Der Ferrari, der zu gefährlich war für die Amis

Peter Ruch | 29.02.2024

Sportwagen Die Berlinetta Boxer von Ferrari waren gar keine Boxer. Aber sie hatten trotzdem 
eine lange ­Karriere – und sind schwierig zu fahren. Was die Faszination aber keineswegs schmälert.

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Ein Mittelmotor-V12-Gran-Turismo war bei Ferrari Ende der 1960er-Jahre längst auf dem Prüfstand. Im Rennbetrieb hatten die Jungs um Enzo Ferrari beste Erfahrungen gemacht mit diesen Konstruktionen, der 250 LM war schon ab 1964 auf den Rennstrecken erfolgreich. Die Ingenieure beknieten «il drago» schon lange, dieses Konzept auch für die Strassenfahrzeuge anwenden zu dürfen. Aber erst 1971 wurde der Ferrari 365 GT4 BB in Turin (I) erstmals gezeigt, ab 1973 konnte man ihn kaufen. In erstaunlich geringen Stückzahlen, von der ersten Serie wurden bis 1976 gerade einmal 387 Stück gebaut. Was aber an Lamborghini lag, im Vergleich zum 1974 vorgestellten Countach sah der von Leo­nardo Fioravanti für Pininfarina gezeichnete und bei Scaglietti gebaute BB aus wie seine eigene Grossmutter. Und fuhr sich auch so, wie es Enzo Ferrari vorausgesagt hatte: schwierig. So schwierig, dass Ferrari seinen ersten Mittelmotorsportwagen offiziell nicht nach Amerika exportierte.

Die Bezeichnung 365 GT4 BB ist auch etwas schwierig. Die Zahl 365 ist noch einigermassen klar, der Motor hat die gleichen Dimensionen wie die V12-Maschine im Daytona, also 4.4 Liter Hubraum (geteilt durch 12 gibt – eben). Auch die Leistungsdaten waren ziemlich ähnlich, angegeben wurden 344 PS bei 7200 U/min (andernorts 380 PS) und ein maximales Drehmoment von 409 Nm bei 3900 U/min. Das reichte für satte 302 km/h Spitze und den Paradesprint auf 100 km/h in 5.4 Sekunden. 1235 Kilogramm wurden als Leergewicht angegeben, andere Quellen nennen 1120 oder auch 1160 Kilogramm. Doch sowohl die Bezeichnungen GT4 wie auch BB sind ziemlich irreführend, das Fahrzeug war ein reiner Zweiplätzer und weit entfernt von einem Gran Turismo. Und BB, was für Berlinetta Boxer steht, ist schlicht und einfach falsch. Zumindest, was den Boxer betrifft.

Falscher Boxer und Längseinbau

Dazu muss man ein bisschen ins Detail gehen. Es gibt die echten und die falschen Boxer, und der 365 GT4 BB gehört definitiv zu Letzteren. Bei einem echten Boxermotor sind die Pleuel auf einem um 180 Grad versetzten Hubzapfen der Kurbelwelle montiert. Somit sind die Kolben eines Paares immer in der jeweilig gleichen Position, zum Beispiel am oberen Totpunkt. Bei einem 180-Grad-V-Motor, denn nichts anderes ist dieser falsche Boxer, teilen sich die beiden Kolben einen Hubzapfen auf der Kurbelwelle. Das bedeutet: Wenn ein Kolben am oberen Totpunkt angekommen ist, hat der andere gerade den unteren Totpunkt erreicht.

Für diese Bauweise (und den Längseinbau) sprach im BB in erster Linie die geringere Baulänge. Gespeist wurde der 4.4 Liter von vier Weber-Dreifachvergasern (40 IF3C), was ihm einen ordentlichen Durst bescherte, wohl deshalb wurde auch ein 120-Liter-Tank verbaut. Neu waren auch die Zahnriemen, die den BB nicht unbedingt günstiger machten im Unterhalt. Aber unter den wahren Fans gilt er bis heute noch als das wahre Tier. Wer den 365 GT4 BB beherrscht, darf sich zu den Könnern zählen. Und zu den wenigen Piloten, die ein Automobil mit sechs Endrohren bewegen. Der Ferrari 512 BB war ab 1976 der Nachfolger des 365 GT4 BB, die Veränderungen sowie Verbesserungen hielten sich in überschaubaren Grenzen. Was deshalb erstaunlich war, weil die erste Berlinetta Boxer ja nicht unbedingt ein durchschlagender Erfolg gewesen war. Beim 512 wurde das mit den Verkaufszahlen deutlich besser, bis 1981 konnten immerhin 929 Stück abgesetzt werden. Obwohl der Mittelmotor-Ferrari weiterhin nicht offiziell in die Vereinigten Staaten importiert wurde, man traute den dortigen Piloten weiterhin nicht zu, den Wagen zu beherrschen. Gut, es gab noch andere Gründe, die Sicherheits- und Abgasbestimmungen in den USA, aber die erste Begründung gefällt definitiv besser.

