Oscar Piastri (gr. Foto) feierte in Saudi-Arabien seinen bereits dritten Grand-Prix-Sieg der Saison. Der Australier hat damit erstmals in seiner Karriere die Führung in der Weltmeisterschaft übernommen. Der McLaren-Pilot avanciert immer mehr zur neuen Nummer eins im Rennstall – vor Titelfavorit Lando Norris.
Es ist eine Gewohnheit aus alten Schumacher-Tagen: Zum Start eines Formel-1-Rennens vor dem Fernseher sitzen, und dann die folgenden anderthalb Stunden in Ruhe etwas anderes tun. Im besten Wissen, dass man mit dem Start das Spannendste an einem Grand Prix miterlebt hat und den Sieger kennt, es ist jener Fahrer, der nach der ersten Kurve in Führung liegt. Aber noch ist es, bei aller technischen Überlegenheit von McLaren, nicht so weit in der aktuellen Saison. Aber der Kampf um die erste Kurve, der ist angesichts des aerodynamischen Phänomens namens «dirty air» rennentscheidend.
Bei der rasenden Fahrt entlang der Küste von Dschiddah hatte Red Bulls Max Verstappen die Nase vorn, auch einer weiteren sensationellen Qualifikationsrunde hin zur Poleposition wegen. Allerdings kürzte der Niederländer die erste Kurve dann ab, denn innen war schon jener Mann aufgetaucht, der seit Ostern der neue WM-Leader der Königsklasse ist: Oscar Piastri. Der Australier drängelte gewaltig auf der Piste, und er lehnte sich dann im Cockpit zurück, wohlwissend um eine Bestrafung Verstappens. Aber Piastris Raketenstart hat über den Grand Prix von Saudi-Arabien hinaus Signalwirkung: «Ich habe in Kurve Eins gezeigt, wo der Chef sitzt.»
Das Lob von Verstappen
Da haben sich jetzt zwei Rivalen gefunden, die vom Charakter her ganz ähnlich sind: ehrgeizig bis an die Schmerzgrenze, chirurgisch in ihrem Tun auf der Piste, höchst talentiert und wenig Rücksicht nehmend. Wer kann sich erinnern, wann Titelverteidiger Verstappen zuletzt einen Rivalen gelobt hat? Eben. Über den gerade 24 Jahre alten Piastri, lobt der Niederländer: «Oscar geht die Dinge sehr ruhig an, das gefällt mir. Er liefert, wenn er muss, macht kaum Fehler – und genau das braucht man, wenn man um eine Meisterschaft kämpfen will.»
Oscar Piastri: Dritter Saisonsieg und erstmals in seiner Karriere WM-Leader.
Max Verstappen: Der Weltmeister (l.) findet lobende Worte für Oscar Piastri.
Max Verstappen: Trotz unterlegenem Auto wieder Schnellster auf der Jagd nach der Poleposition.
Lando Norris: Der Titelfavorit musste nach einem Crash in der Qualifikation auf eine Aufholjagd.
Charles Leclerc: Endlich der erste Podestplatz in der laufenden Saison für Ferrari.
Belegt durch die simple Statistik, dass Piastri für seine
mittlerweile fünf Grand-Prix-Siege (schon drei in dieser Saison) ganze
51 Rennen gebraucht hat, während sein eigentlich favorisierter
Teamkollege Lando Norris auf die gleiche Zahl bei schon 133 Einsätzen
kommt. Der Brite, der einmal mehr als Nervenbündel erschien, weiss nach
seinem Qualifikationscrash und zwei verpatzten Überholversuchen gegen
Lewis Hamilton: «Ich stehe mir selbst im Weg.»
Freie Fahrt für Piastri? Ganz so einfach wird es nicht sein, und der
neue Spitzenreiter will sich seinem gezügelten Temperament entsprechend
auch nicht gänzlich dem Glanz hingeben: «Mir geht es mehr darum, nach
24 Rennen vorn zu liegen, nicht bloss nach fünf. An meiner
Herangehensweise ändert sich nichts, nur weil ich jetzt der Gejagte bin.» Das erscheint absolut glaubhaft. Der Mann aus Melbourne ist das, was man als «geerdet» bezeichnet. Schon wird er im Fahrerlager als der neue «Ice Man», wie man zuvor stets den coolen Kimi Räikkönen gerufen hatte, gehandelt.
McLaren muss wachsam bleiben
Bewiesen durch das eigene Überholmanöver gegen den weiterhin mit
seinem Ferrari kämpfenden Rekordweltmeister Lewis Hamilton. Piastri
musste nach dem Boxenstopp schnellstmöglich an Hamilton vorbei, und er
fand eine winzige Lücke dafür, in die er mit Tempo 320 hineinstiess.
Nach Ansicht des neuen Gesamtführenden habe McLaren immer noch das beste
Auto, aber das Team macht zu wenig daraus: «Wir müssen trotzdem wachsam sein. Ich musste heute einige Risiken eingehen, die wir uns hätten sparen können.»
Es ist die Chance, die Max Verstappen wittert, der lediglich zwölf
Zähler Rückstand auf Piastri hat – mit einem höchst launischen und nicht
wirklich konkurrenzfähigen Red-Bull-Rennwagen. So kommt es zu einem
höchst vergnüglichen Duell auf der Piste. Hier der Max-Faktor, dort die
Oscar-Reife. Tatsächlich lässt sich nur empfehlen, an den Rennsonntagen
künftig doch wieder mehr als nur den Start anzugucken.
Resultate
Grand Prix von Saudi-Arabien. Dschiddah, 5. Lauf. Gesamtklassement: 1. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 50 Runden, 1:21:06.758 Stunden (=228.164 km/h). 2. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 2.843 Sekunden zurück. 3. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 8.104. 4. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 9.196. 5. George Russell (GB), Mercedes, 27.236. 6. Kimi Antonelli (I), Mercedes, 34.688. 7. Lewis Hamilton (GB), Ferrari, 39.073. 8. Carlos Sainz (E), Williams-Mercedes, 1:04.630 Minuten zurück. 9. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 1:06.515. 10. Isack Hadjar (F), Racing Bulls-Honda, 1:07.091. 11. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 1:15.917. 12. Liam Lawson (NZ), Racing Bulls-Honda, 1:18.451 (inkl. 10 Sekunden Strafe für eine Abkürzung). 13. Oliver Bearman (GB), Haas-Ferrari, 1:19.194. 14. Esteban Ocon (F), Haas-Ferrari, 1:39.723. 15. Nico Hülkenberg (D), Sauber-Ferrari, 1 Runde zurück. 16. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 1 Rd. 17. Jack Doohan (AUS), Alpine-Renault, 1 Rd. 18. Gabriel Bortoleto (BR), Sauber-Ferrari, 1 Rd. – Ausfälle: Yuki Tsunoda (J), Red Bull-Honda (1. Runde, Unfall); Pierre Gasly (F), Alpine-Renaut (1., Unfall). – 10 Fahrer gestartet, 18 klassiert.