Halbzeitbilanz Zwölf Grand Prix, sechs Sieger. Die Formel 1 ist zur Saisonhälfte spannend wie lange nicht mehr. Aber wo es Sieger gibt, da sind auch die Verlierer nicht weit.
Rekordsieg: Mercedes' Lewis Hamilton gewinnt zum neunten Mal sein Heimrennen, den Grand Prix von Grossbritannien.
Halbzeit in der nicht nur längsten, sondern sportlich vielleicht auch interessantesten Formel-1-Saison seit Langem. Klingt eigenartig, nachdem Max Verstappen bequeme 84 WM-Punkte Vorsprung auf Lando Norris hat. Ist aber so. Allein der vom launischen mittelenglischen Landregen geprägte Grand Prix von Grossbritannien und der Triumph von Rekordweltmeister Lewis Hamilton nach sieglosen 945 Tagen ist Beleg genug dafür.
Aber nach zwölf WM-Läufen gibt es eine noch aussagekräftigere Bilanz, denn es gab ein halbes Dutzend unterschiedliche Sieger: Verstappen, na klar. Dann der erste Grand-Prix-Triumph von Carlos Sainz, das Siegdebüt von Lando Norris, der Heimerfolg von Charles Leclerc, der Abstauber von George Russell und schliesslich der Rekordsieg Hamiltons. Kompliment an die Regelhüter, die sich das Ground-Effect-Reglement ausgedacht haben. Fast schon schade, dass es nur noch anderthalb Jahre in Kraft bleibt – jetzt, wo es bei jedem Rennen drei bis vier Siegkandidaten gibt. Doch wo Gewinner sind, sind auch Verlierer, hier kommt ein doppeltes Quartett als kleine Halbzeitbilanz der AUTOMOBIL REVUE.
Gewinner der ersten Saisonhälfte: McLaren greift Weltmeister Red Bull an.
Gewinner der ersten Saisonhälfte: Toto Wollf und Mercedes siegen wieder.
Gewinner der ersten Saisonhälfte: Nico Hülkenberg zeigt bei Haas Kampfgeist.
GEWINNER
Mercedes
Zuletzt zwei Siege in Folge, das ist das wahr gewordene
Märchen der Silberpfeile. Nach zweieinhalb schweren Jahren zahlt sich
die Politik der kleinen Entwicklungsschritte des als Technikchef
zurückgeholten James Allison aus. Teamchef Toto Wolff lobt, das alles
wieder in Balance ist, Rekordweltmeister Hamilton inklusive.
Entscheidende Stärke: die Widerstandsfähigkeit. «Mein Herz rast»,
gestand Hamilton nach seinem 104. Sieg, dem neunten bei seinem
Heimrennen.
McLaren
Die Formel-1-Welt wäre schon längst ganz orange, würden
Lando Norris und dem McLaren-Rennstall auf dem Weg nach oben nicht
immer wieder (erwartbare) Fehler passieren. Vier Siege wurden durch
strategische oder fahrerische Pannen schon verschenkt. Aber mit Oscar
Piastri hat Teamchef Andrea Stella noch einen zweiten Trumpf in der
Hinterhand.
Carlos Sainz
In Maranello (I) für nicht mehr tauglich befunden, hat
sich der Spanier gemausert. Bei der Wahl des künftigen Arbeitsplatzes
standen und stehen ihm so ziemlich alle Garagentore offen. Plötzlich ist
der 29-Jährige synchron Kandidat bei Alpine und Mercedes. Auch
Audi-Sauber hat ihm einen unterschriftsreifen Vertrag vorgelegt. Einmal
Königsfigur der Königsklasse sein, und sei es nur auf dem
Transfermarkt ...
Nico Hülkenberg
Wenigstens etwas, auf das man sich in Hinwil ZH freuen
kann. Der deutsche Routinier setzt erfolgreich um, was der – angenehm
ruhige – neue Haas-Teamchef Ayao Komatsu sich ausdenkt. Der kleinste
Rennstall der Formel 1 ist zuletzt immer besser in Form gekommen, «Hulk»
überzeugt durch seinen ungebrochenen Kampfgeist.
Verlierer der laufenden Saison: Bei Sauber braut
sich etwas zusammen, seit 17 Grand Prix ist das Schweizer Team
punktelos.
Verlierer der laufenden Saison: Fernando Alonso mit Aston Martin liegt hinter den
Erwartungen.
