Eine verpasste Chance

Ramon Egger | 09.11.2023

Egger & Kanten

Egger Ramon RGB

Ramon Egger ist Autor und ehemaliger Chefredaktor der AUTOMOBIL REVUE.

«Elektroautos sind entscheidend, aber nicht genug, um den Klimawandel aufzuhalten. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie autofreie Transportmöglichkeiten verdrängen.» Dies ist der Einstieg in einen Artikel der Newsplattform Vox über Elektromobilität in Norwegen und ein Gespräch mit dem einflussreichen norwegischen Autor Ulrik Eriksen, der sich mit viel Leidenschaft gegen die motorisierte Individualmobilität einsetzt.

Norwegen hat einen Anteil elektrischer Neuwagen von 87 Prozent – in der Schweiz liegt er bei 18, weltweit bei etwas mehr als zehn Prozent. Und trotzdem ist man unzufrieden in Norwegen. Es werden zu viele Elektroautos gekauft. Es werden zu viele Elektroautos gefahren. Rückblickend könnte man sagen, man hätte es kommen sehen müssen: Aufgrund massiver staatlicher Anreize kauften die Norweger wie wild Elektroautos. Besass eine Familie bisher einen Verbrenner, kann sie sich plötzlich zwei Stromer leisten. Und der öffentliche Verkehr wird unattraktiv, niemand mehr benutzt ihn. Denn niemand benutzt gern den öffentlichen Verkehr, wenn er nicht entweder aus finanziellen Gründen dazu gezwungen ist oder damit das grüne Gewissen beruhigen kann. Als norwegischer Verkehrsminister könnte man darüber glücklich sein: Die Bevölkerung ist glücklich, weil sie sich endlich ein Auto leisten kann, und die Welt ist auch gerettet, weil kein böses Benzin mehr verbrannt wird.

Weit gefehlt. Denn auch Elektroautos reichten nicht aus, um die Erderwärmung unter einem «katastrophalen» Niveau zu halten, konstatiert der Vox-Artikel mit Bezug auf eine britische Studie. Gleichzeitig besagt eine Unmenge an Studien, dass E-Autos selbst über den gesamten Lebenszyklus kaum noch CO₂-Emmissionen verursachten und deshalb dringend nötig seien, um das Klima zu retten. Perfekt sind sie nicht – aber doch gut genug, dass wir nicht auf sie verzichten können.

Welche Studien stimmen? Sind Elektroautos Teil der Lösung oder Teil des Problems? Für Eriksen gibt es nur eine Lösung für das Problem: weniger Autos und mehr ÖV. Der Klimawandel habe Norwegen die Möglichkeit gegeben, sein Transportsystem zu verändern, aber das Land habe diese absolut einmalige Chance vergeben. Was er damit meint: Die politische Elite hat die einmalige Chance verpasst, ihre Schäfchen dort hinzumanipulieren, wo man sie haben will, ohne dass sie misstrauisch werden. Was auch nicht so schlecht ist.

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