Der Lamborghini Temerario hat sich zum echten Supersportwagen entwickelt, nachdem Gallardo und Huracan durch die technische Verwandtschaft zum Audi R8 zumindest gewisse Grenzen gesetzt wurden. Da der R8 nun nicht mehr ist, durfte Lamborghini eine eigene Plattform entwickeln und konnte sich beim neuen Einstiegsmodell nun frei entfalten. Das scheinen die Italiener so richtig ausgekostet zu haben.
Lamborghini Temerario: Huracan ohne R8-Fesseln
Moritz Doka | 16.08.2024
Nach zwei Generationen nutzt Lamborghinis Einstiegsmodell erstmals eine eigene Basis. Das scheint ihn entfesselt zu haben: 920 PS, 10'000 U/min und 343 km/h sind die Eckdaten.
920 PS Systemleistung
Beginnen wir beim Antrieb. Herzstück des Temerario – ebenfalls benannt nach einem besonders mutigen Kampfstier – ist ein selbst entwickelter Vierliter-Biturbo-V8 mit 180-Grad-Kurbelwelle. Seine 800 PS erreicht er erst bei 9000 U/min, die Drehzahlgrenze ist erst bei 10'000 U/min erreicht. Unerhört für einen Turbomotor. Die Lösung heisst E-Unterstützung. Ein E-Motor zwischen Verbrenner und Achtgang-Doppelkupplung boostet bei niedrigeren Drehzahlen, die Turbolader übernehmen erst darüber.
Zwei weitere E-Motoren an der Vorderachse stellen Allradantrieb sicher und sorgen für insgesamt 920 PS Systemleistung. Sie optimieren auch das Torque Vectoring. Ein Systemdrehmoment wird nicht bekanntgegeben, der V8 bringt es auf 730 Nm. Diese Antriebslösung soll die Drehfreude des bisherigen V10 mit dem Drehmoment eines Turbomotors verbinden und gleichzeitig für einen höchst emotionalen Soundtrack sorgen. Zu den übrigen Eckdaten des Motors gehören eine Trockensumpfschmierung, Titanpleuel und ein hochfester Ventiltrieb.
Kaum langsamer als der Revuelto
Von 0 auf 100 km/h beschleunigt der Temerario in 2,7 Sekunden. Da fehlt zum grossen Bruder Revuelto nicht mehr viel, der die Disziplin in 2,5 Sekunden erledigt. Auch 342 zu gut 350 km/h sind nicht die Welt.
Mit der im Mitteltunnel verbauten 3,8-kWh-Batterie kann der Temerario auch rein elektrisch Fahren. Wie weit genau, sagt Lamborghini noch nicht. Beim Revuelto mit der gleichen Batterie sind es 13 Kilometer. So werden die Emissionen um bis zu 50 Prozent reduziert. Aufgeladen werden kann der Temerario an der Haushaltssteckdose oder der Wallbox, dann mit bis zu 7 kW.
Die Batterie im Mitteltunnel senkt den Schwerpunkt und verbessert die Gewichtsverteilung. Durch das neue Chassis aus leichten und hochfesten Aluminiumlegierungen konnte die Torsionssteifigkeit verbessert werden.
Schlichteres Design
Bei all der gestiegenen Leistung gibt sich der Temerario optisch zurückhaltender als noch der Huracan. Sein Design wirkt geradliniger und «ernsthafter», verzichtet auf allzu viele Sicken und setzt auf grosszügige, glatte Flächen. Die Front läuft flach zu. Unterhalb der schmalen Scheinwerfer befinden sich hexagonalen Tagfahrleuchten mit Lufteinlass. Kühlluftöffnungen gibt es auch vor und oberhalb der Hinterräder. Am Heck sind grosse Teile der Reifen gut sichtbar, wie schon beim Huracan Tecnica. Die Rückleuchten mit Abwärme-Schaft und das zentrale Auspuffrohr sind wieder in hexagonal-Form gehalten.
Der Temerario ist in allen Dimensionen leicht gewachsen. Die Abmessungen betragen 4706 Millimeter in der Länge, 1996 Millimeter in der Breite sowie 1201 Millimeter in der Höhe bei 2658 Millimeter Radstand. Für den Temerario wurden die beiden neuen Farben Blu Marinus und Verde Mercurius angemischt. Drei neue Felgenoptionen in 20 Zoll vorne und 21 Zoll hinten gibt es ebenfalls. Neben einem Sport-, einem Winter- und einem Runflat-Reifen gibt es auch den Semislick Bridgestone Potenza Race.
Kein Leichtgewicht
Optional kann mit dem «Alleggerita»-Paket der Abtrieb erhöht und 12,65 Kilo Gewicht eingespart werden. Dann bestehen der Frontsplitter, die Motorhaube und andere Teile aus Karbon, die Heck- und Seitenscheiben aus Gorillaglas und Polycarbonat. Wer auch noch die aufpreispflichtigen Karbonfelgen sowie das umfangreichere Kohlefaserpaket mit Karbonheckdiffusor bestellt, spart 25 Kilo ein. Das Trockengewicht des Temerario beträgt 1690 Kilo, inklusive Flüssigkeiten und Fahrer dann eher in Richtung 1,8 Tonnen.
Komfort und Moderne im Innenraum
Im Cockpit-Kapitel ist in der Lamborghini-Pressemeldung erstaunlich häufig von Komfort die Rede. Das hat einerseits mit der gesteigerten Praktikabilität zu tun, das Platzangebot ist in allen Dimensionen gewachsen. Unter der Fronthaube finden 112 Liter Gepäck Platz, weiterer Stauraum befindet sich hinter den Sitzen. Zweitens gibt es neben dem Sportsitz auch einen 18-fach verstellbaren Komfortsitz mit Heizungs- und Kühlungsfunktion. Karbon-Schalensitze sind ebenfalls erhältlich.
Insgesamt drei Bildschirme versorgen die Insassen mit Daten. Der Fahrer blickt auf ein individualisierbares 12,3-Zoll-Digitalcockpit, der Beifahrer verfügt über einen eigenen Bildschirm zum Ablesen der Fahrdaten und anderer Infos. Das Infotainment mit 8,4 Zoll basiert auf einem neuen System und bietet kabellose Smartphone-Anbindung. Im Gegensatz zu neuen Ferrari gibt es im Temerario noch Knöpfe zur Bedienung, unter anderem am Lenkrad, für den Startknopf und die Fahrmodi.
Von letzteren gibt es drei neue: Recharge (der Verbrenner lädt die Batterie), Hybrid und Performance. Dazu kommt ein dreistufig einstellbarer Driftmodus und eine Launch Control. Per LAVU-System lassen sich Telemetriedaten aufzeichnen und Videos der Fahrt aufnehmen und via Unica-App mit anderen Personen teilen.
Preis wohl deutlich über 300'000 Franken
All das lässt den Temerario nahe zum Revuelto aufrücken, vier Zylinder weniger hin oder her. Der etwas gesteigerte Alltagsnutzen, das Plus an Komfort und der niedrigere Preis dürften eher den Ausschlag geben, wobei Lamborghini einen solchen noch nicht nennt. Der Huracan Tecnica begann zuletzt bei rund 300'000 Franken. Für den Temerario darf man mit einem saftigen Aufschlag rechnen. Mit oder sogar auch ohne ein paar Optionen sollte eine Vier an erster Stelle kein Problem darstellen.
Fotos: Lamborghini
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