Kultureller Rausch im Konfigurator

Simon Tottoli | 02.05.2024

Editorial

Tottoli Simon RGB

Simon Tottoli, Chefredaktor

Regelmässig klicken wir uns im Rahmen unserer Fahrzeugtests durch die Modellkonfiguratoren der Hersteller und Importeure. Grundpreise und Optionen­tarife ändern sich stetig, weshalb es vorkommt, dass das zum Testwagen mitgegebene Preisblatt nicht mehr up to date ist. Damit unsere Leser bei der Veröffentlichung des Testberichts eine aktuelle Preisinformation erhalten, konfigurieren wir den Testwagen 1:1 nach.

Diese Prozedur ist speziell bei Fahrzeugen unserer nördlichen Nachbarn zum Teil ziemlich aufwendig. Denn was gerade die Premiumhersteller für ihre Modelle (von denen es auch noch diverse Versionen gibt) alles anbieten, geht wortwörtlich auf keine Kuhhaut. Alleine bei dieser – also beim Leder – kann es eine Auswahl geben, die sich nicht an vier Händen abzählen lässt. Angefangen bei der Lederqualität bis hin zur Farbe. So richtig tricky wird es aber bei den Exterieur-, Komfort- und Sicherheitsoptionen. 100 (!) oder sogar noch mehr setzbare Häkchen sind eher die Regel als die Ausnahme.

Eigentlich ist diese Individualisierbarkeit ja etwas sehr Schönes, denn so kann sich jeder sein ganz eigenes Auto konfigurieren. Aber wer viele Häkchen setzen muss, treibt den Preis natürlich massiv nach oben. Und was vor allem bei den deutschen (Premium-)Herstellern auffällt: Es muss auch für Dinge bezahlt werden, die anderswo serienmässig an Bord sind. Das ist per se nichts Neues. In den 1980er-Jahren brauchte man bei einem Mittelklasse-Japaner zum Beispiel elektrische Fensterheber nicht extra zu ordern, während sie bei den Europäern erst viel später zum Serientrimm hinzukamen. Dass vor allem die Japaner ab Werk im Vergleich gut ausgestattet waren, hing einerseits mit dem fehlenden Image zusammen (man musste mehr bieten fürs gleiche oder, noch besser, für weniger Geld), andererseits aber auch mit den langen Transportwegen und -zeiten. Es war einfach nicht möglich, zig Konfigurationen anzubieten, denn kumuliert mit der Produktion hätten sich enorm lange Lieferfristen ergeben.

Heute, wo die Welt zusammengewachsen ist, sieht es aber genau gleich aus. Die Asiaten (mittlerweile sind auch die Koreaner, die Chinesen und sogar die Vietnamesen in die Autobauer-Elite vorgestossen) bieten nur wenige Optionen an. Wenn, dann verpacken sie diese in verschiedene Ausstattungslinien, sogar bei teureren Modellen. Die Deutschen (und eigentlich auch die Briten) treiben den Konfigurationsrausch aber weiter auf die Spitze. Ganz offensichtlich ist ihr Image dermassen gut, dass sie sich das leisten können. Und der hohe Individualisierungsgrad bei Materialien, Farben und so weiter hilft sicher auch mit, dass die (teure) Optionenkultur von den Kunden akzeptiert wird.

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