Renault R5 – Miss Genf 2024

Olivier Derard | 29.02.2024

Kleinwagen Der Renault 5 ist ein pfiffiges und erfrischendes ­Elektroauto, das den ­inoffiziellen Titel der Miss Genf 2024 ­mühelos ­gewann.

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Superlative, geliefert vom Unternehmenschef persönlich: «Der Renault 5 ist das beste kompakte Elektroauto der Welt», griff Luca de Meo zur ganz grossen Kelle bei der Präsentation des neuen elektrischen Kleinwagens. Natürlich ist der Mann als Chef der Renault-Gruppe nicht objektiv. Dennoch ist es in der Automobilindustrie selten, dass solche Superlative mit so viel Souveränität verwendet werden, zumindest von Unternehmensleitern. Das wirft eine Frage auf: Was ist so neu an diesem Kleinwagen, der diese Woche am Internationalen Automobilsalon in Genf alle Scheinwerfer auf sich zieht?

Tatsächlich ist vom Fahrgestell über den Motor und den Innenraum bis hin zur Batterie alles am R5 neu. Aber noch mehr als all das könnte der kleine R5 dank seiner Neo-Retro-Ästhetik die Herzen der Menschen erobern. Das Design hatte übrigens Vorrang vor allem anderen während der Entwicklungszeit. Während das Design von Autos normalerweise durch die Plattform, auf der sie stehen, eingeschränkt wird, waren die Ingenieure dieses Mal gezwungen, sich den Designern zu unterwerfen – de Meo hatte sich in das Harzmodell von Gilles Vidal verliebt. Das Serienmodell ist daher sehr nah an diesem Modell, das wiederum sehr nah am ursprünglichen R5 ist. Ja, die prinzipielle Optik des R5 E-Tech Electric zitiert den Renault 5 aus dem Jahr 1972 und seinen Nachfolger. Wie er hingegen auf der Strasse steht mit seinen kräftigen Kotflügeln und der breiteren Spur (1.55 m vorn und 1.53 m hinten), wurde vom R5 Turbo geklaut.

Cooler Innenraum

Auf der Motorhaube wurde das Lüftungsgitter neu interpretiert und durch eine Ladeanzeige ersetzt, deren Grafik die Zahl 5 bildet und Informationen über den Ladezustand der Batterie liefert. Jedes der fünf LED-Segmente der Ziffer 5 entspricht 20 Prozent des Ladestands. Ansonsten gibt es poppige Farben, schelmisch dreinblickende Scheinwerfer und vertikale Rückleuchten. Die grossen 18-Zoll-Räder können mit verschiedenen Felgenmodellen bestückt werden, darunter ein Zwölf-Speichen-Rad mit der Bezeichnung Chrono. «Ursprünglich hatte dieses Modell nur zehn Speichen, aber Luca de Meo als eingefleischter Uhrenliebhaber brachte uns dazu, zwei weitere Speichen hinzuzufügen, um das Zifferblatt einer Uhr darzustellen», erzählt eine der Designerinnen lächelnd. Das sagt viel darüber aus, wie sehr der CEO in den Entwicklungsprozess seiner Produkte eingebunden war. Die Zeiten, in denen das Unternehmen von einem Mann geleitet wurde, der mit seiner Gulfstream ständig zwischen Frankreich und Japan hin- und herreiste, sind längst vorbei.

Auch im Innern tobte sich Renault aus. Heraus kam zweifellos einer der coolsten und gelungensten Innenräume der letzten Jahre. Die Sitze sind mit ihrer H-förmigen Struktur direkt vom R5 Turbo inspiriert. Darüber befindet sich der gesteppte Dachhimmel. Ebenfalls abgesteppt ist das Armaturenbrett, die Modellbezeichnung Renault 5 ist hintergrundbeleuchtet. Das Ganze profitiert von einer für das Segment ansprechenden Verarbeitung – Hartplastik ist im Einsatz, aber von guter Qualität. Für das Infotainment stehen zwei grosse Multimedia-Touchscreens mit sieben oder zehn Zoll Diagonale zur Wahl, auch beim R5 pflegt Renault die Zusammenarbeit mit Google.

Das Platzangebot auf den Vordersitzen ist gut, auf den Rücksitzen müssen die Passagiere jedoch mit Einschränkungen leben. Die werden von der Batterie im Unterboden verursacht, es bleibt wenig Platz, die Füsse unter die Vordersitze zu schieben, vor allem wenn sich diese in einer niedrigen Position befinden. Das Kofferraumvolumen ist mit 277 Litern für diese Fahrzeuggrösse gut bemessen. Unter dem Boden befindet sich ein 27 Liter grosses Fach, in dem Kabel verstaut werden können. Leider gibt es keinen Kofferraum (Frunk) unter der Fronthaube.

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Das Design hatte bei der Entwicklung Vorrang vor allem anderen. Die Frontscheinwerfer haben einen ­schelmischen Blick und die Rückleuchten sind vertikal. Die technische Plattform ist neu und heisst Amp-R Small.

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Das Design hatte bei der Entwicklung Vorrang vor allem anderen. Die Frontscheinwerfer haben einen ­schelmischen Blick und die Rückleuchten sind vertikal. Die technische Plattform ist neu und heisst Amp-R Small.

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Die Sitze sind direkt vom ikonischen R5 Turbo inspiriert. Dachhimmel und Armaturenbrett 
sind gesteppt, die Modellbezeichnung Renault 5 ist hintergrundbeleuchtet.

