Formel 1 – Verstappen in seiner Paraderolle als Mad Max
Elmar Brümmer | 02.06.2025
Bald war beim Grand Prix von Spanien klar, dass das McLaren-Duo Oscar Piastri und Lando Norris das Rennen machen würden. Für Aufregung sorgten der frustrierte Max Verstappen und Saubers Nico Hülkenberg, der auf der Jagd nach Platz fünf sogar einen Ferrari überholte.
Theoretisch müsste an dieser Stelle jetzt Bilanz gezogen werden über die neuen, nicht mehr so flexiblen Frontflügel. Wie gut aber, dass die Formel 1 eine Praxis-Sportart ist. Nach dem dritten Europa-Rennen innerhalb von drei Wochen lässt sich aber auch behaupten: sie ist eine rasende Wundertüte. 60 Runden lang war der Grand Prix von Spanien ein Taktik-Thriller, auf den letzten sechs Umläufen brach das blanke Chaos aus. Für die beste Unterhaltung sorgte einmal mehr jener Titelkandidat im anfälligsten der Top-Autos: Champion Verstappen in seiner Paraderolle als Mad Max.
Dass der Niederländer zum Fahrer des Tages gewählt wurde, muss alle Puristen erzürnen. Alle Briten sowieso. Die sahen erst, wie WM-Spitzenreiter Oscar Piastri vom Start weg ihren zittrigen McLaren-Landsmann Lando Norris einmal mehr vorführte. Der geriet immer mehr unter Druck von Jäger Verstappen, der auf einer Verzweiflungsstrategie ungeheuer erfolgreich unterwegs war. Beim Re-Start aber, als der Titelverteidiger angesichts der harten Reifen bereits kaum noch Chancen hatte, wäre der Angreifer fast mit Norris kollidiert, dann berührte er sich bei 300 km/h mit dem Ferrari von Charles Leclerc, schliesslich ging es ins Duell mit George Russell. Beim ersten Mal krachte es schon, aus der Rennsituation heraus. Beim zweiten Mal war es Absicht von Verstappen. Der sollte auf Geheiss des Red-Bull-Kommandostandes Russell wieder passieren lassen, tat zunächst auch so, um dann die Geste doch zu verweigern.
Purer Frust
Ein Kontrollverlust aus purem Frust. Aber einer mit Folgen: Zehn Sekunden Strafe bedeuteten am Ende Rang zehn. Oscar Piastri ist damit jetzt schon 49 Zähler weg, 39 lautet der Rückstand auf Norris. Dazu gab es drei Strafpunkte, weshalb Verstappen jetzt nur ein Pünktchen von einer Rennsperre weg ist. Jeder andere würde in Sack und Asche gehen, aber der Niederländer denkt gar nicht daran. (Vielleicht, weil er schon an einen Wechsel zu Aston Martin denkt?) Da mag sein Kumpel Norris noch so höhnen, die enthemmten Schlussakkorde seien etwas für das Videospiel Mario-Kart. Aber darauf, dass sein Intimfeind George Russell von einem schlechten Vorbild für die Jugend sprach, entgegnete der desillusionierte Champ trotzig: «Das nächste Mal bringe ich Taschentücher mit...»
Fünfter Saisonsieg: McLarens Oscar Piastri siegte in Spanien ungefährdet.
Im Visier: George Russell von Mercedes bekam Verstappens Frust zu spüren.
Im Leben und insbesondere in der Formel 1 solle man nicht zu viel
bereuen, beschied der frustrierte Verstappen. Tatsächlich, er meint das
so, und er fährt auch so. Nach einer längeren Phase, in der er zwar wie
gewohnt fluchte, aber mit seinen aussergewöhnlichen fahrerischen
Leistungen Freund wie Feind erstaunte, bricht jetzt auf der Piste wieder
seine dunkle Seite durch, die längst überwunden schien, aber dennoch
Teil seines Rennfahrer-Charakters ist. Er fühlt sich zutiefst ungerecht
behandelt – und überreagiert dann mit der gleichen Emotionalität, die
ihn sonst zu seinen Ausnahmeleistungen treibt. Immer mal wieder erwischt
es ihn. Zumindest die neutralen Formel-1-Fans sollten froh darüber
sein. Denn nicht Norris, nur Verstappen kann diese letzten beiden
Drittel der Weltmeisterschaft noch für alle spannend halten.
