Dieses ganz besondere Gefühl

Peter Ruch | 11.04.2024

Faszination 
Ein Blick zurück in die 
Entstehungsgeschichte einer Ikone. Doch es geht vor allem um die Freude am Fahren.

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Auf den ersten Schlüsseldreh erwacht das kalte Aggregat sofort mit beeindruckendem Rundlauf. Der erste Gang liegt zwar untypisch links unten, doch er geht locker in die Gasse. Auch die Kupplung kommt leicht, der Wagen lässt sich praktisch ohne Gas anfahren und flaniert locker durch den dichten Ausflugsverkehr den Berg hoch. Doch dort oben, kurz unter dem Gipfel mitten in einer lang gezogenen Kehre passiert es dann. Man schaltet ­einen Moment zu früh in den nächsthöheren Gang, gibt im Anschluss einen Hauch zu viel Gas – und der Wagen bäumt sich auf, bockt, wird unruhig. Einen weiteren Moment später lässt ein Böllerschuss aus den zwei Endrohren das ganze Tal erzittern.

Der M1 hatte viele Väter

Der BMW M1 ist kein braver Brauereigaul. Alltagsarbeit ist ihm lästig. Sein Leben beginnt oberhalb von 5000 Umdrehungen, bei voller Last und höchstem Tempo. Es ist dort, wo der Hochleistungs-Querstromzylinderkopf mit vier Ventilen zu absoluter Höchstform aufläuft. Wo die Kugelfischer-Einspritzpumpe das Benzin in rauen Mengen in die Ansaugtrichter nebelt und der sorgfältig berechnete Auspuffkrümmer den 3.5-Liter-Sechszylinder aus vollem Hals brüllen lässt. Noch heute ist man angesichts der Präzision überrascht. Die Gasannahme bewegt sich im Bereich des Vorhersehens, Lenkung und Schaltung arbeiten mit ­einer Transparenz und Gewichtung, die man schon völlig vergessen hatte. Dazu kommen Fahrwerk und Bremsanlage, die sich auch bei gröbster Beanspruchung nie aus der Ruhe bringen lassen.

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Für heutige Verhältnisse ist der BMW M1 vielleicht etwas gar diskret gestaltet. Er hat nur zwei Auspuffendrohre ...

Für das Talent des BMW M1 gibt es auch 46 Jahre nach seiner Präsentation eine einfache Erklärung: Er war nie einfach nur ein Auto. Er war ein Rennwagen. Einzig und allein erdacht, um auf den Rennstrecken dieser Welt Sieg um Sieg einzufahren. Die Strassenversion brauchte es lediglich für die Homologation. Euphorisiert von den Erfolgen in der Formel 2, von Le-Mans-Siegen und unzähligen Meistertiteln mit dem Flügelmonster CSL, wünschten sich die BMW-Verantwortlichen einen echten Sportwagen. Einen Leuchtturm, der die Strahlkraft des Motorsports in die Serie und auf das Image der Münchner übertragen sollte. Schnell war klar, dass ein Topmodell, es hätte als 8er-Reihe noch über dem luxuriösen 7er rangieren sollen, die Ansprüche an Platzangebot und Komfort nicht mit den Lastenhefteinträgen zu Gewicht und Leistungsfähigkeit vereinen konnte.

Kooperation mit Lamborghini

Der Entwicklungsauftrag wurde von der BMW AG an die BMW Motorsport GmbH und Jochen Neerpasch übertragen. Doch zu viel Zeit war bereits verstrichen mit der Vorentwicklung, man musste sich beeilen. Neerpasch nutzte die Chance und liess den BMW M1 als Rennwagen konzipieren, dessen Strassenversion nur eine einfache Ableitung war. Ein Gitterrohrrahmen mit Kunststoffkarosserie wurde als Lösungsweg definiert, ebenso das Mittelmotorkonzept. So würde man nicht nur einen konkurrenzfähigen, sondern vor allem einen siegfähigen Rennwagen bauen können.

Für ein solches Fahrzeug waren in der noch jungen BMW Motorsport GmbH weder die Konstruktionskompetenz noch die Fertigungskapazitäten vorhanden. Man wandte sich deshalb an Lamborghini. Die Italiener brachten das Projekt zügig voran – bis Lamborghini Konkurs anmeldete und das Drama seinen Lauf nahm. Man musste sich händeringend nach einer Alternative umsehen, selbst eine Übernahme der Sportwagenschmiede aus Italien wurde dem BMW-Vorstand von Neerpasch vorgeschlagen, aber von diesem wegen unabschätzbarer Risiken verworfen.

