Ausgerechnet Imola, ausgerechnet beim Heim-GP: Andrea Kimi Antonelli, der die Formel-1-Welt immer noch mit seinen grossen Jungenaugen sieht, ist in der rauhen Wirklichkeit gelandet.
Fast war es so, als wollte die schicksalsträchtige Rennstrecke von Imola sich noch einmal aufbäumen, wo sie doch jetzt vermutlich für immer aus dem Formel-1-Kalender fallen könnte. Beim Grand Prix der Emilia-Romagna stimmte jedenfalls kaum eine der Prognosen.
Die Sicherheit der Strategen bei McLaren war abhanden gekommen, die Fahrer am Start überrumpelt. Der Triumphator Max Verstappen überraschte von Start bis Ziel mit einem stärker gewordenen Rennwagen. Die dramatischen Qualifikationsunfälle von Yuki Tsunoda und Franco Colapinto waren schnell verdaut. Alex Albon stahl George Russell die Show als unauffälliger aber konsequenter Punktesammler. Sogar Ferrari schaffte nach einem desaströsen Samstag auch ohne Podiumsplatz wieder eine kleine Wiedergutmachung bei den enttäuschten Fans. Sauber blieb zwar erneut punktlos, durfte sich aber für den 600. Grand Prix feiern lassen. In einem kurzen Satz also: Die Königsklasse sorgte selbst für einen würdigen Abschied.
Der erste Ausfall
Fehlt da nicht einer? Aber natürlich, ausgerechnet der Lokalmatador und Shooting Star. Andrea Kimi Antonelli, der bisherige Glückspilz von Mercedes, erwischte zum zweiten Mal bei einem Heimspiel in Italien einen sportlich rabenschwarzen Tag. Bei seinem Debüt in Monza im letzten Herbst hatte das Wunderkind den Silberpfeil auf dem Weg zur schnellsten Trainingsrunde gleich zerstört. Anschliessend bekam er trotzdem seinen Vertrag für die Formel 1. Diesmal, wo es wirklich um etwas ging, lief es im Qualifying für ihn noch schlechter als bei den gestrauchelten Ferrari, nur der 13. Startplatz. Im Rennen war dann nach 44 Runden vorzeitig Schluss, der Sensor am Gaspedal spielte verrückt, der erste Ausfall im siebten Rennen.
Andrea Kimi Antonelli: Der Mercedes-Jüngling stand beim Heim-GP wie Ferrari im Fokus.
Andrea Kimi Antonelli: Der Mercedes-Jüngling stand beim Heim-GP wie Ferrari im Fokus.
Im Umgang mit den Medien ist Antonelli schon so gut geschult,
dass er zunächst fast wie ein Politiker bilanziert: «Es war ein sehr
intensives Wochenende.» Dann gibt er zu: «Beim ersten Heimrennen ist ein
Ausfall natürlich besonders bitter.» Selbstkritisch fügt er an: «Ich
habe gemerkt, dass ich manches nicht so gut gehandhabt habe.» Die
komplizierte Nutzung der Reifen, in Imola einmal mehr eine Wissenschaft
für sich, zum Beispiel. Der 18-Jährige glaubt, dass er sich nicht
genügend Zeit genommen habe, um sich auf seinen Job zu fokussieren: «Wegen des Drumherums habe ich mir wirklich sehr viel Druck selbst
gemacht.»" Seine alten Schulkameraden hatte er eingeladen, Netflix
widmete ihm eine eigene Doku («The Seat»), Kimi hier, Kimi da
Zu Ferrari – nach zwei Lehrjahren
Viele Ferrari-Fans halten es mit ihrem alten Firmenpräsidenten Luca
di Montezemolo: «Kimi ist ein erstklassiger Junge. In seinem ersten
Formel-1-Jahr macht er nur wenige Fehler und ist wirklich schnell. Ich
bedaure wirklich sehr, dass Kimi bei Mercedes gelandet ist. Ich hätte
ihn zwei Jahre in die Lehre geschickt bei einem kleineren Team und ihn
dann zu Ferrari geholt.» Tatsächlich bleibt er trotz Imola die grosse
Hoffnung Italiens, das seit den Anfangsjahren der Formel 1 keinen
Champion mehr hatte. Den letzten Podiumsplatz gab es 2009 für Jarno
Trulli, letzter Sieger war Giancarlo Fisichella, das ist jetzt 19 Jahre
her. Alle Hoffnungen liegen jetzt auf den eher schmächtigen Schultern. «Ich will meine eigene Geschichte schreiben», sagt Antonelli tapfer.
