«Das europäische Publikum ist nicht leicht zu überzeugen»
Moritz Doka | 25.11.2025
Gerade ist der Verkauf von Lucids zweitem Modell gestartet, dem SUV Gravity. Wir haben Lawrence Hamilton getroffen, den Europa-Chef des US-E-Auto-Bauers, und sprachen mit ihm über die Markenentwicklung auf dem alten Kontinent.
Lucid Motors hat sich voll und ganz der Elektromobilität verschrieben. Gegründet wurde das Unternehmen mit Sitz im kalifornischen Newark bereits 2007, damals noch unter dem Namen Atieva. 2016 benannte man sich in Lucid Motors um und baut seit 2021 das erste Serienmodell, die Limousine Air. Seit knapp einem Jahr wird mit dem SUV Gravity das zweite Modell produziert.
Die Schweiz gehörte zu den ersten Märkten in Europa, in denen Lucid vertreten war. Europa-Chef Lawrence Hamilton ist seit über drei Jahrzehnten in der Autobranche tätig und war zuletzt Geschäftsführer bei Genesis Motor Europe, bevor er im Dezember 2024 die Führung von Lucid Motor Europe übernahm.
Sein Ziel: Das Markenwachstum voranzutreiben, nicht zuletzt mit dem neuen Modell Gravity. Wir haben ihn im Rahmen der Auto Zürich 2025 getroffen.
Automobil Revue: Was bedeutet die Schweiz als Markt für Lucid?
Lawrence Hamilton: Sehr viel. Die Schweiz ist ein sehr starker Markt mit viel Potenzial für die Elektrifizierung, für Premiumautos und für neue Marken, weil die Schweiz nie wirklich eine starke heimische Automarke hatte. Daher waren Schweizer neuen Marken gegenüber schon immer offener als andere Märkte, denn fast jedes Auto ist eine Importmarke. Wir sehen das als gute Grundlage. Lucid hat bereits ein Studio in Genf und wir haben gerade in ein neues Studio in der Zürcher Innenstadt investiert. Wir sehen also sehr grosses Potenzial auf dem Schweizer Markt.
Dennoch sind es derzeit nur zwei Studios. Wie wollen Sie Lucid einem breiteren Publikum bekannt machen?
Wir sind an einer Reihe von hochkarätigen Veranstaltungen beteiligt. Wir waren in diesem Jahr Sponsor des Tennistuniers Gonet Geneva Open in Genf und sind auch auf den wichtigsten Messen vertreten. Wir arbeiten an einer Reihe weiterer Partnerschaften. Sobald die Verträge unterzeichnet sind, werden wir Ihnen mehr erzählen können. Die Zukunft von Lucid liegt in der Expansion, sowohl was unseren Vertriebsbereich als auch unsere Markenbekanntheit angeht, aber natürlich auch in unserer Modellpalette.
Mit dem Lucid Air und in gewissem Masse auch dem Gravity, unserem neuen Luxus-SUV, bedienen wir zurzeit ein relativ kleines Segment. Aber genau hier wollen wir mit diesen beiden Autos unseren Ruf aufbauen. In einem nächsten Schritt werden wir expandieren und unser Portfolio vergrössern, um mehr Menschen zu erreichen, und uns mehr dem Mainstream-Marketing zuwenden. Wir fangen also klein und fokussiert an, um die Grundlagen für unsere Expansion zu schaffen.
Also ein bisschen so, wie Tesla es damals gemacht hat, nur hat Lucid den Sportwagen übersprungen. Was unterscheidet denn Lucid von Tesla und anderen Mitbewerbern?
Wenn wir über die Differenzierung von Tesla sprechen, dann auf der Ebene der Produktumsetzung. Wir konzentrieren uns viel mehr auf ein luxuriöseres Design, hohe Qualität und unsere Technologie ist weitaus fortschrittlicher. Aus Vertriebssicht müssen wir natürlich noch aufholen. Wir wissen sehr genau, dass wir klein anfangen müssen, aber das ist alles Teil unserer der Strategie. Wir haben bewusst mit ikonischen Fahrzeugen angefangen.