VERLIERER
Ferrari
Immer wieder blitzt auf, was Frédéric Vasseur bei der
Scuderia als Teamchef seit der vergangenen Saison schon alles verändert
hat, so kommt der zweite Rang in der laufenden Konstrukteurs-WM
zustande. Aber die Form schwankt gewaltig, Strategiepannen und
fahrerische Mängel erinnern an längst überwunden geglaubte alte
Ferrari-Probleme, vor allem bei Pechvogel Charles Leclerc. Einen
Designer wie Adrian Newey, der Red Bull nach dieser Saison verlassen
wird, als genialen Ruhepol könnten sie in Maranello gut gebrauchen.
Sergio Pérez
Auch die Vertragsverlängerung hat nicht geholfen, der
Mexikaner fährt Max Verstappen und seinen eigenen Ansprüchen weit
hinterher. Die Geduld von Red Bull Racing ist fast am Ende. Vielleicht
schon im Sommer. WM-Platz sechs mit weniger als der Hälfte von
Verstappens Punkten ist auf Dauer einfach zu wenig. Fraglich ist nur,
wen man holen oder aus dem Bullen-Umfeld befördern soll, um in der
Konstrukteurswertung vorn zu bleiben.
Aston Martin
Genug Geld, ein motivierter Fernando Alonso, alle
technischen Möglichkeiten – aber das Momentum aus der Vorsaison mit acht
Podestplatzierungen ist verpufft. Der Druck auf die Grünen durch
Rennstallchef Lawrence Stroll wird immer grösser. Aber der Boss hat
bereits durchgegriffen und mit Enrico Cardile von Ferrari und Andy
Cowell von Mercedes zwei weitere Top-Leute verpflichtet.
Sauber
17 Rennen in Folge ohne Punktgewinn – zählt man die
Sprintrennen dazu, sind es 21 –, das ist eine ziemlich traurige Bilanz.
Und so wirken Valtteri Bottas und Guanyou Zhou auch. Für einen
Rennstall, der bald zum Audi-Werksteam werden soll, ist das Niveau zu
niedrig und das Entwicklungstempo zu langsam. Der Umbau der Truppe in
Hinwil parallel zum laufenden Rennbetrieb scheint zu anspruchsvoll zu
sein. Trotzdem muss bald etwas passieren, selbst Williams punktet
wieder.
Resultate
Grand Prix von Grossbritannien. Silverstone, 12. von 24 Läufen: 1. Lewis Hamilton (GB), Mercedes, 52 Runden zu 5.891 km (=306.198 km), 1:22:27.059 Stunden (=222.821 km/h). 2. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 1.465 Sekunden zurück. 3. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 7.547. 4. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 12.429. 5. Carlos Sainz (E), Ferrari, 47.318. 6. Nico Hülkenberg (D), Haas-Ferrari, 55.722. 7. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 56.569. 8. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 1:03.577 Minuten zurück. 9. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 1:08.387. 10. Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda, 1:19.303. 11. Logan Sargeant (USA), Williams-Mercedes, 1:28.960. 12. Kevin Magnussen (DK), Haas-Ferrari, 1:30.153. 13. Daniel Ricciardo (AUS), Racing Bulls-Honda, 1 Runde zurück. 14. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 1 Rd. 15. Valtteri Bottas (FIN), Sauber-Ferrari, 1 Rd. 16. Esteban Ocon (F), Alpine-Renault, 2 Runden zurück. 17. Sergio Pérez (MEX), Red Bull-Honda, 2 Rdn. 18. Guanyu Zhou (CHN), Sauber-Ferrari, 2 Rdn. – Ausfälle: George Russell (GB), Mercedes (33. Runde, Wassersystem); Pierre Gasyl (F), Alpine-Renault (1., Getriebe). – 20 Fahrer gestartet, 18 klassiert. – Schnellste Runde (+1 Punkt): Sainz, 52. Runde, 1:28.293 Minuten (=240.195 km/h). – Poleposition: Russell, 1:25.819 Minuten (=247.120 km/h).
Nächster Lauf: Grand Prix von Ungarn, Budapest, 21. Juli 2024.
Die Sauber-Statistik
Valtteri Bottas (Foto) GP: 15. Platz (saisonübergreifend 17. GP ohne Punkte). – Beste Platzierung im GP: 14. Platz (34.–49. Runde). – Qualifikation: 16. Platz.
Guanyu Zhou GP: 18. Platz (saisonübergreifend 17. GP ohne Punkte). – Beste Platzierung im GP: 14. Platz (1.–6. Runde). – Qualifikation: 14. Platz (bestes Resultat seit Mexiko-GP am 29. Oktober 2023, 10. Platz).
Fotos: Mercedes, McLaren, Haas, Sauber, Aston Martin