Im Kampf zwischen McLaren, Ferrari und Red Bull um die besten Plätze fährt einer unauffälig stark. Mercedes' George Russell sicherte sich in Bahrain sensationell Platz zwei. Der Brite mausert sich zu einer Art Geheimfavorit.
Die Kaltschnäuzigkeit, mit der Oscar Piastri beim Grand Prix von Bahrain seine zweite Poleposition und seinen zweiten Sieg der Saison feiert: bemerkenswert. Die Nerven, die sein McLaren-Kollege Lando Norris in Qualifikation wie Rennen zeigt: erschreckend. Die Zicken, die Japan-Sieger Max Verstappen wieder mit seinem Red-Bull-Honda hat: frustrierend. Und dann gibt es da noch die Mercedes-Piloten George Russell: unauffällig. Dabei steht der Brite zum dritten Mal in vier WM-Läufen auf dem Podium, diesmal als höchst verdienter Zweiter, und mausert sich zu einer Art Geheimfavoriten.
Mit waidwundem Auto
Nicht nur, dass Russell, der von Lewis Hamilton die Führungsrolle bei den Silberpfeilen übernommen hat, enorm effektiv fährt. In Sakhir musste er in der Schlussphase, als Piastri schon längst davongefahren war, schier übermenschliches vollbringen. Nicht nur, dass er die weichen Reifen weit über die prognostizierte Haltbarkeit über die Runden zu bringen hatte. Er musste seinen zweiten Platz, den er sich am Start mit einem starken Manöver gegen Charles Leclerc im Ferrari gesichert hatte, auch gegen den drängelnden Norris im starken McLaren verteidigen. Und das Ganze mit einem waidwunden Auto.
Ausgewogenes Duo: George Russell (r.) und Kim Antonelli von Mercedes.
Bemerkenswert: McLarens Oscar Piastri holte nach der Poleposition auch souverän den Sieg in Bahrain.
Erschreckend: Titelkandidat Lando Norris zeigt im McLaren-Stallduell Nerven.
Frustrierend: Titelverteidiger Max Verstappen schlug sich nach dem Japan-Coup wieder mit dem Red-Bull-Honda rum.
Ausgerechnet in der entscheidenden Phase war der GPS-Transponder an
Russells Auto ausgefallen. Damit spielte nicht nur die Zeitmessung für
die Fernsehzuschauer verrückt, sondern nacheinander fielen wichtige
Funktionen an seinem Auto aus. Die Anzeigen am Lenkrad wurden dunkel,
das Brake-by-Wire-System fiel aus, das DRS verabschiedete sich. Ein
echter Blackout. Neben der Abwehr von Norris war Russell damit
beschäftigt, im Funkkontakt mit seinem Ingenieur zumindest die
Überholhilfe manuell neu zu programmieren. Einmal wurde so das DRS ganz
kurz unabsichtlich aktiviert. Die Rennkommissare aber verhängten wegen
der besonderen Umstände keine nachträgliche Strafe, der clevere Russell
hatte vor der nächsten Kurve das Gaspedal wieder kurz gelupft. Zudem
hatte das Problem hatte auch andere Piloten betroffen. Aber niemanden so
dramatisch wie Russell, der regelrecht ferngesteuert werden musste.
Mit dem Rücken zur Wand
Mercedes-Teamchef Toto Wolff war nach der Paradefahrt seines
scheinbar ewigen Nummer-Zwei-Fahrers regelrecht sprachlos, er fand für
den erfolgreichen Blindflug des 27-Jährigen nur die Vokabel
«unglaublich». In der ersten Euphorie wird sogar die Frage gestellt, ob
sich damit ein möglicher Wechsel von Max Verstappen erübrigt, falls
dieser Red Bull zum Saisonende verlassen sollte. Mit Russell und einem
zwar erstmals punktlosen, aber vielversprechenden Junior Kimi Antonelli
scheint das deutsche Werksteam ausgewogen gut aufgestellt. George
Russell weiss in seinem siebten Formel-1-Jahr natürlich, dass er mit
einem zum Jahresende auslaufenden Vertrag mit dem Rücken zur Wand steht,
und dass er sich profilieren muss – was bislang hervorragend gelingt.
Heimlich, schnell und präzise.
«Meine Bremse war mal da, dann mal weg. Mal war das Pedal lang, dann
wieder kurz. Ich wusste nie, wann ich mich darauf verlassen konnte und
wann nicht», stöhnte Russell über seine technische Horrorfahrt. Man
stelle sich das nur mal vor in einem Sport, in dem die Bremsbalance am
Ende des Rennens alles ist, und ein Pilot auf einer Piste mit
63-Prozent-Vollgasanteil absolutes Vertrauen in sein Auto haben muss. Es
spricht für das Können des Fahrers, das er blitzschnell auf manuelle
Bedienung umstellen konnte. Damit liegt Russell in der WM-Gesamtwertung
hinter den beiden McLaren-Favoriten und Max Verstappen auf seiner
Lieblingsposition: der Lauerstellung.
Resultate
Grand Prix von Bahrain. Sakhir, 4. Lauf. Gesamtklassement: 1. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 57 Runden, 1:35:39.435 Stunden (=193.339 km/h). 2. George Russell (GB), Mercedes, 15.499 Sekunden zurück. 3. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 16.273. 4. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 19.679. 5. Lewis Hamilton (GB), Ferrari, 27.993. 6. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 34.395. 7. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 36.002. 8. Esteban Ocon (F), Haas-Ferrari, 44.244. 9. Yuki Tsunoda (J), Red Bull-Honda, 45.061. 10. Oliver Bearman (GB), Haas-Ferrari, 47.594. 11. Kimi Antonelli (I), Mercedes, 48.016. 12. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 48.839. 13. Isack Hadjar (F), Racing Bulls-Honda, 56.314. 14. Jack Doohan (AUS), Alpine-Renault, 57.806 (inkl. 5 Sekunden Strafe wegen Übertretung der Streckenbegrenzung). 15. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 1:00.340 Minuten zurück. 16. Liam Lawson (NZ), 1:04.435 (inkl. 15 Sekunden Strafe für Verursachung einer Kollision). 17. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 1:05.489. 18. Gabriel Bortoleto (BR), Sauber-Ferrari, 1:06.872. – Ausgefallen:
Carlos Sainz (E), Williams-Mercedes (45. Runde, Kollisionsschaden). – Disqualifiziert:
Nico Hülkenberg (D), Sauber-Ferrari (Unterboden zu dünn). – 20 Fahrer gestartet, 18 klassiert.