Bei Renault pflegt man alte Namen. Neben den Neuauflagen verstorbener Ikonen wie Twingo und Renault 5, die schon bald auf den Markt kommen werden, betrifft dies auch noch lebende Grössen. Vor zwei Jahren wurde der Megane nach über 25 Jahren Modellgeschichte vom Kompaktwagen zum elektrischen Crossover. Derselben Transformation unterziehen die Franzosen jetzt auch den Scenic. 27 Jahre, vier Generationen und über 5.3 Millionen verkaufte Exemplare – dies die Erfolgsgeschichte des Scenic. Immer war er ein Monospace, ein Kompaktvan. Damit ist jetzt Schluss, auch der Scenic wird zum elektrischen Crossover. Der Name lebt weiter. Der Van nicht.
Trotz neuer Karosserieform und neuen Antriebs soll der neue Scenic voll familientauglich sein. Sieben Sitze gibt es aber nicht mehr, so viel gleich vorweg. Platz für eine vier- oder fünfköpfige Familie hat es dennoch, und weil Familien auch in die Ferien fahren, muss die Reichweite passen. 620 Kilometer nach WLTP verspricht Renault. Dafür sorgen eine 87-kWh-Batterie im Unterboden und ein tiefer Verbrauch von 16.8 kWh/100 km. In einer ersten Testfahrt mit dem neuen Modell kam der Verbrauch etwas höher zu liegen, die Reichweite dürfte damit realistisch rund 400 Kilometer betragen. Auch das ist noch grosszügig. Die maximale Ladeleistung hat Renault im Vergleich zum Megane leicht auf 150 kW angehoben. Allerdings, so betont man, sei die Spitzenleistung nicht das Entscheidende. Während des Ladens von 15 auf 80 Prozent könne man durchschnittlich 110 kW halten, was wertvoller sei als eine höhere Spitze, die aber nur kurz erreicht werde. Stimmt natürlich.
Kommt dazu, dass 80 Prozent Ladung bei über 600 Kilometern Reichweite mehr wert sind als bei der Konkurrenz, die deutlich weniger Reichweite schafft. Oder umgekehrt: Der Scenic lädt in einer halbstündigen Pause genügend Strom nach für 200 Kilometer Autobahn, 300 Kilometer nach WLTP-Norm oder 400 Kilometer im Stadtzyklus. Dazu gibt es serienmässig einen Onboard-Charger mit 22 kW Wechselstromladeleistung, was auch keine Selbstverständlichkeit ist, die Konkurrenz beschränkt sich hier grösstenteils auf höchstens elf Kilowatt. Serie sind auch eine Wärmepumpe, welche die Reichweite bei kalten Temperaturen noch verbessert, sowie die Vorkonditionierung der Batterie auf Idealtemperatur vor dem Ladevorgang. Die Plattform teilt sich der Scenic grösstenteils mit dem Renault Megane, was auch bedeutet, dass es für den Scenic keinen Allradantrieb geben wird. Motor und Getriebe befinden sich ganz konventionell vorne unter der Motorhaube.
Mehr als Leistung
Die Batterie fällt im Vergleich zum Megane noch einmal flacher aus und misst in der Dicke bloss noch 14 Zentimeter. Das ermöglicht eine niedrige Fahrzeughöhe – was die Aerodynamik verbessert. Mit einer Höhe von 1.57 Metern hat der neue Scenic mit einem klassischen Minivan tatsächlich nichts mehr zu tun. Und die flache Batterie verbessert das Platzangebot im Innenraum, genauso auch das neu entwickelte Glasdach, das auf Knopfdruck von transparent auf einen Milchglas-Effekt umschalten kann. Das spare nicht nur Bauhöhe gegenüber einem konventionellen Rollo, sondern soll erst noch leichter sein. Bis zu acht Kilogramm Gewichtseinsparung verspricht Renault. Produziert wird das Dach vom Glasspezialisten Saint-Gobain in Frankreich. «C’est une voiture européenne», ist die Produktverantwortliche Anne-Chloé Kort stolz. Gebaut wird der Scenic E-Tech im Electricity-Werk in Douai in Nordfrankreich, der Motor in der Megafactory in Cléon im Osten von Paris. Die lokale Produktion gehört zu Renaults Nachhaltigkeitsstrategie, schliesslich hat der Konzern in Frankreich sauberen Atomstrom zur Verfügung und kann lange Transportwege vermeiden.
Elektroautos überbieten sich momentan mit jenseitigen Leistungs- und Beschleunigungswerten, auch in Segmenten, in denen das weder erwartet wird noch erwünscht ist. Allzu oft geht dabei vergessen, dass zum zügigen Fahren noch etwas mehr gehört als bloss Leistung. Ein gescheites Fahrwerk zum Beispiel. Bereits der Megane E-Tech überraschte mit seiner sportlichen Fahrwerksabstimmung, aber noch überraschender ist, dass der Scenic ähnlich abgestimmt ist. Mit der einstigen, gummig zu fahrenden Familienkutsche hat der neue Scenic nicht mehr viel zu tun. Kaum Karosseriewanken, kaum Schieben zum Kurvenausgang und das Fahrzeug folgt präzise der Lenkbewegung – am Fahrverhalten des Scenic gibt es kaum etwas auszusetzen. Ausser vielleicht, dass das dann doch nicht ganz zu einem Kind-und-Kegel-Auto passt. Die Vorderachse scharrt kaum beim Gasgeben, was natürlich nicht nur am Fahrwerk, sondern auch an der Drehmomentregelung liegt, die sehr proaktiv einbremst. Spannenderweise sogar dann, wenn Traktionskontrolle und ESP ausgeschaltet sind. Aber das liegt natürlich auch daran, dass Renault sich bei der Motorleistung zurückhält, wobei die 167 kW (220 PS) und vor allem das Drehmoment von 300 Nm auch nicht eben schwachbrüstig sind.