Mutiger Schritt

Olivier Derard | 25.04.2024

Elektro-SUV Porsche geht ein gewisses Risiko ein, indem der Hersteller eines seiner 
bestverkauften Modelle, den Macan, nur noch mit Elektroantrieb auf den Markt bringt.

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Das Temperament des Macan ist wie sein Stil sportlich – trotz seines Gewichts von 2.4 Tonnen.

Mit weltweit 87 355 verkauften Exemplaren verpasste der Macan im vergangenen Jahr nur knapp den Titel des Topsellers im Porsche-Portfolio. Um gerade einmal 198 Einheiten landete er hinter dem grösseren SUV Cayenne auf Rang zwei. Und das am Ende eines zehnjährigen Modellzyklus, zu einem Zeitpunkt also, zu dem gewöhnlich die Verkaufszahlen erodieren. Das Mittelklasse-SUV stellte damit unter Beweis, wie wichtig es für die Porsche-Bilanz ist. Deshalb geht der deutsche Hersteller tatsächlich ein Risiko ein mit der Lancierung der zweiten Generation. Diese gibt es nämlich nicht mehr mit Verbrennungs­motor, sondern ausschliesslich als batterieelektrisches Fahrzeug.

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Stil und Form der Frontscheinwerfer sind eine direkte Anspielung auf den Taycan. Die Aerodynamik wurde verbessert.

Der Macan der zweiten Generation ist der erste Porsche – und zusammen mit dem Audi Q6 e-tron das erste Fahrzeug des Volkswagen-Konzerns –, der die neue Premium Platform Electric (PPE) nutzt. Diese Plattform wurde in Zusammenarbeit zwischen Audi und Porsche entwickelt (s. Seite 14). Die PPE baut auf einer 800-Volt-Architektur auf und nutzt die neuste Generation von Permanentmagnet-Synchronmaschinen. Das Einstiegsmodell Macan 4 hat eine Dauerleistung von 285 kW (387 PS), der Macan Turbo bringt 430 kW (584 PS) auf die Strasse. Bei eingeschalteter Launch-Control können diese Werte vorübergehend angehoben werden, im Macan 4 auf bis zu 300 kW (408 PS) und im Macan Turbo auf bis zu 470 kW (639 PS). Das maximale Drehmoment beträgt 650 Nm im Macan 4, im Turbo sind es 1130 Nm.

Rund 600 Kilometer Reichweite

Die Motoren haben einen hohen Wirkungsgrad, wie die vom Werk angegebenen Verbrauchswerte nach WLTP nahelegen. Der Verbrauch liegt bei 17.9 kWh/100 km für den Macan 4 und für den Turbo bei 18.8 kWh/100 km. Die Energie liefert in beiden Modellen die gleiche Batterie mit ­einer Nettokapazität von 95 Kilowattstunden. Damit liegt die theoretische Reichweite des Macan 4 bei 613 und die des Turbo bei 591 Kilometern. An einer DC-Schnellladestation lässt sich unterwegs die Energie für die nächste Reiseetappe sehr schnell nachladen: Mit Gleichstrom lädt der Macan mit bis zu 270 kW Ladeleistung, sodass die Batterie in 21 Minuten von zehn auf 80 Prozent gefüllt wird. Das Aufladen mit Wechselstrom an der heimischen Wallbox oder an einer AC-Ladesäule dauert bei ­einer Leistung von 11 kW etwa zehn Stunden.

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Der neue Macan hat in seinen Aussendimensionen überall leicht zugelegt. Er wuchs um 5.8 Zentimeter auf eine Gesamtlänge von 4.78 Metern, ist 1.94 Meter breit (+1.1 cm) und 1.62 Meter hoch (+1.6 cm). Der Radstand wuchs um 8.6 Zentimeter auf neu 2.89 Meter, was sich positiv auf das Platzangebot auswirkt. Das dynamische Styling orientiert sich stark am Taycan, insbesondere bei den Frontscheinwerfern. Wie die Elektrolimousine hat auch das SUV keinen Kühlergrill. Es gibt jedoch einige Öffnungen unter den Scheinwerfern und im unteren Teil des Stossfängers. Sie dienen der Kühlung der Batterie und der elektrischen Motoren, sorgen aber auch für einen Hauch von Aggressivität. Die Heckklappe verläuft schräg und verleiht dem SUV ein coupéhaftes Aussehen.

Zwei grosse Bildschirme

Der Zugang zum Innenraum erfolgt über die nun rahmenlosen Türen. Der Innenraum zeigt ein ähnliches Ambiente wie im Taycan. Das Kombiinstrument ist sehr ähnlich, da es dieselbe ovale, geschwungene Form hat. Es misst 12.6 Zoll und arbeitet mit einem 10.9-Zoll-Infotainmentsystem zusammen. Das System läuft unter Android, der Software von Google, nutzt aber auch Computertechnologien des Volkswagen-Konzerns. Es lässt sich per Sprache und Touchscreen bedienen. Schalter und Knöpfe sind im Macan ziemlich rar. Glücklicherweise gibt es aber immer noch welche, insbesondere für die Klimaanlage. Als Draufgabe zur serienmässigen Bildschirmflut gibt es optional ­einen dritten Monitor in einer Grösse von 10.9 Zoll für den Beifahrer. Das ebenfalls optionale Head-up-Display profitiert von Augmented Reality.