Ich denke, der grosse Unterschied zwischen Tesla und uns wird die Geschwindigkeit sein, mit der wir vorankommen können, denn Tesla musste damals erst einen Markt schaffen. Wir kommen in einen bereits bestehenden Markt und müssen die Leute nicht erst von Elektrofahrzeugen überzeugen. Tesla hat also den Weg geebnet, aber das bedeutet nicht, dass wir es nicht noch besser machen können.
Der Gravity ist das zweite Serienmodell von Lucid
Sicher ist auch die finanzielle Unterstützung des saudi-arabischen Staatsfonds ein Vorteil.
Auf jeden Fall. Das gibt uns Sicherheit. Es ist ein sehr strategischer, langfristiger Partner, dem es nicht nur um schnelles Geld und kurzfristige Renditen geht. Wir sind ein wichtiger Teil ihrer Industrialisierungspolitik, denn sie wollen einen Automobilsektor aufbauen und sehen offensichtlich, wohin sich der Markt langfristig entwickelt. Deshalb suchen sie nach dem besten Partner, mit dem sie zusammenarbeiten können, um die Zukunft zu gestalten.
Wie geht Lucid mit der aktuellen Situation in den USA in Bezug auf Zölle und wegfallende Subventionen für Elektroautos um?
Das kommt jetzt vielleicht ein wenig unerwartet, aber im Moment fühlt sich die Situation für uns nicht unsicher an. Wir sind aus dem Silicon Valley, alle unsere Fahrzeuge werden in Kalifornien designt und entwickelt und in unserem Stammwerk in Arizona gefertigt, einschliesslich der Fahrzeuge für den Export. Zudem haben wir ein zweites ein Werk in Saudi-Arabien, was in Zukunft auch Fahrzeuge für den europäischen Markt produzieren wird. Damit sind wir gut aufgestellt und können global agieren. Natürlich muss jeder Hersteller auf verändernde Marktbedingungen reagieren, das gehört zum Tagesgeschäft.
Ganz wichtig ist aber, dass die grossen politischen Rahmenbedingungen den Kunden und Unternehmen Planungssicherheit geben. Nehmen wir als Beispiel die aktuelle Diskussion um das Verbot von Verbrennungsmotoren in der EU im Jahr 2035. Die Europäische Kommission muss das Ziel einer 100-prozentigen Emissionsreduzierung bis 2035 sowie ihre Zwischenziele beibehalten. Der Markt wird unweigerlich auf E-Autos umsteigen, sodass wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Wir bauen unsere Marke auf, um für diesen grossen Wandel in einem Jahrzehnt bereit zu sein. Die Aussichten sind mittel- bis langfristig positiv. So muss man als Automobilunternehmen denken. Bis dahin werden wir den Ruf von Lucid als führendes E-Auto-Unternehmen gefestigt haben, wo Traditionsmarken sich noch anpassen und aufholen müssen. Wir sehen der Zukunft positiv entgegen.
748 km Reichweite, 839 PS – die Daten des Lucid Gravity beeindrucken
Läuft in der Schweiz und in Europa die Entwicklung für Lucid denn schon so positiv?
Im Moment ja. Wir wussten, dass wir mit dem Lucid Air in einen Nischenmarkt einsteigen. Der Gravity als SUV wird mit mehr Funktionalität schon ein breiteres Publikum ansprechen. Die ersten Reaktionen auf das Auto waren phänomenal. Die Resonanz unserer Kunden ist gut, wir haben schon Hunderte von Probefahrten durchgeführt und freuen uns über einen guten Bestelleingang. Das Auto ist etwas Aussergewöhnliches. Ich glaube nicht, dass es ein anderes Auto gibt, das diese Kombination aus Leistung, Platz, Komfort und Geländetauglichkeit bietet… und man fährt etwas Exklusives! Der Nachbar hat sicher noch keinen.
Vielleicht auch, weil es einem die Schweiz aktuell nicht so leicht macht, auf ein E-Auto umzusteigen, Stichwort Wallboxen in Mietverhältnissen. Tesla hat einst ein dichtes Netz von Superchargen aufgebaut. Plant Lucid etwas Ähnliches, um den Weg für die Elektrifizierung zu ebnen?