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Die Sitze sind direkt vom ikonischen R5 Turbo inspiriert. Dachhimmel und Armaturenbrett 
sind gesteppt, die Modellbezeichnung Renault 5 ist hintergrundbeleuchtet.

Eine neue Plattform

Technisch gesehen «führt der Renault 5 eine neue Plattform für seinen Elektroantrieb ein», erklärt Projektleiter Vincent Theuillon. Sie nennt sich Amp-R Small (früher CMF-B EV) und «ist vollständig auf Elektrofahrzeuge des B-Segments zugeschnitten». Die Lithium-Ionen-Batterie ist ein integraler Bestandteil der Struktur und basiert auf der NMC-Technologie (Nickel-Mangan-Kobalt). Es gibt zwei unterschiedliche Speichergrössen. In der Einstiegsklasse verfügen die Akkus über eine Kapazität von 40 kWh. Die grösste und teuerste Batterie hat eine Kapazität von 52 kWh. Sie besteht aus vier Modulen, während die kleine Batterie ihre Energie in drei Modulen speichert, das vierte Modul – dasjenige unter dem Fahrer – wird einfach weggelassen.

Die kleine Batterie ermöglicht eine theoretische Reichweite von rund 300 Kilometern, die grosse eine von rund 400 Kilometern. Die Akkus können am DC-Schnelllader mit 80 (kleine Batterie) oder 100 kW Leistung aufgeladen werden. An AC-Ladesäulen oder der heimischen Wallbox fliesst der Strom mit maximal 11 kW. Das AC-Ladegerät im Fahrzeug arbeitet dabei bidirektional. Mit anderen Worten: Das Auto kann auch Strom an das Netz abgeben (Vehicle-to-Grid). Das Einstiegsmodell hat diese Funktion jedoch nicht – und darüber hinaus auch keine DC-Ladebuchse.

Der Elektromotor ist technisch vergleichbar mit dem im Megane E-Tech. Allerdings wurde seine Grösse reduziert, damit er problemlos in den kleinen Motorraum passt. Ausserdem ist er 15 Kilogramm leichter. Der Motor bleibt der von Renault bevorzugten Technologie treu: fremderregter Synchronmotor mit gewickeltem Rotor. Er kommt also ohne Permanentmagnete aus und verzichtet auf Seltene Erden. Drei Leistungs- und Drehmomentstufen werden erhältlich sein: 70 kW (95 PS) und 245 Nm, 90 kW (122 PS) und 225 Nm sowie 110 kW (150 PS) und 215 Nm. Alle drei sind mechanisch identisch, lediglich ihr Mapping ist spezifisch. Den stärksten Motor mit 110 kW bietet Renault in Verbindung mit der 52-kWh-Batterie an, während es die beiden schwächeren Antriebe in Kombination mit der 40-kWh-Batterie gibt.

Niedriges Gewicht als Ziel

«Es wurde viel Arbeit investiert, um das Gewicht dieses Elektrofahrzeugs unter 1449 Kilogramm zu halten», betont Theuillon. Dieses Limit gilt für die schwerste Variante des R5, die mit allen Optionen und der grossen 52-kWh-Batterie ausgestattet ist. «Die anderen Varianten werden 100 Kilogramm weniger wiegen, also etwa 1350 Kilogramm», erklärt Theuillon. Das ist zwar immer noch mehr als bei einem Auto mit Verbrennungsmotor der gleichen Klasse, aber durchaus akzeptabel.

Know-how im Bereich des Fahrwerks demonstriert Renault im R5 mit der Mehrlenker-Hinterachse und der MacPherson-Vorderradaufhängung. Dies soll dem Auto eine ausgezeichnete Dynamik verleihen, ohne dass auf Tricks wie eine aktive Federung zurückgegriffen werden muss. Die By-Wire-Bremse ohne mechanische Verbindung zum Pedal soll laut den Ingenieuren gute Übergänge zwischen regenerativem Bremsen und Reibungsbremsen ermöglichen. Das alles klingt vielversprechend, ebenso wie die Aussagen zur Akustik. Das Auto verfügt über ein Schalldämmungssystem mit Lautsprechern und eine speziell gedämmte Windschutzscheibe. Wärmekomfort mit hoher Energieeffizienz soll eine Wärmepumpe gewährleisten. ­Eine Seltenheit im Segment der elektrischen Kleinwagen ist, dass der R5 an seiner Anhängerkupplung eine Last von 500 Kilogramm ziehen kann.

Ein Verkaufsschlager in Sicht?

Der Renault 5 E-Tech Electric wird fast vollständig in Nordfrankreich in einem kurzen Kreislauf produziert. Das Fahrzeug und seine Batterien werden in der Manufaktur in Douai (F) zusammengebaut, die eine der vielen Produktionsstätten des ursprünglichen Renault 5 war. Der Antriebsstrang aus Elektromotor, Getriebe und Leistungselektronik wird in Cléon (F) hergestellt, die Batterien werden ab Sommer 2025 in Douai produziert.

Die gute Nachricht ist, dass der R5 trotzdem mit einen Einstiegspreis von unter 25 000 Euro starten soll. Das wäre der Beweis dafür, dass es immer noch möglich ist, ein in Europa hergestelltes Produkt zu einem wettbewerbsfähigen Preis anzubieten. Es ist schwer zu sagen, ob die inoffizielle Miss Genf 2024 ein grosser kommerzieller Erfolg wird, aber die Chancen stehen gut. 

Fotos: Renault

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