Warum nach einem Verstoss gegen Verkehrsregeln gleich mehrere Verfahren drohen – und der Ausweis weg ist
Fanny Roulet | 14.11.2024
Zu schnell gefahren, der Blitzer hat seine Arbeit getan: Das hat Ordnungsbussen oder Geldstrafen zur Folge, die in der Schweiz bekanntlich schnell hohe dreistellige Beträge erreichen.Das ist aber noch nicht alles: nach einem Verkehrsverstoss werden auch die Verwaltungsbehörden aktiv und der Entzug des Führerausweises droht.
Nach einem Verstoss gegen die Strassenverkehrsregeln kommt es unabhängig von der Schwere immer zu einem Strafverfahren. Im einfachsten Fall ist es mit einer Ordnungsbusse getan, die dem Geldbeutel weh tut, aber keine weiteren Folgen hat. Das Ordnungsbussenverfahren wird jen ach Kanton von der Polizei, einer zentralen Bussgeldstelle, einem Statthalteramt oder einer anderen Behörde geführt. Bei schwereren Verstössen hat die Staatsanwaltschaft das Heft in der Hand.
Handelt es sich um sicherheitsrelevante Verstösse, zum Beispiel Missachten der Vorfahrt oder höhere Überschreitungen der Tempolimiten, dann ist die Geschichte mit einer hohen Busse oder Geldstrafe noch nicht zu Ende.
Zusätzlich zur strafrechtlichen Sanktion wird dem Autofahrer eine administrative Massnahme auferlegt – von der einfachen Verwarnung bis zum Entzug des Führerausweises. Dieses zweite Verfahren wird systematisch eingeleitet, wenn das vorgeworfene Verhalten in einem Verstoss gegen eine Verkehrsregel besteht, welche die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer gewährleisten soll. Wenn es sich beim Verstoss darüber hinaus auch noch um Fahren in stark alkoholisiertem Zustand, unter Drogeneinfluss oder in einem Zustand der Fahruntüchtigkeit aus einem anderen Grund handelt, liegt noch ein drittes, diesmal medizinisches Verfahren des Strassenverkehrsamts in der Luft.
Zwei parallel geführte Verfahren: Straf- und Verwaltungsbehörden werden aktiv
Die Besonderheit ist, dass die Straf- und Verwaltungsbehörden sich nicht koordinieren und praktisch nicht miteinander kommunizieren. Jede zieht nach Erhalt des Polizeiberichts ihr eigenes Verfahren durch, ohne sich darum zu kümmern, was die andere Behörde entscheidet.
Die Verwaltungsbehörden können zwar die Strafe verhängen, die ihnen angemessen erscheint, dürfen aber nicht von den Tatsachen abweichen, die von den Strafbehörden festgestellt wurden. Wenn der Fahrer also den ihm vorgeworfenen Verstoss bestreitet, muss er oder sein Rechtsbeistand handeln – denn sonst wartet die Verwaltungsbehörde nicht auf das Ende des Strafverfahrens.
Es gilt also, bei der Verwaltungsbehörde die Aussetzung des Verfahrens bis zum Ende des Strafverfahrens zu beantragen. Denn sonst wird sich die Behörde bei der Beurteilung der Schwere des Fehlverhaltens und der Verhängung einer Strafe auf den –umstrittenen – Sachverhalt im Polizeibericht stützen.
Zwei Behörden, zwei unterschiedliche Bewertungen
Zwar muss sich die Verwaltungsbehörde, wie bereits erwähnt, auf die von der Strafbehördefestgehaltenen Fakten beziehen, doch steht es ihr dennoch völlig frei, das Fehlverhalten nach eigenem Ermessen zu qualifizieren und die Strafe zu verhängen, die ihr angemessen erscheint, ohne die Entscheidungen der Strafbehörde zu berücksichtigen.
So kam es bereits vor, dass ein Verhalten, das von den Strafbehörden als wenig schwerwiegend eingestuft wurde, von den Verwaltungsbehörden im Gegensatz dazu als schwerwiegend beurteilt wurde – mit der Folge eines langen Ausweisentzugs (Bundesgerichtsurteil 1C_512/2017).
Dies gilt umso mehr, als die Abstufungen des Verschuldens im Strafrecht und im administrativen Strassenverkehrsrecht nicht dieselben sind.
Aus verwaltungsrechtlicher Sicht kann das Verschulden leicht, mittelschwer oder schwer sein. Aus strafrechtlicher Sicht ist es jedoch entweder leicht oder schwer. Das führt zu Abgrenzungsproblemen.
So kann ein Unfall mit leichtem Sachschaden und einem Schleudertrauma beim Geschädigten im Strafrecht als leichtes Verschulden eingestuft werden und zu einem einfachen Strafzettel führen, wird aber von den Behörden, die über den Entzug des Führerausweises entscheiden, fast immer als mittelschweres Verschulden eingestuft.
Folge: Trotz einer einfachen Ordnungsbusse wird der Führerausweis für mindestens einen Monat entzogen, wenn der Fahrer nicht vorbestraft ist.
Auf Nummer sicher gehen
Nach einem Verstoss ist die erste Regel für jeden Autofahrer, seine Post regelmässig zu überprüfen und sie während seiner Abwesenheit von einem Angehörigen abholen zu lassen. Die Verfahren können schnell aufeinander folgen, und man sollte keine Frist versäumen.
Ist man mit den Vorwürfen nicht einverstanden oder gibt es Erklärungen, die als Milderungsgrund gelten könnten, sollte man unbedingt sofort die Aussetzung des Administrativverfahrens bei der Verwaltungsbehörde beantragen. Diese wird dann recht bald die Abgabe einer Stellungnahme einfordern.
Gleichzeitig muss man die strafrechtliche Sanktion innerhalb der gesetzten Frist anfechten, also innerhalb von zehn Tagen, wenn ein Strafbefehl verhängt wurde.
Wenn das Strafverfahren abgeschlossen ist, kann man das Urteil an die Verwaltungsbehörde weiterleiten und sich auf die in diesem Verfahren festgestellten Tatsachen berufen.