Neun Rennen, 70 Punkte Vorsprung, kann das noch spannend werden in der Formel 1? Kann es, ist es. Nach dem Grand Prix der Niederlande gibt die Führungsetage von Red Bull Racing zum ersten Mal Ängste zu.
«Es ist alarmierend», sagte Red Bulls Rennstallberater Helmut Marko, nachdem Lando Norris im McLaren dem Titelverteidiger Max Verstappen (grosses Bild) auf dessen Heimatstrecke eine empfindliche Niederlage beigebracht hat. 22.8 Sekunden Vorsprung, und dann im letzten Umlauf noch den Extrapunkt für die schnellste Runde herauszufahren, das unterstreicht: Lando Norris, den viele bisher für zu weich und zu unbeständig gehalten haben, um wirklich Champion zu werden, will es jetzt wissen.
Wenn da nur nicht der Start wäre. Zum vierten Mal verzockte der Brite in dieser Saison seine Poleposition. Der Unterschied diesmal, der zu seinem zweiten Grand-Prix-Sieg führte: sein McLaren ist so überlegen, dass Max Verstappen nicht enteilen konnte, Norris legte sich seinen Kumpel und Rivalen in Ruhe zurecht. Von da an segelte er zum Erfolg und hat nun auch den nötigen mentalen Rückenwind. «Dieser Sieg wird Lando noch mehr Selbstvertrauen geben», ahnt Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Der spürt vor allem in der Konstrukteurs-WM den heissen Atem von McLaren, nur noch 30 Punkte trennen dort Titelverteidiger und Herausforderer.
Von der Spitze verdrängt: Lando Norris im McLaren (l.) im Zweikampf mit Max Verstappen im Red Bull.
Von der Spitze verdrängt: Lando Norris (r.) strahlt als Sieger, Max Verstappen dagegen ist verstimmt.
Es ist an Teamchef Andrea Stella, dem entscheidenden Mann für das
grosse McLaren-Comeback, seinem ewig zweifelnden Paradepiloten Norris
nun das Rüstzeug für den Fortgang der Psycho-WM zu verleihen, das nötige
Auto dazu hat er ihm ja schon gegeben: «Lando hat das Potenzial zum
Weltmeister, er zeigt schon jetzt Leistungen, die man in der
Vergangenheit bei einigen der grossen Champions gesehen hat.» Stella
muss es wissen, er hat bei Ferrari schon mit Michael Schumacher und
Fernando Alonso gearbeitet. Und erlebt, wie Sebastian Vettel 2013 neun
Rennen nach der Sommerpause am Stück gewinnen konnte.
Max Verstappen hat sich den neuen Machtverhältnissen zumindest
vorübergehend angepasst, er tut zumindest so, als könne er sich auch
über einen zweiten Platz freuen: «Es war einfach ein schlechtes
Wochenende. Allerdings waren die Rennen davor auch schon nicht
fantastisch, das ist etwas beunruhigend. Doch wir wissen, dass wir nicht
in Panik verfallen brauchen.» Leicht gesagt, aber an seinem
Red-Bull-Wagen stimmt die Balance vorn wie hinten nicht. Und McLaren
kündigt weiter Upgrades an, um auf jeder Rennstrecke siegfähig zu sein.
Auch Lando Norris tut so, als ginge ihn das Gerede über den möglichen Titelgewinn nichts an: «Für
mich hat sich nichts verändert. Auch wenn ich das ganze Jahr hart
gearbeitet habe, liege ich immer noch 70 Punkte hinter Max. Es wäre also
ziemlich dumm, im Moment an irgendetwas anderes zu denken.» Diese WM wird auch im Kopf entschieden.
Fotos: Red Bull, McLaren
Resultate
Grand Prix der Niederlande. Zandvoort, 15. von 24 Läufen: 1. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 72 Runden zu 4.259 km (=306.587 km), 1:30:45.519 Stunden (=202.682 km/h). 2. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 22.896 Sekunden zurück. 3. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 25.439. 4. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Honda, 27.337. 5. Carlos Sainz (E), Ferrari, 32.137. 6. Sergio Pérez (MEX), Red Bull-Honda, 39.542. 7. George Russell (GB), Mercedes, 44.617. 8. Lewis Hamilton (GB), Mercedes, 49.599. 9. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 1 Runde zurück. 10. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 1 Rd. 11. Nico Hülkenberg (D), Haas-Ferrari, 1 Rd. 12. Daniel Ricciardo (AUS), Racing Bulls-Honda, 1 Rd. 13. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 1 Rd. 14. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 1 Rd. 15. Esteban Ocon (F), Alpine-Renault, 1 Rd. 16. Logan Sargeant (USA), Williams-Mercedes, 1 Rd. 17. Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda, 1 Rd. 18. Kevin Magnussen (DK), Haas-Ferrari, 1 Rd. 19. Valtteri Bottas (FIN), Sauber-Ferrari, 2 Runden zurück. 20. Guanyou Zhou (CHN), Sauber-Ferrari, 1 Rdn. – 20 Fahrer gestartet und klassiert. – Schnellste Runde (+1 Punkt): Norris, 1:13.817 Minuten (=207.708 km/h). – Poleposition: Norris, 1:09.673 Minuten (=220.062 km/h).