Formel 1 – Die Masken fallen

Elmar Brümmer | 30.05.2024

Grand Prix von Monaco Erneute Nieder­lage für Max Verstappen. 
Der Sieg von Ferraris Charles Leclerc in Monaco gibt dem Red-Bull-Piloten zu denken.

102292

Der grösste Sieg: Charles Leclerc feiert mit dem Ferrari-Team seinen lange ersehnten Heimsieg beim Grand Prix von Monaco.

Von den letzten drei Rennen in der Formel 1 konnte Max Verstappen nur eines gewinnen. Das zeigt schon rein statistisch, dass den Rennstall Red Bull Racing zum Ende des ersten Saisonviertels der Mammutsaison eine echte Krise ereilt hat. Bewusst muss man das technische Malaise vom fahrerisch aussergewöhnlichen Niederländer trennen, denn der Titelverteidiger fährt seit Wochen in der Form seines Lebens, nur deshalb steht er immer noch da, wo er steht – mit einem Vorsprung von mehr als ­einem Sieg an der Spitze der WM-Wertung. Derweil haben die Zeitungen an der Côte d’Azur Ferraris Charles Leclerc nach dessen Sieg beim Heimrennen in Monaco bereits in den Adelsstand erhoben, sie titeln: «Charles 1er de Monaco». Aber bis ganz nach vorne sind es noch ein paar Etappen.

Einzelkämpfer Verstappen

Ausgerechnet das allerlangweiligste Rennen in Monaco seit Jahren, bei dem die ersten Zehn nach dem Neustart in der Startreihenfolge auch ins Ziel kamen, hat diese WM zusätzlich spannend gemacht. Endlich, endlich hat Leclerc den Fluch über seinem Heimrennen abgeschüttelt und mit einer tadellosen Leistung über das ganze Wochenende hinweg seinen sechsten Karrieresieg eingefahren. Der Ferrari-Pilot hat sich damit als erster Verfolger des Niederländers positioniert, und die Scuderia ist in der Konstrukteurswertung sogar schon bis auf 25 Zähler an Red Bull herangekommen – was allerdings auch einmal mehr am unglücklichen Sergio Pérez liegt. Verstappen wird abermals zum Einzelkämpfer, und er hat es dabei nicht nur mit dem roten Rennwagen zu tun, der bekanntermassen auf Strassenkursen besser zurechtkommt.

102298

McLaren: Zum vierten Mal in Serie auf dem Podest, diesmal jubelte als Zweiter Oscar 
Piastri (r.), Lando Norris wurde Vierter.

102295

McLaren: Zum vierten Mal in Serie auf dem Podest, diesmal jubelte als Zweiter Oscar 
Piastri.

Zum zweiten Mal in Folge war in Monaco Oscar Piastri mit dem McLaren der Zweitschnellste im Qualifying. Der Australier und sein Nebensitzer Lando Norris pushen sich gegenseitig. Das zeigt aber auch einen Vorteil auf, den Verstappen haben könnte: Seine direkten Konkurrenten, die allesamt Lunte gerochen haben, kannibalisieren sich. Und dennoch wurde einmal mehr deutlich, dass in der zusammengerückten Spitze alles möglich zu sein scheint in den restlichen zwei Dritteln der Saison. «Wir haben bisher aus allen Rennen das Maximum herausgeholt», sagt Leclerc über die Ferrari-Taktik, sich kontinuierlich an die Spitze heranzuarbeiten. Teamchef Frédéric Vasseur, mit dem zusammen er nach dem Triumph übermütig ins Hafenbecken sprang, hat Ruhe in die Scuderia gebracht und sie zugleich angestachelt.

Red Bull in der Defensive, das ist eine reizvolle Spielart des aktuellen sportlichen Schicksals. Allerdings ist das Malaise auch mit etwas Vorsicht zu geniessen, denn als einziges Topteam hat das Team aus Milton Keynes (GB) noch kein grösseres Upgrade ans Auto gebracht. «Wie ein Känguru», klagte Verstappen, sei sein Rennwagen über die Strassen Monacos gehüpft. Schon in Miami (USA), aber auch in Imola (I) war er höchst unzufrieden mit der Fahrzeugabstimmung.

Vielleicht ein Stück zu weit

Meist konnte der Niederländer, der bis vor ein paar Wochen trotz allen Trubels in und um seinen Rennstall wieder wie ein einsamer Favorit aussah, die Schwächen seines Autos immer noch mit dem eigenen Können übertünchen. Diesmal aber war nichts mehr zu retten, auch taktisch nicht – das Bummeltempo machte alle taktischen Alternativen zunichte. Das Auto ist schwierig in Balance zu bringen, weil der scheidende Designguru Adrian Newey einmal mehr ans technische Limit gegangen ist. Vielleicht ein Stück zu weit. Aber das musste der Brite auch, denn wie der erfolgreiche Angriff von Leclerc und der Sieg von Lando Norris mit dem McLaren in Miami zeigten, haben die Angreifer im dritten Jahr des Ground-Effect-Reglements rasend schnell aufgeholt.

102299

Max Verstappen: Wohin geht es mit dem ­Weltmeister und dem Red-Bull-Team?

102303

Max Verstappen: Wohin geht es mit dem ­Weltmeister und dem Red-Bull-Team?

102294

Sergio Pérez: Die Überreste seines Red Bull nach dem Crash kurz nach dem Start.

