Die Formel-1-Saison ist erst zwei Grand Prix alt. Was man nun weiss: McLaren ist so überlegen wie gedacht (Foto, Oscar Piastri vor Lando Norris), Red Bull ist so launisch wie befürchtet, Mercedes wirkt solide, und bei Ferrari brennt es schon wieder unter dem roten Dach.
Der Grand-Prix-Sport in dieser Saison, so viel lässt sich schon nach dem zweiten Rennen sagen, das ist Achterbahnfahren mit Tempo 350. Der Grand Prix von China ist von der Action her nach dem Start sicher kein herausragend berauschendes Rennen gewesen, aber ein spannender allemal. Nach dem zweiten WM-Lauf, der durch Oscar Piastri und Lando Norris mit dem 50. Doppelerfolg der McLaren-Geschichte endet, ist einiges klarer geworden: Die Papaya-Autos sind so überlegen wie gedacht. Red Bull ist so launisch wie befürchtet. Mercedes wirkt solide. Und bei Ferrari brennt es schon wieder unter dem roten Dach.
Kein Kompliment für Ferraris Aerodynamiker
Die roten Rennwagen, Mitfavorit nach dem beinahe sensationellen Erfolg von Lewis Hamilton im Sprintrennen vom Samstag, humpeln auf den Plätzen fünf und sechs hinterher. Schlimmer noch: Charles Leclerc und sein neuer britischer Teamkollege kommen sich beim Aussortieren der allerersten Kurve in die Quere, dem Monegassen splittern bei Hamiltons Attacke Teil des Frontflügels ab. Sein Auto läuft danach sogar besser – was kein wirkliches Kompliment für die Aerodynamiker in Maranello ist.
Ferrari: Nach dem Sprintsieg von Hamilton (v.) am Samstag wurden er und Teamkollege Leclerc tags darauf nach dem Grand Prix disqualifiziert.
Hamilton muss den drängenden Leclerc dann schon kurz nach dem ersten
Renndrittel vorbeilassen. Auf Anweisung der Box, wie die übertragenen
Funksprüche suggerieren. Eine Stallorder gegen den teuren Neuzugang, das
wäre eine echte Majestätsbeleidigung. Aber ein Teil der Wahrheit ist
ein anderer: Hamilton selbst hatte gefunkt, dass er zu langsam sei.
Entsprechend wütend reagiert Teamchef Frédéric Vasseur. Womit er Recht hat:
Netflix gut und schön, aber die Show darf den Sport nicht übernehmen.
Aber richtig knüppeldick kommt es für die Roten erst nach Rennende.
Erst wird Leclerc disqualifiziert, da sein Auto ein Kilo unter dem
Mindestgewicht von 800 Kilogramm liegt. Ferrari hatte sich mit dem
Reifenabrieb verkalkuliert. Wenig später ermittelt Rennkommissar Jo
Bauer, das bei Hamiltons Auto der hintere Abstandshalter am Unterboden
um einen halben Millimeter zu stark abgefahren ist. Auch hier lautet das
schnelle und eindeutige Urteil: Disqualifikation. Die roten Wagen waren
schon in Melbourne enorm niedrig abgestimmt. Solch ein Fahrzeugkonzept
lässt sich nicht so einfach über Nacht korrigieren. Deshalb ist in
Maranello wieder richtig Druck auf dem Kessel. Angesichts der
McLaren-Überlegenheit ist der Rückstand bereits gross.
Norris' strapazierte Nerven
Es gibt noch zwei weitere Krisenherde in einem noch enger zusammengerückten Feld: Bei McLaren hat Oscar Piastri klar gemacht, dass er der Mann mit dem
stärkeren Vollstreckerdrang ist, was den Noch-Spitzenreiter Lando Norris
noch ein bisschen mehr ins Grübeln bringen wird. Lediglich zehn
WM-Punkte liegen noch zwischen den beiden. Die Dominanz des britischen
Teams ist immer noch da, auch wenn am Ende die Bremsen am papayafarbenen
Auto von Norris streikten. Aber ob auch die Nerven halten, und der
Brite im Kampf um die interne Nummer Eins nicht wieder in alte
Verhaltensmuster zurückfällt, ist nicht gesichert. Teamchef Andrea
Stella versucht sich in Harmonie: «Die beiden sind eben so wie sie sind.
Es ist nur eine Frage des Stils, nicht des Könnens.»
Stallduell: Wie lange mögen sich Lando Norris (l.) und Oscar Piastri noch?
Schadensbegrenzung: Der Weltmeister Max Verstappen ist kein Seriensieger mehr.
Auf verlorenem Posten: Red Bulls Lawson kurvte hinten im Feld herum (hinten Hülkenberg von Sauber).
Das Problem mit der Stallorder hat sich bei Max Verstappen und Red
Bull Racing noch nie gestellt, und sein neuer Nebensitzer Liam Lawson
erlebt ein weiteres katastrophales Wochenende, er fährt unter dem Niveau
seines geschassten Vorgängers Sergio Pérez – ihm droht vielleicht
schneller als gedacht ein ähnliches Schicksal. Der Neuseeländer kommt
nur auf Rang 15 ins Ziel, während Verstappen einmal mehr das meiste aus
sich herausholt, damit er seinen nicht ausbalancierten
Red-Bull-Rennwagen immerhin noch als Vierter ins Ziel bringen kann. In
der Rennzentrale in Milton Keynes soll es noch in dieser Woche eine
Krisensitzung geben.
Netflix hält nicht mit
Kommunikationsprobleme, aufflammende Rivalitäten, Nervensachen und
Jobängste. An Attraktionen mangelt es diesem noch jungen Formel-1-Jahr
tatsächlich nicht. Dass das nächste Rennen, der Grand Prix von Japan in Suzuka, am Rande eines
Rummelplatzes ausgetragen wird, und die wohl anspruchsvollste Strecke
der Saison tatsächlich einer liegenden Acht gleicht – so viel Spannung
kann nicht mal Netflix erfinden.
Resultate
Grand Prix von China. Shanghai, 2. Lauf (von 24): 1. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 56 Runden, 1:30:55.026 Stunden (201.326 km/h). 2. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 9.748 Sekunden zurück. 3. George Russell (GB), Mercedes, 11.097. 4. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 16.656. 5. Esteban Ocon (F), Haas-Ferrari, 49.969. 6. Andrea Kimi Antonelli (I), Mercedes, 53.748. 7. Alex Albon (T), Williams-Mercedes, 56.321. 8. Oliver Bearman (GB), Haas-Ferrari, 1:01:303 Minuten zurück. 9. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 1:10.204. 10. Carlos Sainz (E), Williams-Mercedes, 1:16.387. 11. Isack Hadjar (F), Racing Bulls-Honda, 1:18.875. 12. Liam Lawson (NZ), Red Bull-Honda, 1:21.147. 13. Jack Doohan (AUS), Alpine-Renault, 1:28.401 (inkl. 10 Sekunden Strafe für Abdrängen eines Gegners). 14. Gabriel Bortoleto (BR) Sauber-Ferrari, 1 Runde zurück. 15. Nico Hülkenberg (D), Sauber-Ferrari, 1 Rd. 16. Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda, 1 Rd. – Ausfall: Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes (4. Runde, Bremsen). – Disqualifikationen: Charles Leclerc (MC), Ferrari (zu leichtes Auto); Lewis Hamilton (GB), Ferrari (zu dünner Unterboden); Pierre Gasly (F), Alpine-Renault (zu leichtes Auto). – 20 Fahrer gestartet, 16 klassiert.