Renault Scenic – der Name lebt weiter

Ramon Egger | 18.01.2024

Öko Nach dem Megane hat Renault jetzt auch den Scenic zum Elektro-Crossover umgebaut. Geblieben ist ausser dem Namen nicht viel. Schlecht ist das nicht.

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Bei Renault pflegt man alte Namen. Neben den Neuauflagen verstorbener Ikonen wie Twingo und Renault 5, die schon bald auf den Markt kommen werden, betrifft dies auch noch lebende Grössen. Vor zwei Jahren wurde der Megane nach über 25 Jahren Modellgeschichte vom Kompaktwagen zum elektrischen Crossover. Derselben Transformation unterziehen die Franzosen jetzt auch den Scenic. 27 Jahre, vier Generationen und über 5.3 Millionen verkaufte Exemplare – dies die Erfolgsgeschichte des Scenic. Immer war er ein Monospace, ein Kompaktvan. Damit ist jetzt Schluss, auch der Scenic wird zum elektrischen Crossover. Der Name lebt weiter. Der Van nicht.

Trotz neuer Karosserieform und neuen Antriebs soll der neue Scenic voll familientauglich sein. Sieben Sitze gibt es aber nicht mehr, so viel gleich vorweg. Platz für eine vier- oder fünfköpfige Familie hat es dennoch, und weil Familien auch in die Ferien fahren, muss die Reichweite passen. 620 Kilometer nach WLTP verspricht Renault. Dafür sorgen eine 87-kWh-Batterie im Unterboden und ein tiefer Verbrauch von 16.8 kWh/100 km. In einer ersten Testfahrt mit dem neuen Modell kam der Verbrauch etwas höher zu liegen, die Reichweite dürfte damit realistisch rund 400 Kilometer betragen. Auch das ist noch grosszügig. Die maximale Ladeleistung hat Renault im Vergleich zum Megane leicht auf 150 kW angehoben. Allerdings, so betont man, sei die Spitzenleistung nicht das Entscheidende. Während des Ladens von 15 auf 80 Prozent könne man durchschnittlich 110 kW halten, was wertvoller sei als eine höhere Spitze, die aber nur kurz erreicht werde. Stimmt natürlich.

Kommt dazu, dass 80 Prozent Ladung bei über 600 Kilometern Reichweite mehr wert sind als bei der Konkurrenz, die deutlich weniger Reichweite schafft. Oder umgekehrt: Der Scenic lädt in einer halbstündigen Pause genügend Strom nach für 200 Kilometer Autobahn, 300 Kilometer nach WLTP-Norm oder 400 Kilometer im Stadtzyklus. Dazu gibt es serienmässig ­einen Onboard-Charger mit 22 kW Wechselstromladeleistung, was auch keine Selbstverständlichkeit ist, die Konkurrenz beschränkt sich hier grösstenteils auf höchstens elf Kilowatt. Serie sind auch eine Wärmepumpe, welche die Reichweite bei kalten Temperaturen noch verbessert, sowie die Vorkonditionierung der Batterie auf Idealtemperatur vor dem Lade­vorgang. Die Plattform teilt sich der Scenic grösstenteils mit dem Renault Megane, was auch bedeutet, dass es für den Scenic keinen Allradantrieb geben wird. Motor und Getriebe befinden sich ganz konventionell vorne unter der Motorhaube.

Mehr als Leistung


Die Batterie fällt im Vergleich zum Megane noch einmal flacher aus und misst in der Dicke bloss noch 14 Zentimeter. Das ermöglicht eine niedrige Fahrzeughöhe – was die Aerodynamik verbessert. Mit einer Höhe von 1.57 Metern hat der neue Scenic mit einem klassischen Minivan tatsächlich nichts mehr zu tun. Und die flache Batterie verbessert das Platzangebot im Innenraum, genauso auch das neu entwickelte Glasdach, das auf Knopfdruck von transparent auf einen Milchglas-Effekt umschalten kann. Das spare nicht nur Bauhöhe gegenüber einem konventionellen Rollo, sondern soll erst noch leichter sein. Bis zu acht Kilogramm Gewichtseinsparung verspricht Renault. Produziert wird das Dach vom Glasspezialisten Saint-Gobain in Frankreich. «C’est une voiture européenne», ist die Produktverantwortliche Anne-Chloé Kort stolz. Gebaut wird der Scenic E-Tech im Elec­tricity-Werk in Douai in Nordfrankreich, der Motor in der Megafactory in Cléon im Osten von Paris. Die lokale Produktion gehört zu Renaults Nachhaltigkeitsstrategie, schliesslich hat der Konzern in Frankreich sauberen Atomstrom zur Verfügung und kann lange Transportwege vermeiden.