Ferrari ist stark auf temporären Pisten, wie nun in Montreal (Kanada) schon wieder eine auf dem Programm steht, und wo Red Bull mit seinem harten und steifen Fahrwerk und der tiefen Fahrzeugfront schon immer im Nachteil war. Die rote Göttin hat in langsamen Kurven eine höhere Fahrzeughöhe, dadurch nimmt der aerodynamische Abtrieb nicht ab, wenn es über die Kerbs geht – das Auto bleibt unverändert schnell. Schon letztes Jahr in Las Vegas (USA) zeigte sich das deutlich, als Verstappen eine Niederlage mit viel Geschick gerade noch abwendete. In Australien, wo Carlos Sainz ­einen Ausfall von Verstappen zum Sieg nutzte, kam Ferrari diese Charakteristik ebenfalls zupass.

Schwächen deutlich aufgezeigt

«Wir wissen, auf welchen Strecken unser Auto sich schwertut, von denen kommen noch einige», resümiert Verstappen, «aber es kommen auch wieder andere. Wenn es überhaupt etwas Positives gibt, das wir von diesem Wochenende mitnehmen können», sagt der genervte Champion, «dann ist es die Tatsache, dass uns unsere Schwächen deutlich aufgezeigt worden sind. Jetzt wissen wir, woran wir arbeiten müssen.» Seit zwei Jahren kämpfe er auf unebenen Pisten mit seinem Auto. «Solange wir einen generellen technischen Vorteil hatten, konnten wir das verbergen und haben an anderen Stellen wieder Zeit gutgemacht. Aber seit uns die anderen nähergekommen sind, lässt sich das nicht mehr verbergen.» Die Masken fallen in der Formel 1. 

102297

Sauber: Nun das einzige Team, das in diesem Jahr noch keine Punkte geholt hat.

Fotos: Ferrari, McLaren, Red Bull, Sauber

Resultate

Grand Prix von Monaco. Monaco, 8. von 24 Läufen: 1. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 78 Runden zu 3.337 km (=260.286 km), 2:23:15.554 Stunden (=109.013 km/h; GP nach Startunfall abgebrochen und neu gestartet). 2. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 7.152 Sekunden zurück. 3. Carlos Sainz (E), Ferrari, 7.585. 4. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 8.650. 5. George Russell (GB), Mercedes, 13.309. 6. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 13.853. 7. Lewis Hamilton (GB), Mercedes, 14.908. 8. Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda, 1 Runde zurück. 9. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 1 Rd. 10. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 1 Rd. 11. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 2 Runden zurück. 12. Daniel Ricciardo (AUS), Racing Bulls-Honda, 2 Rdn. 13. Valtteri Bottas (FIN), Sauber-Ferrari, 2 Rdn. 14. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 2 Rdn. 15. Logan Sargeant (USA), Williams-Mercedes, 2 Rdn. 16. Guanyu Zhou (CHN), Sauber-Ferrari, 2 Rdn. – Ausfälle: Esteban Ocon (F), Alpine-Renault (1. Runde, Unfall); Sergio Pérez (MEX), Red Bull-Honda (1., Unfall); Nico Hülkenberg (D), Haas-Ferrari (1., Unfall); Kevin Magnussen (DK), Haas-Ferrari (1., Unfall). – 20 Fahrer gestartet, 16 klassiert. – Schnellste Runde (+1 Punkt): Hamilton, 63. Runde, 1:14.165 Minuten (=161.979 km/h). – Poleposition: Le­clerc, 1:10.270 Minuten (=170.957 km/h).

Stände. Fahrer: 1. Verstappen, 169 Punkte (5 Saisonsiege). 2. Leclerc 138 (1). 3. Norris 113 (1). 4. Sainz 108 (1). 5. Pérez 107. 6. Piastri 71. 7. Russell 54. 8. Hamilton 42. 9. Alonso 33. 10. Tsunoda 19. 11. Stroll 11. 12. Oliver Bearman (GB), Ferrari, 6. 13. Hülkenberg 6. 14. Ricciardo 5. 15. Albon 2. 16. Ocon 1. 17. Magnussen 1. 18. Gasly 1. – Konstrukteure: 1. Red Bull-Honda 276 (5). 2. Ferrari 252 (2). 3. McLaren-Mercedes 184 (1). 4. Mercedes 96. 5. Aston Martin-Mercedes 44. 6. Racing Bulls-Honda 24. 7. Haas-Ferrari 7. 8. Williams-Mercedes 2. 9. Alpine-Renault 2.

Nächster Lauf: Grand Prix von Kanada, Montreal, 9. Juni 2024, 20 Uhr (MEZ).

Die Sauber-Statistik

Valtteri Bottas (Foto) GP: 13. Platz (saisonübergreifend 13. GP ohne Punkte). – Beste Platzierung im GP: 13. Platz (51. Runde bis Ziel). – Qualifikation: 19. Platz (von Position 17 gestartet nach Disqualifikation von Haas-Duo Hülkenberg/Magnussen).

Guanyu Zhou GP: 16. Platz (saisonübergreifend 13. GP ohne Punkte). – Beste Platzierung im GP: 14. Platz (48./49. Runde). – Qualifikation: 20. Platz (von Position 18 gestartet nach Disqualifikation von Haas-Duo Hülkenberg/Magnussen).

102293

Kommentare

Keine Kommentare