Derzeit nicht. Die Ladeinfrastruktur in Europa wächst schnell und wir sehen eine gute Entwicklung. Für Lucid geht es darum, schnell laden zu können, und da sind wir mit unseren Fahrzeugen in einer Spitzenposition. Aber wir werden weiter lokale Regierungen und die EU davon überzeugen, beim schnellen Ladenetzaufbau weiter voranzukommen.
Viele Autohersteller bieten mittlerweile teilelektrische Modelle mit Range Extendern oder Plug-in-Hybride mit hohen elektrischen Reichweiten an. Wäre das für Lucid denkbar?
Nein. Wir haben uns bewusst für Elektrofahrzeuge entschieden, weil sie so viele Möglichkeiten bieten. Für uns war das nie ein Kompromiss, sondern immer der Ausgangspunkt für Optimierung und Maximierung. Das zeigt sich daran, dass wir weltweit die höchste Effizienz bei Elektrofahrzeugen erreichen. Der Air erreicht bis zu 960 Kilometer nach WLTP und hat den Guinness-Weltrekord mit unglaublichen 1205 gefahrenen Kilometern mit nur einer Ladung aufgestellt. Ausserdem ist er das aerodynamischste Auto der Welt. Reichweitenangst gibt es da nicht mehr.
Beim Gravity wird es ähnlich sein, und er bietet dazu noch bis zu neun Sitze, Frunk inklusive. All das durch die EV-Plattform und unsere kompakten Motoren, die es uns ermöglichen, Grenzen zu überschreiten. Und nebenbei: Der Air Sapphire wurde in Deutschland zum Performanceauto des Jahres gewählt. Das deutsche und europäische Publikum ist in diesen Dingen nicht leicht zu überzeugen. Kurz: Das Elektroauto ist die Basis für unseren Erfolg, alles andere wäre ein Rückschritt.
Die Panoramawindschutzscheibe ist Lucids Markenzeichen
Was würde ein kleineres Lucid-Modell von der Konkurrenz unterscheiden?
Effizienz ist das Schlüsselwort. Indem wir sehr viel innerhalb des Unternehmens selbst entwickeln, können wir Technologien über unterschiedliche Baureihen hinweg nutzen. Wir stellen zwar keine Batteriezellen her, aber die Batteriepacks. Ebenso die Wechselrichtertechnologie, die die Energie in Antriebsleistung umwandelt und die Ladegeschwindigkeit optimiert, die ebenfalls auf das Design des Batteriepacks abgestimmt ist. Auch die Motoren stammen von uns. Das ist unser Erfolgsrezept.
Das vierte Element ist die Software. Auch diese entwickeln wir intern. Uns unsere Elektromotoren der zweiten Generation werden noch kleiner und effizienter sein und mehr aus der Batterie herausholen. Der Fokus liegt auf dem, was für Käufer von Mittelklassewagen wirklich wichtig ist, also Reichweite, schnelle Ladezeiten und Geräumigkeit. Ein besonderes Design und beste Aerodynamik sind selbstverständlich, ebenso wie aussergewöhnliche Detaillösungen, die man nicht mehr missen möchte, wenn man sie erst einmal erfahren hat.
Etwa die Möglichkeit, den Frunk des Gravity zur Sitzbank umzuwandeln?
Zum Beispiel. Wir wollen Funktionen unserer Fahrzeuge spannend und überraschend kommunizieren und setzen voll auf die Benutzererfahrung. In diesem Fall eben beim Stauraum. Es geht darum, auszureizen, was Elektrifizierung als Erlebnis wirklich bringen und verändern kann. Ich habe früher in der Werbebranche gearbeitet und Gefallen an Cartoons und Animationen gefunden, weil man damit so viel mehr machen kann. Die Elektrifizierung ist fast das gleiche Rezept für Auto. Sie gibt uns eine grossartige Gelegenheit, wirklich neu zu überdenken, was man mit Autos tun kann.
Aber zuerst muss man die Menschen dazu bringen, überhaupt einmal ein Elektroauto zu testen, um diese Erfahrung machen zu können.