Phönix aus der Asche

Giorgio Giugiaro, der Designer des BMW M1, vermittelte kurzfristig die Firma Marchesi für die Produktion der Gitterrohrrahmen und Trasformazione Industriale Resine für die Fertigung der Kunststoffkarosserien, während sein Unternehmen Italdesign beides zusammenfügte und das Interieur montierte. Von dort kamen die Rohbauten nach Stuttgart zu Baur (BMW hatte in der Vergangenheit gute Erfahrung in Sonderprojekten mit den peniblen Schwaben gemacht), wo die Fahrzeuge mit den aus München angelieferten Aggregaten komplettiert wurden. Doch die Fahrzeuge entsprachen nicht den Qualitätsvorstellungen der bayerischen Führungsetage. Mittlerweile war es Herbst 1978, und die Wolken über dem M1 wurden noch dunkler. Der politische Entscheid, nicht in der Formel 1 anzutreten, sorgte für den Abgang von Neerpasch, auch M1-Chefentwickler Braungart verliess das Unternehmen. Nun blieb nur noch BMW-Legende Paul Rosche, den das Auto «fast ins Grab gebracht» hätte, wie er sich später erinnern sollte.

Die Klausur in Sachen Serienfertigung von Strassenautomobilen, die Rosche und sein Team sich selbst auferlegten, sorgte vorerst für einen Stopp des Projekts. Viele Teile wurden gesperrt und eine Überarbeitung angeordnet. Einigen Problemen wurde man aufgrund der komplexen paneuropäischen Logistik nie Herr, weshalb sie Rosche zu einer aussergewöhnlichen Vorgabe zwangen: Jeder M1 wurde nach seiner Ankunft bei BMW Motorsport wieder zerlegt und neu zusammengesetzt. Nur so konnte Rosche für Funktion und Qualität garantieren. Am Ende wurde alles gut, denn das Team von BMW Motorsport an der Münchner Preussenstrasse hatte ganze Arbeit geleistet.

Der Arbeit grosser Lohn

Die Rennmechaniker und Motorsport-Ingenieure machten den italienische Rennwagenentwurf serienfähig. Und vielleicht nie wieder in der Geschichte von BMW steckte im Spruch «Vom Rennsport auf die Strasse» mehr Wahres als beim BMW M1. Auch wenn Ferrari 512BB und Lamborghini Countach mit elitären Zwölfzylindertriebwerken aufwarten konnten, ein Maserati Bora und ein Aston Martin immerhin acht Zylinder klingen liessen, ist es eben doch nur der BMW M1, der in tiefster Seele ein reinrassiges Sportgerät war. Und nicht nur das macht ihn zu einem ganz besonderen Automobil, sondern vor allem die Tatsache, dass es einer perfektionistischen Mannschaft in München zu verdanken war, dass genau diese Abstammung im Gegensatz zu allen Konkurrenten auf den ersten Blick nicht zu erkennen war – mit verbundenen Augen wähnt man sich in einem ganz normalen BMW.

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Hinten mittig arbeitet der legendärste aller BMW-Sechszylinder, der M88, mit 3.5 Litern Hubraum und 277 PS. Er machte den M1 über 260 km/h schnell und brachte ihn binnen sechs Sekunden von 0 auf 100 km/h. Das war wahre Freude am Fahren.

Nur beim Platzangebot kann der M1 seine teilitalienische Abstammung nicht verbergen. Er ist nicht nur flach, sondern generell etwas verbaut. Der linke Fuss beispielsweise tritt zielsicher ins Radhaus statt auf die Kupplung, denn die ganze Pedalerie ist weit in die Wagenmitte versetzt. Man kauert auch mehr, als dass man sitzt. Zum Schalten muss man das Knie etwas aufrichten, im Kurvengeläuf braucht es dagegen viel Bewegungsfreiheit, um das Lenkrad im Griff zu halten. Es ist ein ständiger Kompromiss, man ist im Auto stets Teil der gesamten Bewegung. Und das ist gut so, denn der BMW M1 fordert genau das ein. Er ist kein moderner Spielekonsolen-Sportwagen, er ist ein echtes Fahrerauto.

Ein bisschen beleidigt

Wenn man ihn richtig treibt, die Drehzahlen oberhalb der 5000er-Marke hält und Brems- wie Einlenkpunkte spät setzt, dann ist der M1 auch heute noch weit vorne am Berg. Doch er zeigt auch seine Tücken. Eine falsche Linie um die Biegung oder gar zu hohes Tempo, das man mit einem Lupfer oder stärkerem Einlenken noch im Radius korrigieren will, beunruhigen ihn. Er ist nervös in diesen Fällen, es wirkt fast, als sei er beleidigt, dass man von ihm Talente erwartet, die man selbst nicht vorzuweisen vermag. Doch wer sich ihm hingibt, ihn versteht und die richtigen Eingaben macht, für den gibt es kaum Besseres. Der BMW M1 bietet greifbare und vor allem nutzbare Performance. Ist schnell, aber nicht zu schnell. Vor allem aber ist er so herrlich mechanisch, so wunderbar mitteilsam und so ungefiltert in seiner Ansprache. Genau das macht ihn aus: dieses ganz besondere Gefühl. 

Fotos: Vesa Eskola

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