Deutlich schwerer

Es gab schon ein paar Unterschiede. Die wichtigste Verbesserung war sicher die Maschine, deren Hubraum auf 4943 Kubikzentimeter erhöht wurde. Die Leistung wurde offiziell mit 360 PS bei 6200 U/min angegeben, dafür gab es deutlich mehr Drehmoment, 451 Nm bei 4600 U/min. Für diese zusätzliche Kraft wurde die Kupplung mit zwei Scheiben ausgestattet, man konnte sie im 512er im Gegensatz zum 365er auch durchtreten, ohne vorher im Fitnessklub geschwitzt zu haben. Neu war auch die Trockensumpfschmierung. Am Fahrwerk wurde nur Feintuning vorgenommen, was etwas erstaunlich ist, denn das offiziell angegebene Gewicht stieg massiv an. Im Ferrari-Handbuch werden 1515 Kilogramm angegeben, beim 365 GT4 BB waren es noch 1235 Kilogramm oder weniger.

Optisch waren die Veränderungen eher gering. Am einfachsten erkennt man den 512 BB an der Front und am neuen Spoiler – vorher gab es keinen – und an der breiteren Spur samt breiteren Reifen hinten. Plus 6.3 Zentimeter sind ziemlich beachtlich und verbesserten das Fahrverhalten dann eben doch. Die Abgasanlage reduzierte sich auf nur noch vier Auspuffrohre. Und ja, man hört es auch, der Sound ist tiefer als beim 365 GT4 BB, der mehr kreischt als tönt. Ab 1981 gab es dann den 512 BBi – i steht für die nun verbaute K-Jetronic von Bosch. Die Leistung sank weiter auf 340 PS, es gab auch etwas weniger Drehmoment, dafür ein paar optische Retuschen. Auch die Fahrleistungen wurden etwas braver, es waren nun fast sechs Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h (zumindest in seriösen Messungen), die Höchstgeschwindigkeit lag bei noch knapp über 280 km/h.

Lineare Kraftentfaltung

Der Einspritzer springt einigermassen zuverlässig an. Zündschlüssel drehen, ein paar Sekunden warten, zuhören, dann zünden. Und der Zwölfzylinder verfällt in einen halbwegs ruhigen Leerlauf. Er nimmt auch sofort Gas an, wenn man dann losfährt, erster Gang, dritter Gang, fünfter Gang, die beiden geraden Verzahnungen sind erst mit im Spiel, wenn das Öl auch auf Temperatur ist. Aber damit kann man leben, er will ja zu Beginn noch ein bisschen in Ruhe gelassen werden, es braucht wie bei allen italienischen Diven etwas Geduld und Demut in der Handhabung. Dann aber: Diese saubere, lineare Kraftentfaltung des Zwölfzylinders, die einhergeht mit einem traumhaften Klangbild, ist einfach unerreicht, sie ist ein Wunder der Mechanik, man muss die Ingenieure, die solches geschaffen haben, anbeten. Wir drehen ihn nicht aus, aber schon bei 5000 U/min ist der Sound so durchdringend, dass man Schnappatmung bekommt.

Das ganze Fahrzeug ist ein grosses Kunstwerk: Man sitzt tief und eng, umgeben von Lärm und feiner Technik, die Schaltung ist knochentrocken, die Lenkung – nicht belastet von einem Motor – ein Traum, sehr direkt, mit bester Rückmeldung. Das ist aber auch nötig, denn wenn man nur schon an der Kreuzung etwas zu flott abbiegt, zu früh auf den Pinsel geht, geht das Heck sehr schnell seiner eigenen Wege. Und dann sind schnelle Reaktionen gefordert. Ja, man muss dem Ferrari schon den nötigen Respekt entgegenbringen, man kann verstehen, weshalb er gewissen Piloten nicht zugetraut wurde. Was seine Faszination aber keineswegs schmälert.

Dieser Ferrari 512 BBi mit Jahrgang 1982 steht bei der Oldtimer Galerie Toffen zum Verkauf.

Fotos: radical-mag.com

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