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Die Material- und Verarbeitungsqualität ist recht gut, da Porsche oftmals Spannleder verwendet. Trotzdem kommt auch reichlich Kunststoff zum Einsatz. Dessen Qualität ist zwar gut, aber edlere Materialien wie Metall oder Holz wären dennoch wünschenswert. Die Sitzposition am Lenkrad ist hervorragend, da der Sitz tief positioniert werden kann, 28 Millimeter tiefer als beim vorherigen Macan. So bilden die Knie des Fahrers einen offenen Winkel. Hinten jedoch verringert der Platz, den die Batterie im Boden einnimmt, die Tiefe des Fussraums, was dazu führt, dass die Passagiere die Knie hochziehen müssen. Glücklicherweise sorgt der grössere Radstand für ausreichend Beinfreiheit. Das Kofferraumvolumen wird für den Macan 4 mit 540 Litern angegeben und ist damit grösser als bei der vorherigen Generation mit 488 Litern. Im neuen Turbo muss man allerdings mit 480 Litern auskommen. Wenn die Sitze umgeklappt sind, ist die Ladefläche eben. Vorne gibt es einen Frunk, der 84 Liter fasst. Um an diesen kleinen Raum zu gelangen, entriegelt man die Motorhaube, indem man die Hand vor das Frontlogo hält. Die Fernbedienung kann ebenfalls verwendet werden. Der Frunk bietet sich als praktischer und leicht zugänglicher Aufbewahrungsort für das Ladekabel an.

Fahren wie auf Schienen

«Mit dem rein elektrischen Macan wollen wir das sportlichste Modell in seinem Segment anbieten», erklärt Jörg Kerner, Leiter der Macan-Baureihe. Auf der Strasse bedeutet dies, dass der Macan 4 in 5.2 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigt, der Macan Turbo in 3.3 Sekunden. Seine Höchstgeschwindigkeit erreicht der Macan 4 bei 220 km/h, der Turbo schiebt bis 260 km/h an. Das Porsche-SUV hat dabei eine ganze Menge an Masse zu bewegen. 2405 Kilogramm Leergewicht sind es beim Macan 4, beim Turbo sogar noch einmal 75 Kilogramm mehr. Trotzdem lässt sich der Macan souverän durch Kurven bewegen, seine Räder scheinen wie auf Schienen zu fahren. Bei gemässigter Fahrweise kommt die Kraft ausschliesslich von der Hinterachse, was dem Macan das Temperament eines Hecktrieblers verleiht. Aber die Vorderachse ist immer bereit, den Zug zu übernehmen, wenn es nötig ist.

Es gibt die vier Fahrmodi Normal, Sport, Sport Plus und Offroad. Diese ändern die Härte der aktiven Federung und die Lage der Karosserie, wobei der Macan im Sport-Modus um 30 Millimeter tiefer und im Offroad-Modus um 40 Millimeter höher liegt. Neben der Bremswirkung der Elektromotoren während der Rekuperation bietet der Macan auch einen Freilaufmodus an, um die erreichte Geschwindigkeit möglichst lange im Segelmodus zu nutzen. Aber es gibt keine Lenkradwippe, mit der man die Bremswirkung modulieren könnte, alles läuft also über das Bremspedal. «Die regenerative Bremsung im Macan ist mit bis zu 240 Kilowatt sehr hoch und ermöglicht die Rückgewinnung der gesamten kinetischen Energie über das Bremspedal, wodurch die Schaltwippen überflüssig werden. In der Vergangenheit konnte bei Vollbremsungen nicht die gesamte Energie zurückgewonnen werden, weshalb es in anderen Fahrzeugen Schaltwippen gab», erklärt Jörg Kerner. Ein wenig enttäuschend ist die Klangkulisse. Obwohl das Fahrzeug über einen Porsche-Electric-Sport-Sound verfügt, ist der Antriebston aus der sonst hervorragenden Audioanlage nicht berauschend.

Der neue Macan profitiert nicht von einem so verlockenden Einstiegspreis wie sein Vorgänger, mit 95 800 Franken ist das SUV rund 15 000 Franken teurer. «Neuste Technologien und eine deutlich umfangreichere Serienausstattung als beim Vorgänger erklären den Preis des neuen Modells», versucht Kerner den Aufschlag von fast 20 Prozent zu rechtfertigen. Tatsächlich hat es Porsche wie viele andere Hersteller nicht geschafft, den Preis für seine hervorragende Elektrotechnik mit dem für seine nicht minder gute Verbrennungstechnik in Einklang zu bringen. Dennoch ist man in Zuffenhausen zuversichtlich, dass das Elektro-SUV einen neuen Kundenkreis erschliessen kann. Das Risiko scheint also doch begrenzt zu sein. 

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Ende für den Verbrenner

Das alte Macan-Modell mit Verbrennungsmotor darf ab 1. Juli 2024 in den meisten Ländern des alten Kontinents aus rechtlichen Gründen nicht mehr verkauft werden, weil die Plattform des Fahrzeugs nicht der EU-Strassensicherheitsrichtlinie (General Safety Regulation) entspricht, insbesondere im Hinblick auf die Cybersicherheit. Eine Umrüstung der alten Plattform auf die neue Richtlinie sei zu teuer gewesen, erklärt Porsche. Der Macan ist kein Einzelfall, alle Modelle, die die Anforderungen nicht erfüllen, werden vom Verkauf ausgeschlossen. Daher wurde bereits damit begonnen, die Vermarktung des Macan mit Verbrennungsmotor in den EU-Ländern einzustellen. In Regionen, in denen die EU-Gesetzgebung nicht gilt, was unter anderem auf die Schweiz zutrifft, kann der Macan mit Verbrennungsmotor jedoch weiterhin verkauft werden. Dennoch wird Porsche ab Juli den Import seines SUV einstellen. Das bedeutet, dass die Kunden ihr Fahrzeug nicht mehr nach Wunsch konfigurieren können, sondern auf Lagerfahrzeuge zurückgreifen müssen. «Die Schweizer Porsche-Zentren werden weiterhin eine grosse Auswahl an Fahrzeugen auf Lager haben», versichert Porsche Schweiz.

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