Übergewicht? Kein Problem

Tristano Gallace | 09.11.2023

Auflastung Auch Fahrzeuge 
haben Gewichtsprobleme. Wird das ­Gesamtgewicht überschritten, gilt es, 
entweder abzuladen oder aufzulasten.

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Der Tarif ist einfach: 100 Kilogramm sind 100 Franken. So hoch ist die Ordnungsbusse, wenn man mit ­einem überladenen Fahrzeug am Strassenverkehr teilnimmt. Wird das Fahrzeuggesamtgewicht gar um mehr als fünf Prozent überschritten, muss man mit einem Strafbefehl und damit noch mehr Ärger rechnen. Überladen zu fahren, ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Sicherheitsrisiko für Passagiere und Fahrzeug. Die Fahreigenschaften leiden, dazu können strukturelle Probleme wie Risse oder Schäden an Reifen die Folge sein.

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Dehnmessstreifen werden an kritischen Stellen wie Schweissnähten oder ­Aussparungen platziert.

Besonders bei Arbeitsfahrzeugen wie Pick-ups und Transportern sind die erlaubten Grenzen schnell erreicht. Selbst die Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr rollen durch deren umfangreiche Zusatzausstattung gewichtstechnisch am Limit. Doch ob für einen Schneepflug an der Vorderachse oder für mehr Transportkapazität an der Hinterachse: als Lösung bietet sich die Auflastung an.

Auflastung Stufe 1

Auflastungen werden in zwei Stufen unterteilt, und nur die vom Bundesamt für Strassen (Astra) anerkannten Prüfstellen sind befugt, die nötigen technischen Untersuchungen auszuführen. Bei der Stufe 1 werden die vom Hersteller zulässigen Achsgarantien hinsichtlich ihrer Festigkeit bis zum Maximum ausgereizt. Addiert ergibt diese Summe das neu zulässige Fahrzeuggesamtgewicht. Um die Betriebs- und Verkehrssicherheit zu untersuchen, wird das Testfahrzeug auf die entsprechenden Achsgarantien beladen und mit Messsystemen ausgerüstet. Danach werden sämtliche fahrdynamischen Untersuchungen mit diesem höheren Gesamtgewicht durchgeführt. Die Untersuchungen umfassen Geradeauslauf, Kurvenfahrt oder das Übergangsverhalten, etwa beim Slalom. Die subjektive Beurteilung des Fahrverhaltens wird mit den Daten der Messsysteme ausgewertet und interpretiert. Zu den Daten gehören die gefahrenen Geschwindigkeiten, die Querbeschleunigung oder ESC-Eingriffe.

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Bei Auflastungen auf ein Gesamtgewicht (GG) von mehr als 3.5 Tonnen ist ein Fahrzeugklassenwechsel nötig, und der Fahrer benötigt den Ausweis der Kategorie C.

Anschliessend müssen die normativen Vorgaben der Bremswirkung nachgewiesen werden. Verzögert das Fahrzeug mit dem Mehrgewicht noch gemäss Norm? Hier liefern die Sensoren Daten, um die maximale Verzögerung mit den jeweiligen gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerten vergleichen zu können. Neben dem Verzögerungsvermögen der Betriebsbremse werden zusätzlich die Heissbremswirkung, die Hilfsbremse sowie die Simulation eines Bremskreisausfalls untersucht.

Bei unkontrollierbarem Fahrverhalten muss nachgebessert werden. Bei der Hardware würde dies beispielsweise den Einbau eines besseren Bremssystems bedeuten, bei der Software könnte eine Umprogrammierung des ESP zur Verbesserung der Fahrstabilität beitragen. Verlaufen die Untersuchungen zu Fahrverhalten und Bremswirkung jedoch positiv, darf die akkreditierte Prüfstelle eine Prüfbestätigung ausstellen.

Auflastung Stufe 2

Bei der Stufe 2 wird über die originalen Achsgarantien hinaus aufgelastet. Hierfür sind technische Änderungen nötig, zum Beispiel die Verwendung von stärkeren Fahrwerkskomponenten oder Zusatzluftfederungen, um den deutlich höheren Belastungen entgegenwirken zu können. Für die Prüfstelle sind zusätzlich zu den Untersuchungen der Stufe 1 Festigkeitsmessungen im dynamischen Fahrbetrieb nötig. Dabei helfen Dehnmessstreifen, die Belastung an der Fahrzeugstruktur zu ermitteln. Diese Messstreifen besitzen kleine Messgitter, die physikalische Grössen, in diesem Fall Zug- und Druckkräfte, in eine messbare Veränderung umwandeln. Das Messgitter reagiert bei äusserem Krafteinfluss sehr empfindlich mit einem Widerstandsunterschied, welcher mit den Materialeigenschaften kombiniert ­eine genaue Aussage über die vorherrschende Materialspannung zulässt. Eine Auswertung der ermittelten Spannungen sowie eine Lebensdauerberechnung geben Aufschluss darüber, ob die Messstellen den hohen Belastungen standhalten, oder ob eine Verbesserung konzipiert werden muss. Sind sämtliche Untersuchungsergebnisse positiv, kann eine entsprechende Bestätigung mit den Merkmalen der technischen Umrüstung und dem neuen Garantiegewicht erstellt werden. Diese muss zur Immatrikulation des Fahrzeugs dem zuständigen Strassenverkehrsamt vorgelegt werden, sodass die neuen Garantiegewichte im Fahrzeugschein eingetragen werden können.

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In der Theorie geht vieles, doch nichts ersetzt einen empirischen Versuch auf der Teststrecke.

Nun muss jedoch nicht jedes einzelne Fahrzeug bei den harten Untersuchungen auf dem Testgelände leiden. Besonders spezialisierte Fahrzeugaufbauer bieten Auflastungs-Bestätigungen für viele Marken, Modelle, Versionen und Varianten mit oder ohne Höherlegung an. 

Fotos: Dynamic Test Center, Vesa Eskola

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