Da haben Sie völlig recht. Der Gesamtanteil der Elektroautos auf europäischen Strassen beträgt zurzeit etwa ein bis zwei Prozent. Also haben 98 bis 99 Prozent der europäischen Kunden noch kein Elektroauto gekauft und wahrscheinlich noch nie eines gefahren. Diese Menschen sind noch nicht überzeugt, weil sie bisher keine Erfahrung mit E-Autos gemacht haben. Man muss die Leute zum ersten Mal hinter das Steuer eines E-Autos bringen. Darauf konzentriert sich ein Grossteil unseres Marketings.
Der Lucid Gravity bietet bis zu sieben Sitze
In der Schweiz beträgt das Durchschnittsalter der Autos auf der Strasse etwa neun Jahre. Nachdem Elektroautos nun vor etwa zehn Jahren so richtig gestartet sind und das Angebot heute gross ist, müsste rein rechnerisch jetzt eine grosse Welle an E-Auto-Käufen kommen. Nur macht die Schweizer Gesetzgebung eher Rückschritte in Sachen Elektrifizierung.
In der Europa ist der Tenor «Ihr müsst den Kurs beim Verbot von Verbrennungsmotoren beibehalten», trotz Gegenwind mancher Hersteller. Und was in Europa geschieht, wird auch in der Schweiz geschehen. Natürlich, denn es geht nicht nur um den Klimawandel. Es geht um die Energiesicherheit. Wir müssen weniger abhängig von fossilen Brennstoffen und in der Lage sein, mehr unserer eigenen Energie zu erzeugen. Die Elektrifizierung, wird kommen, man muss auf den Zug aufspringen und den Übergang lieber früher als später vollziehen. Die Kunden werden ihre Erfahrungen mit Elektroautos machen.
Kundenerfahrung, ein gutes Stichwort. Uns hat eine Nachricht eines Lucid-Kunden erreicht, der mit seinem Auto alles andere als zufrieden ist. Er habe jede Menge Probleme mit der Software, dass manchmal die Türen nicht öffnen, die Software Störungen habe, es sich nicht aufladen lasse, und so weiter. Ausserdem sei der Software-Standard hinter dem in den USA verfügbaren. Was entgegen Sie diesem Kunden?
Zwei Dinge. Erstens: Rufen Sie uns an, lassen Sie es uns wissen. Wir haben ein Schweizer Servicenetzwerk, damit wir uns um solche speziellen Fälle kümmern können. Jedes Unternehmen und jedes Auto haben ihre Herausforderungen. Zweitens: Die Software ändert sich ständig, wir verschicken regelmässig Over-the-Air-Updates. Es werden fortlaufend neue Funktionen hinzugefügt oder Anpassungen und Optimierungen vorgenommen. Probleme innerhalb der Software sind schwieriger zu beheben als mechanische. Denn man muss das Problem für alle Nutzer einheitlich beheben. Daher kommt es gelegentlich zu kleinen Verzögerungen.
Bezüglich des Softwarestands gebe ich Ihnen ein Beispiel, nehmen wir automatisierte Fahrsysteme. Verschiedene Märkte haben unterschiedliche Strassen, Markierungen und Schilder. Hinzu kommen unterschiedliche Sprachen und Gesetzgebungen. Wenn wir also die Fahrassistenten updaten wollen, müssen wir dies für alle Märkte einzeln tun. Da ist Europa komplexer als die USA, wo landesweit vieles einheitlich ist. Wir rollen Updates und Funktionen überall aus, auch wenn die Einführung in Europa unter bestimmten Umständen etwas länger dauern kann.
Zum Abschluss: Wie gefällt Ihnen die Auto Zürich?
Ich bin zum ersten Mal hier und bin ziemlich beeindruckt. Von der Anzahl der Aussteller, der Anzahl der Autos. Es ist gut, dass die Messe zugänglicher und erschwinglicher ist, sowohl für die Besucher als auch für die Händler und Aussteller. Und es ist schön, eine Mischung aus alten und neuen Autos zu sehen. Die Auto Zürich ist ein sehr positives Signal für die Branche.