Als BMW Anfang der 1960er-Jahre die Neue Klasse auf den Markt brachte, war das Unternehmen dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen, denn der Verkauf an den schwäbischen Konkurrenten Mercedes-Benz war schon beschlossene Sache gewesen. Mit der neuen sportlichen Mittelklassebaureihe – man erinnere sich an die legendären 02-Modelle – kam der Erfolg. Während damals knapp 7000 Mitarbeiter um ihre Jobs zitterten, arbeiten heute rund 150 000 Menschen für den bayerischen Hersteller, der 2023 weltweit rund 2.5 Millionen Autos auslieferte. Im kommenden Jahr wird es wieder eine Neue Klasse bei BMW geben. Diesmal muss sie das Unternehmen nicht vor dem Untergang retten, aber doch den überlebenswichtigen Transformationsprozess bei der Umstellung auf Elektromobilität sicherstellen.
Erste Bilder: So sieht die Neue Klasse X von BMW aus
Klaus Justen | 21.03.2024
Mit der Neuen Klasse stellt BMW seine Elektrofahrzeuge auf eine komplett neue und eigene Plattform. Als erstes Modell kommt 2025 das Mittelklasse-SUV Neue Klasse X auf den Markt. Erste Bilder der seriennahen Studie.
Neue Klasse X von BMW
Die neue Neue Klasse ist die Plattform für die kommenden Elektrofahrzeuge der Marke. Bislang fährt BMW unter dem Schlagwort Technologieoffenheit das Konzept, seine Elektrofahrzeuge auf Verbrennerplattformen aufzusetzen. Das hat den grossen Vorteil, dass Verbrenner, reine E-Fahrzeuge und auch Mischformen wie Plug-in-Hybride auf einer Fertigungsstrasse produziert werden. Je nach Kundennachfrage lassen sich die Kapazitäten anpassen. Der Nachteil ist, dass die Batteriegrössen limitiert sind, weil die Akkus in den vorhandenen Bauraum eingepasst werden müssen. Auch lassen sich die Raumvorteile, die spezielle BEV-Plattformen bieten, so nicht nutzen.
Das wird sich mit der Neuen Klasse ändern. Das erste Modell auf dieser Plattform wird schon 2025 auf dem Markt eingeführt. Angesichts der Bedeutung, die SUV – die bei BMW Sport Activity Vehicle heissen, also SAV – und Allradantrieb für die Marke haben, wird es ein Mittelklasse-SUV von mehr als 4.70 Meter Länge sein. Eine seriennahe Studie mit dem Arbeitsnamen BMW Vision Neue Klasse X konnten wir im Rahmen der Fahrvorstellung des BMW X2/iX2 (AR 11/2024) näher in Augenschein nehmen.
Trotz seiner beachtlichen Länge wirkt das Fahrzeug erstaunlich filigran. Dazu trägt die Frontpartie bei. Der Grill samt Niere fällt im Vergleich zu aktuellen Fahrzeugen der Marke mit dem XM als krassestem Gegenbeispiel schon fast zierlich aus. Die LED-Leuchteinheiten sind vertikal ausgerichtet, die Glasflächen wirken leicht und luftig. Durch den langen Radstand von fast drei Metern ergeben sich kurze Überhänge vorne wie hinten. Die Heckleuchten reichen weit in die Mitte des Hecks hinein und werden mit variablen Lichtstärken angesteuert, um die Tiefenwirkung zu erhöhen. Der markentypische Hofmeisterknick an den hinteren Fenstern wird nicht durch Chromeinfassungen erzeugt, sondern durch einen sogenannten Reflective Print auf der Scheibe, der je nach Blickwinkel reflektiert oder transparent ist. Der Neue Klasse X macht aber nicht nur einen eleganten Eindruck, auch die Aerodynamik wurde im Vergleich zu aktuellen Modellen deutlich verbessert: Um 20 Prozent, wie BMW angibt, ohne einen konkreten Wert zu nennen. Nimmt man den cW-Wert von 0.29 des iX3 zum Vergleich, müsste der Neue Klasse X also bei einem Wert von unter 0.25 landen.
Cleanes Interieurdesign mit Display (Panoramic Vision) über die komplette Scheibenbreite.
Auch im Innenraum setzt das Konzeptfahrzeug auf luftiges, modernes Design. Die Sitzposition des Fahrers ist leicht erhöht, durch den langen Radstand kommt auch hinten kein Engegefühl auf. Informationen erhält der Fahrer über das grosse Zentraldisplay sowie das Panoramic Vision genannte Infoboard, das sich über die komplette Windschutzscheibenbreite zieht. Hinzu kommt in der Serie dann auch noch ein weiterentwickeltes Head-up-Display in 3-D-Optik.
Superrechner statt viele Steuergeräte
Zum Antriebsstrang der Neuen Klasse macht BMW aktuell noch keine detaillierten Angaben. Klar ist, dass die Plattform auf 800-Volt-Technik basiert und der Hersteller weiterhin stromerregte Synchronmotoren einsetzt. Bei den Batteriezellen verwendet BMW nun runde statt prismatischer Lithium-Ionen-Zellen, was zu einer Erhöhung der Energiedichte um 20 Prozent führt. Verglichen mit der Batterie im aktuellen iX3 (80 kWh brutto) liessen sich also mehr als 90 Kilowattstunden auf gleichem Bauraum unterbringen. Der Stromspeicher lässt sich um bis zu 30 Prozent schneller aufladen. BMW gibt an, dass innerhalb von zehn Minuten eine Reichweite von 300 Kilometern nachgeladen werden könne. Ohne absolute Zahlen zu nennen, kündigt BMW einen Reichweitenzuwachs von 30 Prozent gegenüber aktuellen Modellen an. Beim iX3 liegt diese laut WLTP bei 470 Kilometern. Das spricht bei der Neuen Klasse X für einen Wert von über 600 Kilometern.
Komplett neu ist auch die Architektur der Steuerelektronik. BMW setzt auf zentrale Hochleistungsrechner statt einzelner Steuergeräte. Einer dieser Zentralrechner, von BMW selbst entwickelt, «integriert die komplette Antriebs- und Fahrdynamik mit bis zu zehnmal schnellerer Rechenleistung», sagt Entwicklungsvorstand Frank Weber. Dadurch, dass alle Fahrzeugdaten in dem Superhirn zusammenlaufen, können Anpassungen an die Fahrsituation erheblich schneller ausgeführt werden. Ein zweiter Zentralrechner ist für die Assistenzsysteme zuständig und sorgt auch hier für einen Geschwindigkeitsvorteil um den Faktor fünf. Die Neue Klasse X soll bei Fahrfunktionen für autonomes Fahren auf Level 3, bei Parkfunktionen für Level 4 vorbereitet sein.
Neue Klasse X wird in Ungarn produziert
Im neuen BMW-Werk Debrecen in Ungarn wird der Neue Klasse X ab 2025 vom Band laufen. Diese sogenannte iFactory ist das erste Werk des Herstellers, das komplett mit fossilfreier Energie betrieben wird. Der CO2-Fussabdruck des neuen X wird, so BMW, um rund 35 Prozent kleiner ausfallen als der eines aktuellen iX3.
Sehr luftig: Das Glasdach spannt sich über die komplette Fahrgastzelle.
Fotos: BMW
Kommentare
Keine Kommentare