Tempolimits – Langstrecken-Schleichen

Martin Sigrist | 08.02.2024

Informationssysteme Eine tolle Sache: Mit ­kleinstem Aufwand lassen sich auf ganzen Autobahn­abschnitten Tempolimits verändern. Auffällig oft hat ­
Rückkehr zur Normalität eine lähmend lange Nachlaufzeit.

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Ein Unfall ereignet sich auf der Autobahn, die linke Fahrspur ist blockiert, und der Stau damit auch bei mässigem Verkehr unabwendbar – wir kennen es zur Genüge und begegnen diesem wiederkehrenden Phänomen meistens genau dann, wenn wir einen Termin einhalten sollten. Dass nun in weiser Voraussicht der Verkehr mit gedrosseltem Tempo an die Unfallstelle herangeführt wird, macht sehr viel Sinn. Dank automatischer Anzeigesysteme wie leuchtender LED-Wechselverkehrszeichen oder – an neu­ral­gischen Punkten seit Langem anzutreffen – klassischer, mechanischer Prismawender, die nur drei verschiedene Anzeigen ermöglichen, kann das Tempo relativ einfach und der überraschenden Situation entsprechend schnell gedrosselt werden, damit der Verkehr möglichst flüssig bleibt. Über die immer häufiger zu sehenden LED-Anzeigen lassen sich zudem entsprechende Zusatzinforma­tionen einblenden. Der Hinweis «Unfall» beispielsweise macht darauf aufmerksam, dass mit Bergungs- oder Rettungsfahrzeugen zu rechnen und es darum mit grösserer Wahrscheinlichkeit notwendig ist, eine Rettungsgasse zu bilden. Eine gute Sache und damit sinnvoll eingesetztes Geld. Mehr noch, es macht um ein Vielfaches mehr Sinn, die modernen Informationssysteme für solches zu verwenden, als allerorten mangels relevanter Informationen altkluge Belehrungen auf den Anzeigetafeln einzublenden, die auf den Autobahnen in den vergangenen Jahren für teures Geld installiert worden sind. «Bleiben Sie zu Hause!» Wer erinnert sich nicht daran, wie er dachte: «Schön wärs ja»? Oder: «Blinken beim Spurwechsel» – dies gehörte den fraglichen Sündern direkt im Sichtfeld in die Windschutzscheibe eingeätzt. Vielleicht täte etwas Fantasie gut, wenn dem Zuständigen sonst nichts Gescheites einfällt. Gut, vielleicht fehlt einem da irgendwann etwas die Gelassenheit. Wie wäre es mit Fussballresultaten? Zurück zum Ernst des Alltags.

Vielleicht, oder doch nicht?

Am 14. Dezember des vergangenen Jahres war es wieder einmal so weit, ein Unfall zwischen Niederbipp und Wangen an der Aare BE führte zu einem Stau bis zurück nach Oftringen AG. Um etwa zehn Uhr morgens leuchteten die Geschwindigkeitstafeln auf der Fahrspur Richtung Bern immer noch hell und deutlich. Nachdem bereits der halbe Aargau seit 23. November tempogedrosselt durchfahren werden muss, doch dazu später.

Zu dieser Zeit war aber der Verkehr wieder flüssig, der Autofahrer hingegen blieb in ständiger Alarmbereitschaft, weil ja der angedrohte Stau nächstens kommen musste, immerhin wurde ihm dies in leuchtendem Gelb auf die Retina gebrannt. Ausgerechnet ab Härkingen SO aber – in Richtung Bern sonst stets ein Garant für zumeist unerklärliche Stockungen (ist es die lange Gerade, die zum Handorgeleffekt bei zu dichtem Auffahren führt?) – rollte der Verkehr völlig normal, keine Spur von einem drohenden Stau. Noch deutlicher war die Situation ab Niederbipp, wo sich keine Spur mehr ­eines Unfalls erkennen liess. Nur die Tafel zeigte weiterhin gemütliche maximale 80 km/h mit dem Hinweis «Unfall» an. So blieb es denn auch bis zur Kantonzgrenze kurz vor der Raststätte Deitingen SO – die Zone bei der Einfahrt von Wangen an der Aare ist ein regulärer 100er-Abschnitt . Zugegeben, man sollte das Ereignis positiv sehen: Der Stau war bereits vorbei. Dass man jedoch genötigt ist, die gesamte A1-Strecke zwischen Suhr AG und Deitingen mit höchstens 80 bis 100 km/h zu fahren, bei trockener Strasse und bester Sicht, bei flüssigem Verkehr und längst aufgeräumtem Unfall, ist nervig.

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Fertig Tempolimit, genau nach der Kantonsgrenze Aargau/Solothurn ist die Autobahnwelt eine andere.

«Nach em Räge schint Sunne» sangen einst Marthely Mumenthaler und Vrenely Pfyl. Auch auf Schnee folgt oft Sonne. Dass auf dem Zürcher Nordring nach nächtlichem Schneefall, erfolgreicher Räumung und folglich (salz-)staubtrockener Strasse auch am Nachmittag noch «80» und «Schleudergefahr» von den Tafeln im Sonnenlicht leuchten, ist auch nicht so recht zu verstehen.

Alter Belag als Grund

Und was ist mit der Strecke von Suhr bis Oftringen? Das Bundesamt für Strassen (Astra) meldete für diesen Abschnitt ab 23. November ein Tempolimit von 100 km/h. Der Grund sei der in die Jahre gekommene Deckbelag, den es zu erneuern gelte. Gemäss aktuellen Informationen geschieht dies nun ab Anfang März in Teilabschnitten von fünf Kilometern Länge auf der 15 Kilometer messenden Strecke. Die Vorarbeiten begannen am 5. Februar. Man rechnet mit einer Bauzeit bis im November diesen Jahres, in der es zu Spurverlegungen, der Verengung der Überholspur und der zeitweisen Sperrung von Rastplätzen kommen wird. Rund 36 Millionen Franken sollen die Arbeiten kosten. Auch dies sind grundsätzlich gute Neuigkeiten, selbst wenn so der meistbefahrene Abschnitt der A1 dieses Jahr nur mit Behinderungen zu durchfahren sein wird. Doch was genau ist los mit dem Belag im Aargau? Und warum gilt bereits seit November 2023 ein Tempolimit?

Laut Astra wurde in Zusammenarbeit mit der Aargauer Kantonspolizei auf diesem Streckenabschnitt bei nasser Witterung ein erhöhtes Unfallrisiko festgestellt. Das erinnert an den A2-Abschnitt zwischen den Rastplätzen Knutwil und der Ausfahrt Dagmersellen LU, der vor seiner Sanierung so schlecht war, dass die Reifen der über die Bodenwellen springenden Lastwagenachsen Spuren wie im Landebereich einer Piste des Zürcher Flughafens hinterliessen. Die Autobahn führt in diesem Abschnitt über schwieriges, weiches Terrain, das ist bekannt. Aber niemand legte sich für ­eine reduzierte Höchstgeschwindigkeit ins Zeug. Statt aus dem warmen Büro heraus auf Knopfdruck eine Temporeduktion zu signalisieren, hätte man ­eine Equipe losschicken müssen, die Signaltafeln hätte aufstellen müssen. Das wollte damals noch überlegt sein. 

Fotos: Martin Sigrist (Dashcam)

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