Werner J. Haller | 23.10.2024 
                   
        
          Konstanz war für Louis Delétraz der Schlüssel zum dritten Titelgewinn in der European Le Mans Series. Stabilität vermisste der Genfer dagegen in der US-amerikanischen Sportwagenmeisterschaft.
         
        
                    
                                                                
              Bis 2020 war Louis Delétraz sowas wie die grösste Hoffnung der Schweiz, endlich wieder einen Formel-1-Piloten zu haben. Zum Jahresende hatte der Genfer aber nach vier Saisons genug von der Formel 2, zumal er beim F1-Team von Haas als Ersatz- und Testfahrer eingesetzt werden sollte, es wegen der Pandemie aber nicht dazu kam.
Heute, 27-jährig, ist Delétraz überglücklich, dass er sich trotz aller Liebe zum Formel-Rennsport für eine Karrierefortsetzung im Langstreckenrennsport entschieden hatte. Die Langstrecken-WM und die US-amerikanische Meisterschaft erleben nach dem Wechsel von den teuren LMP1- und DPI-Prototypen zu den günstigeren Hypercars und LMDh-Boliden eine neue, glorreiche Ära mit immer mehr Herstellern, die dabei sein wollen oder bisweilen sogar wieder den Weg zurück in den Rennsport finden. Junge Piloten machen es Delétraz nach, steigen von Formel-Boliden in Prototypen um und fahren in Nachwuchsserien, von denen es in den vergangenen Jahren immer mehr gab.
Dieses Jahr feierte Louis Delétraz in der European Le Mans Series (ELMS) bereits seinen dritten Titelgewinn in der Prototypenklasse LMP2. In dieser holte er letztes Jahr auch den Gesamtsieg in der Langstrecken-Weltmeisterschaft. Ziel des Genfers ist es, neben der US-amerikanischen Sportwagenmeisterschaft dereinst auch in der Königsklasse Hypercars der Langstrecken-WM zu fahren. 
AUTOMOBIL REVUE: Sie sind zum dritten Mal Gesamtsieger der European Le Mans Series. Aber die Titelentscheidungen unterscheiden sich. 2021 gewannen Sie von sechs Rennen drei, dazu kam ein zweiter Platz. 2022 siegten Sie bei sechs Rennen vier Mal und holten noch einen dritten Rang. Dieses Jahr aber gewannen Sie nur ein Rennen und standen drei Mal noch auf dem Podest. Man könnte sagen: Von der Dominanz einst zur Konstanz heute. Ist das richtig?
Louis Delétraz: Die Konstanz ist wichtig, weil die Anforderungen in der Prototypen-Klasse LMP2 grösser geworden sind. Das Level in der European Le Mans Series war schon in den Jahren meiner ersten Titelgewinne hoch, aber es ist nochmals merklich angestiegen, weil die LMP2-Autos seit diesem Jahr nicht mehr in der Langstrecken-WM zugelassen sind und sich eben in einer ELMS finden. Die Konstanz war somit der Schlüssel zum Erfolg.
             
                                                                                                              
                                      
                    
                                                                