Elektroautos überbieten sich momentan mit jenseitigen Leistungs- und Beschleunigungswerten, auch in Segmenten, in denen das weder erwartet wird noch erwünscht ist. Allzu oft geht dabei vergessen, dass zum zügigen Fahren noch etwas mehr gehört als bloss Leistung. Ein gescheites Fahrwerk zum Beispiel. Bereits der Megane E-Tech überraschte mit seiner sportlichen Fahrwerksabstimmung, aber noch überraschender ist, dass der Scenic ähnlich abgestimmt ist. Mit der einstigen, gummig zu fahrenden Familienkutsche hat der neue Scenic nicht mehr viel zu tun. Kaum Karosseriewanken, kaum Schieben zum Kurvenausgang und das Fahrzeug folgt präzise der Lenkbewegung – am Fahrverhalten des Scenic gibt es kaum etwas auszusetzen. Ausser vielleicht, dass das dann doch nicht ganz zu einem Kind-und-Kegel-Auto passt. Die Vorderachse scharrt kaum beim Gasgeben, was natürlich nicht nur am Fahrwerk, sondern auch an der Drehmomentregelung liegt, die sehr proaktiv einbremst. Spannenderweise sogar dann, wenn Traktionskontrolle und ESP ausgeschaltet sind. Aber das liegt natürlich auch daran, dass Renault sich bei der Motorleistung zurückhält, wobei die 167 kW (220 PS) und vor allem das Drehmoment von 300 Nm auch nicht eben schwachbrüstig sind.

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Das Cockpit des Scenic E-Tech kennt man bereits aus dem Megane.

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Neu sind das in Segmenten dimmbare Glasdach und die multifunktionale Armlehne der Rückbank, die eine Getränke- und eine Smartphonehalterung aufweist.

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Neu sind das in Segmenten dimmbare Glasdach und die multifunktionale Armlehne der Rückbank, die eine Getränke- und eine Smartphonehalterung aufweist.

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Neu sind das in Segmenten dimmbare Glasdach und die multifunktionale Armlehne der Rückbank, die eine Getränke- und eine Smartphonehalterung aufweist.

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Auf Leder verzichtet Renault komplett.

Nachhaltigkeit als Mantra

Mit einem Leergewicht von 1.8 Tonnen ist der Scenic auch deutlich leichter als die meisten Konkurrenten. Auch das gehört zum Ökoprogramm, Renault will die Mobilität nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Produktion dekarbonisieren. Und das geht am besten, wenn so wenige Ressourcen wie möglich in einem Auto verbaut werden. Und diejenigen, die verbaut werden, möglichst wiederverwertet sind. Bei den eisenhaltigen Bauteilen, verspricht Renault, seien 37 Prozent des Materials rezykliert, Motorhaube und Türen bestünden zu 80 Prozent aus Recycling-Aluminium. Damit das Auto am Ende seines Lebenszyklus wiederverwertet werden kann, verzichtet Renault auf Verbundwerkstoffe, die nur schwer in ihre einzelnen Bestandteile zu zerlegen sind. Der fremderregte Synchronmotor, die Leistungselektronik und die Batterie kommen zudem ohne Seltene Erden aus.

Weil sich das Thema der Nachhaltigkeit durch das ganze Auto ziehen soll, verzichtet man auch im Innenraum auf Leder und setzt auf ein Kunstgewebe aus Recycling-Plastik. An die Eleganz von Leder kommt dieses zwar nicht heran, die Qualitätsanmutung ist trotzdem solide Mittelklasse. Die Problemzonen sind denn auch der etwas grosszügige Verzicht auf Unterschäumung an kritischen Stellen – beispielsweise an der Mittelkonsole, an der man sich regelmässig das Knie anstösst. Das Cockpit kennt man bereits aus dem Megane: L-förmig angeordnete Bildschirme, das auf Android basierende System, die Navigation mit Google Maps. Beim ersten Test mit dem Vorserienfahrzeug zeigten sich noch gewisse Probleme, die bis zum Launch noch behoben werden sollten. So hängte sich beim Wechsel des Fahrmodus gelegentlich die Navigation auf. Praktisch: Die Aktivierung und Deaktivierung von Fahrhilfen und Überwachungssystemen wie Spurassistent oder die obligatorische Geschwindigkeitswarnung lassen sich in einem Profil abspeichern, das per Knopfdruck gestartet werden kann. Zwar müssen die Systeme beim Fahrzeugstart von Gesetzes wegen aktiv sein, die präferierten Einstellungen lassen sich dann aber einfach auf Knopfdruck aufrufen.

Ein weiteres cleveres Detail ist die Armlehne der Rückbank. Diese dient gleichzeitig auch als Getränkehalter, als Ablagefach und als ausklappbare Halterung, auf der Tablets oder Smartphones platziert werden können. Die Ruhe an Bord ist dann nicht nur wegen des fehlenden Motorgeräuschs garantiert, sondern auch wegen der digital beschäftigten Kinder in der zweiten Reihe. Ganz das Familienauto, der Scenic. 

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Die Gestaltung der Frontpartie ist detailliert und aufwändig.

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Die Raute findet sich nicht nur im Kühlergrill, sondern ist auch in den Tagfahrleuchten angedeutet.

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Die Raute findet sich nicht nur im Kühlergrill, sondern ist auch in den Tagfahrleuchten angedeutet.

The Car of the Year 2024

Der Renault Scenic E-Tech Electric ist einer der sieben Finalisten für den Car of the Year Award, den die ­AUTOMOBIL REVUE mitorganisiert. Der Gewinner wird Ende Februar 2024 verkündet.

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Fotos: Renault

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