Max Verstappen: Der Weltmeister zeigte in Imola vor unzähligen Ferrari-Fans eine beeindruckende Vorstellung.
Oscar Piastri (l.): Der Australier musste sich in Imola mit Platz drei begnügen, bliebt aber WM-Leader.
Weder Schadenfreude noch Mitleid sind angebracht, alle Rookies spüren
die ganze Brutalität der Formel 1. Von denen ist Kimi Antonelli mit
weitem Abstand der Beste, immer noch Gesamtsiebter, auch wenn Vorgänger
Lewis Hamilton jetzt an ihm vorbeigezogen ist. Sein Idol konnte er in
der ersten Phase des Rennens überholen und immerhin hinter sich lassen.
Als Neunter von Imola hat Isack Hadjar von den Racing Bulls zum dritten
Mal Punkte geholt, Oliver Bearman im Haas ging wieder leer aus. Liam
Lawson, Imola-Debütant Colapinto und Sauber-Azubi Gabriel Bortoleto
haben noch nie punkten können, Jack Doohan ist nicht mehr dabei. Kein
Grund zur Panik also bei der grossen Mercedes-Hoffnung. Aber der Schmerz
sitzt tief. Ist Warnung und Ansporn zugleich.
Es fehlte das Tempo
Sich als Verlierer fühlen, weil er ob seines Autos die italienischen
Fans enttäuscht, darin hat der als Ferrari-Pilot adoptierte Charles
Leclerc inzwischen die weit grössere Routine. Für Kimi Antonelli, der die
Formel-1-Welt immer noch mit seinen grossen Jungenaugen sieht, ist ein
Aufprall mit der rauhen Wirklichkeit natürlich erstmal deutlich härter.
Dem Silberpfeil fehlte es diesmal einfach an Tempo. Auch er muss sich
erst an die Launen der Rennwagen gewöhnen, die in dieser Saison jeden
Rennstall scheinbar aus dem Nichts treffen. Der Jüngste im Feld sollte
da mal den Branchensenior Fernando Alonso fragen. Der Spanier tobte nach
dem nächsten Desaster für Aston Martin: «Ich bin der unglücklichste
Fahrer der Welt.»
Resultate
Grand Prix der Emilia-Romagna, Imola (I). 7. Lauf. Gesamtklassement: 1. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 63 Runden, 1:31:33.199 Stunden (=202.538 km/h). 2. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 6.109 Sekunden zurück. 3. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 12.956. 4. Lewis Hamilton (GB), Ferrari, 14.356. 5. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 17.945. 6. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 20.774. 7. George Russell (GB), Mercedes, 22.034. 8. Carlos Sainz (E), Williams-Mercedes, 22.989. 9. Isack Hadjar (F), Racing Bulls-Honda, 23.586. 10. Yuki Tsunoda (J), Red Bull-Honda, 26.446. 11. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 27.250. 12. Nico Hülkenberg (D), Sauber-Ferrari, 30.296. 13. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 31.424. 14. Liam Lawson (NZ), Racing Bulls-Honda, 32.511. 15. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 32.993. 16. Franco Colapinto (RA), Alpine-Renault, 33.411. 17. Oliver Bearman (GB), Haas-Ferrari, 33.808. 18. Gabriel Bortoleto (BR), Sauber-Ferrari, 38.572. – Ausfälle: Andrea Kimi Antonello (I), Mercedes (44. Runde); Esteban Ocon (F), Haas-Ferrari, 27.). – 20 Fahrer gestartet, 18 klassiert.