Sauber meldet sich zurück
Es wäre höchst unfair, diesen neunten WM-Lauf nur auf gelegentliche
charakterliche Defizite eines Einzelnen zu reduzieren. Vielmehr geht es
auch darum, eine geschlossene Mannschaftsleistung zu würdigen, deren
Erfolg so nicht zu erwarten war. Der Sauber-Rennstall und Nico
Hülkenberg haben sich zurückgemeldet – und wie. Platz fünf, vom 16.
Startplatz aus, das ist ein klares Statement für die Willenskraft. Und
bedeuten den Sprung weg vom Tabellenende der Konstrukteurswertung.
Es geht aufwärts: Nico Hülkenberg (l.) mit Sauber-Teamchef Jonathan Wheatley.
Bestes Saisonresultat: Nico Hülkenberg holte für das Sauber-Team Platz fünf.
Nahe dran: Auch Saubers Rookie Gabriel Bortoleto als Zwölfter war nahe an den ersten Punkten dran.
Nach zweieinhalb Monaten gab es für das Schweizer Team damit endlich
wieder Zählbares, ein neuer Unterboden, eine neue Motorenabdeckung und
ein angepasster Frontflügel haben es möglich gemacht. «Auf Anhieb ein
gutes Gefühl», schwärmte Hülkenberg, „die Balance des Autos hat sich
dadurch verbessert und ich habe mich am Steuer selbstbewusster gefühlt.»
Alles sei zusammengekommen – ob Boxenstopps oder Taktik, selbst das
frühe Ausscheiden in der Qualifikation war ein Gewinn, was die
entscheidenden frischen Reifensätze anging.
Der Deutsche war der Mann im Feld, der die meisten Positionen
gutmachen konnte, gekrönt von einem erfolgreichen Überholmanöver gegen
den Ferrari von Lewis Hamilton kurz vor Schluss. Ein wichtiges Signal
auch an den neuen Hausherrn Audi. Hülkenberg vertraut über das Rennen
hinaus auf sein Bauchgefühl, was die Zukunft in Hinwil angeht: «Ich
nehme schon wahr, dass da etwas Grosses kommt.»
Resultate
Grand Prix von Spanien. Barcelona, 9. Lauf. Gesamtklassement: 1. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 66 Runden, 1:32:57.375 Stunden (=198.310 km/h). 2. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 2.471 Sekunden zurück. 3. Charles Lecelrc (MC), Ferrari, 10.455. 4. George Russell (GB), Mercedes, 11.359. 5. Nico Hülkenberg (D), Sauber-Ferrari, 13.648. 6. Lewis Hamilton (GB), Ferrari, 15.508. 7. Isack Hadjar (F), Racing Bulls-Honda, 16.022. 8. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 17.882. 9. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 21.564. 10. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 21.826 (inklusive 10 Sekunden Strafe wegen Verursachung einer Kollision). 11. Liam Lawson (NZ), Racing Bulls-Honda, 25.532. 12. Gabriel Bortoleto (BR), Sauber-Ferrari, 25.996. 13. Yuki Tsunoda (J), Red Bull-Honda, 28.822. 14. Carlos Sainz (E), Williams-Mercedes, 29.309. 15. Franco Colapinto (RA), Alpine-Renault, 31.381. 16. Esteban Ocon (F), Haas-Ferrari, 32.197. 17. Oliver Bearman (GB), Haas-Ferrari, 37.065 (inklusive 10 Sekunden Strafe wegen Abkürzung mit Vorteil). – Ausfälle: Kimi Antonelli (I), Mercedes (53. Runde, Motor); Alexander Albon (T), Williams-Mercedes (27., Aufgabe nach Kollision). – Nicht gestartet: Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes (verletzt). – 19 Fahrer gestartet, 17 klassiert.