushalten, sagt er stolz.

Vier Motoren und eine neue Achse

Angetrieben wird der elektrische Geländewagen von vier E-Maschinen, die am Rahmen und nicht direkt an den Radnaben platziert sind. Jeder Motor verfügt über ein eigenes Zweigang-Getriebe, sodass sich fürs harte Gelände eine Untersetzung zuschalten lässt. Die Vorderachse koppelt sich auf der Strasse je nach Situation automatisch ab. «Damit gewinnen wir fünf bis sechs Prozent an Effizienz», erklärt Bodner. Schliesslich sei die Form der G-Klasse nicht gerade optimal, was die Aerodynamik angehe. «Da müssen wir die Effizienz an anderen Orten gewinnen.» Die Motoren sind an Vorder- und Hinterachse identisch und ebenfalls eigens für den G entwickelt. Vorne übernimmt der Stromer die Einzelradaufhängung der Verbrennermodelle, hinten kommt anstelle der konventionellen Starrachse eine De-Dion-Konstruktion zum Einsatz. So werden Antrieb und Achse getrennt, und es entsteht Raum für die beiden E-Maschinen.

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Der grosse Akku und die komplexe Technik machen die ohnehin schon schwere G-Klasse natürlich nicht leichter: 3085 Kilogramm Leergewicht gibt Mercedes-Benz an. Auf der Strasse fällt das hohe Gewicht nicht negativ auf, im Gegenteil. Durch den tiefen Schwerpunkt halten sich Wank- und Nickbewegungen in Grenzen, Federn und Dämpfer sprechen fein an. Und mit 1164 Nm Maximaldrehmoment wirkt der Stromer beim Beschleunigen sehr flink. Wer will, kann sich einen künstlichen Sound, der das Brummeln eines V8 aufgreift, ohne lächerlich zu wirken, einspielen. Auf Landstrassen sinkt der Verbrauch unter 30 kWh/100 km, womit die WLTP-Reichweite von bis zu 474 Kilometern in greifbare Nähe rückt.

Souverän im Gelände

Und was kann die elektrische G-Klasse im harten Offroadeinsatz? Hier lässt der Stromer die Verbrennergeschwister fast schon alt aussehen. Die Wattiefe ist mit 85 Zentimetern sogar um 15 Zentimeter erhöht, die übrigen Standard-Geländemasse sind identisch, auch die maximale Steigfähigkeit von 100 Prozent. Der grosse Unterschied: Der Stromer meistert Kletterpassagen deutlich souveräner. Ohne Antriebsgeräusche und mit verblüffender Traktion, da jedes Rad einzeln geregelt wird. Das kommt besonders zur Geltung, wenn das automatische Crawl-Programm arbeitet, quasi ein Tempomat fürs Gelände. In engen Kehren blockiert G-Steering das kurveninnere Hinterrad und ermöglicht einen deutlich engeren Wendekreis. Oder man lässt den G per G-Turn auf der Stelle drehen. Das kann im Gelände nützlich sein – oder ist einfach ein sehr gelungener Partytrick. Denn die G-Klasse ist eben auch mit E-Antrieb nicht nur Offroader, sondern auch Accessoire. 

Das Interieur wurde im Zuge der Modellpflege nur leicht überarbeitet. Neu ist unter anderem die Touchfunktionalität für 
das Infotainmentsystem. Allerlei Offroad-Helferlein sind für die G-Klasse selbstverständlich, auch für die elektrische.

Fotos: Mercedes-Benz

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