              Gibt es auch mehr Nachwuchsfahrer, die sich über junge 
Prototypenserien auf dem Weg in die Langstrecken-WM oder die 
US-amerikanische Sportwagenmeisterschaft für Cockpits empfehlen?
Das ist so! Viele junge Rennfahrer merken, dass der Weg über 
Formel-Rennserien in die Formel 1 sehr, sehr schwierig ist. Sie 
schwenken aber auch um auf den Langstreckensport, weil sie sehen, wie 
attraktiv er in den vergangenen Jahren geworden ist. Wir erleben gerade 
eine grosse Ära des Langstreckenrennsports, in Europa und in Amerika. 
Die Rennen sind fantastisch, die Hersteller steigen ein, die Zuschauer 
kommen an die Strecken – das bringt Geld. Eine Karriere bei den 
Prototypen ist wahrscheinlicher als in der Formel 1.
Ihre Karriere hat Sie dieses Jahr nach Amerika geführt, die 
Langstrecken-WM und Le Mans sind weitere Ziele. Was bedeutet Ihnen 
demnach dieser dritte Titel in der ELMS, der inoffiziellen 
Prototypen-Europameisterschaft?
Eine Menge! Einerseits holte ich den Titel erneut mit meinem guten 
Kumpel Robert Kubica, aber auch die Arbeit mit unserem neuen 
Teamkollegen Jonny Edgar machte Spass. Andererseits hat aber auch die 
Meisterschaft für mich einen sehr hohen Stellenwert. Kalt gelassen hat 
es mich auf jeden Fall nicht, der Druck war gross, ich hatte einige 
schlaflose Nächte. Das sagt viel (lacht). Zur Routine wird eine solche 
Titeljagd nie, es steckt schlicht zu viel Arbeit dahinter, vom ganzen 
Team – umso mehr freut man sich, wenn man siegt.
Wie gerne fahren Sie heute noch LMP2-Autos, wo Sie doch in den USA schon die moderneren und stärkeren GTP-Prototypen lenken?
Ich liebe es, LMP2-Autos zu fahren! Es gibt Gemeinsamkeiten mit den 
GTP-Autos in der IMSA-Meisterschaft oder den Hypercars in der 
Langstrecken-WM. Aber LMP2-Autos haben keinen Hybridantrieb, dadurch 
sind sie leichter, vermeintlich einfacher in der Handhabung. Aber weil 
in der ELMS alle dieselben Autos haben, ist der technische Wettkampf 
ausgeglichen, es kommt mehr auf die Fahrer an. Und solche Rennen machen 
mir wirklich sehr viel Spass! Die IMSA-Meisterschaft und die 
Langstrecken-WM sind grösser, es gibt Hersteller, die ihre Autos immer 
weiterentwickeln, die sind im Vergleich zu LMP2-Autos komplizierter zu 
verstehen und einzustellen. Aber auch das reizt mich natürlich.
Wir haben die USA angesprochen: Dort sind Sie stark in die 
Meisterschaft gestartet mit einem dritten Platz bei den 24 Stunden von 
Daytona und dem Sieg in Sebring. Aber bei den sieben nachfolgenden 
Rennen gab es keine Spitzenplätze mehr. Weshalb?
Stimmt, für uns wurde die Meisterschaft nach den Anfangserfolgen – 
vor allem Sebring bleibt mir in bester Erinnerung! – schwierig. Das kann
 man aber erklären. Das Team Wayne Taylor Racing with Andretti verfügte 
dieses Jahr neu über zwei GTP-Autos, letztes Jahr gab es nur ein Auto. 
Das ganze Team war natürlich motiviert, aber zwei Autos bringen 
nachvollziehbar eben auch mehr Arbeit mit sich. Obwohl das Team bereits 
viel Erfahrung hatte, musste es doch dazulernen. Unser Erfolg definierte
 sich in diesem Jahr eben auch aus dieser Perspektive. Umso stärker 
werden wir in der Zukunft sein. Auch andere Teams, zum Beispiel Penske, 
vergrösserten in der Vergangenheit die Anzahl der Rennwagen, mussten 
aber erst lernen, damit umzugehen.
             
                                                                                                              
                                      
                    
                                                                
              Auf die kommende Saison steht erneut eine Veränderung für ihr
 Team an. Der Werkspartner ist nicht mehr Acura sondern Cadillac. 
Gemessen an den Podestplätzen in der US-amerikanischen Meisterschaft ist
 das GTP-Auto Cadillac V-Series.R nach dem Porsche 963 der 
erfolgreichste Prototyp der IMSA. 
Richtig. Acura stellte uns ein gutes GTP-Auto hin. Aber vom Cadillac bin ich begeistert.
Dieses Jahr wollten Sie neben der US-Meisterschaft auch in 
der Langstrecken-WM fahren. Dieser Plan war nicht umsetzbar. Wie sieht 
es nächstes Jahr aus?
Dieses Jahr war es mir nicht möglich, in beiden Serien zu starten, 
weil Acura nur in Amerika am Start war. Ziel ist es nach wie vor, dass 
ich in beiden Rennserien fahren kann. Nächstes Jahr wird das erneut 
nicht der Fall sein, ich hoffe aber, dass ich zumindest bei den 24 
Stunden von Le Mans ein Hypercar fahren kann (dieses Jahr fuhr Delétraz 
ein LMP2-Auto und somit nicht um den Gesamtsieg – Red.). Mit Cadillac 
ist diese Option möglich. 
             
                                                                                                              
                                      
                    
                                                                
              Fotos: ELMS, IMSA, FIA WEC