Tatsächlich, es gibt in dieser Formel 1 noch Titel, die nicht entweder an Mercedes oder an Red Bull Racing gehen. Welcome back, McLaren: der britische Renn-Dinosaurier hat sich beim Grand Prix von Abu Dhabi die erste Konstrukteurs-Weltmeisterschaft seit 1998 geholt. Damals war Lando Norris, der mit seinem vierten Saisonsieg den Triumph über Ferrari klar gemacht hat, noch gar nicht auf der Welt.
Das Beste an diesem engen Endergebnis der Konstrukteurs-WM, in dem nach 24 zumeist höchst abwechslungsreichen Rennen nur 14 Zähler zwischen dem Mercedes-Kundenteam und dem italienischen Werksrennstall lagen: es ist ein wunderbarer Auftakt für die kommende Saison. Sogar Red-Bull-Teamchef Christian Horner, der mit der längst feststehenden Titelverteidigung durch Max Verstappen zum Schluss einer für ihn höchst chaotischen Saison doch noch halbwegs ausgesöhnt war, freut sich auf die Fortsetzung: „2025 wird ein fantastisches Jahr." Es gibt reichlich Anlässe für eine grosse Revanche. Und das letzte Jahr mit dem anfänglich zu verteufelten Ground-Effect-Reglement verspricht ähnlich gute Unterhaltung. In die aktuellen Rennwagen wird nicht mehr so viel Entwicklung gesteckt, und auf der Piste sind sich vier Teams ebenbürtig. Wer kann sich an eine derartige Leistungsdichte erinnern?
McLarens Vorteil für 2025
Wobei McLaren einen Vorteil geniesst, denn der wiederbelebte Rennstall aus Woking (GB) geht als einziger personell unverändert ins neue Rennjahr – und hat mit Lando Norris und Oscar Piastri gleich zwei heisse Titelkandidaten am Start. Schon das sonnige Gemüt des erfolgreichen McLaren-Sanierers Zachary Challen Brown, im Renntempo von allen nur Zak genannt, ist eine der wichtigsten Ressourcen für die gesteigerte Attraktivität des britischen Mercedes-Kundenteams und des weltweit so erfolgreichen Gesamtgebildes Formel 1. Brown konzentriert als CEO nicht alles auf sein eigenes Ego, schon das ist gegenüber alten Zeiten äusserst wohltuend.
Zum ersten Titel seit 1998: Lando Norris sicherte McLaren mit seinem Sieg in Abu Dhabi den Konstrukteurstitel.
Zum ersten Titel seit 1998: McLaren-CEO Zak Brown hat den Traditionsrennstall erfolgreich saniert.
Auf den Prozess angesprochen, den seine Truppe vom sieglosen Letzten
im Frühjahr 2023 bis zum Triumph am Sonntagabend in den Emiraten
durchgemacht hat, antwortet der 53-Jährige mit der These seines gleich
alten Teamchefs Andrea Stella, dem Vollstrecker des vor sieben Jahren
gefassten Masterplans: „Wir sehen uns als Netzwerk menschlicher
Gehirne." Auf der Rennstrecke müssen sie die KI demnach erstmal nicht
fürchten.
Dass Lando Norris im Finale einen Start-Ziel-Sieg einfahren konnte,
ohne nur einmal Nerven zu zeigen, obwohl er wegen eines frühen Crashs
seines Mitstreiters Oscar Piastri beraubt worden war, hat auch viel mit
dem psychologischen Fein-Tuning Stellas zu tun.
Norris' Zweifel
Zwar hat Norris auch nach seinem vierten Saisonerfolg wieder
minutenlang Selbstkritik geübt, aber er hat auch klar gemacht, dass der
Einzige, der an ihm zweifeln dürfe, er selbst sei. Das hatte der
25-Jährige so auch in den Nachthimmel über den Emiraten gebrüllt:
„Leute, das war unser Jahr! Nächstes Jahr wird dann meins."
Ein starkes Duo: Charles Leclerc (r.) und Carlos Sainz, der aber bei Ferrari Lewis Hamilton Platz macht.
Selbstvertrauen gewinnen, genau darum ist es vielen gegangen bei
diesem Abschluss der längsten Rennsaison in der Grand-Prix-Historie:
Ferrari hat mit einem Schlussspurt gezeigt, dass Teamchef Frédéric
Vasseurs langfristige Planung langsam Gestalt und Resultate annimmt. Der
Neu-Ferraristi Lewis Hamilton bewies am Ende der Mercedes-Ära mit einem
Sprung vom 16. Startplatz auf den vierten Rang, dass er auch mit fast
40 immer noch jung genug für den Erfolg ist. Carlos Sainz verabschiedete
sich mit einem zweiten Platz in die Niederungen von Williams. Nico
Hülkenberg hat als Achter mit dem Haas-Team vorexerziert, was er bei
Sauber-Audi wiederholen will – mit dem frischgebackenen
Formel-2-Champion Gabriel Bartoleto an seiner Seite. Alpine ist von
Teamberater Flavio Briatore vom aussichtlosen Werksteam wieder zu einem
chancenreichen Übernahmekandidaten nach vorn geprügelt worden. Weniger
glücklich waren die Racing Bulls, Williams und Sauber, die froh sind,
dass die schweren Zeiten nun Weihnachtspause haben.
"Glücklicher" Pérez
Was Christian Horner angeht, bleibt abzuwarten, ob sich die Euphorie
auch auf den am Ende noch einmal schwer genervten Max Verstappen
übergreift, der sich 2025 zumindest aufs Vaterwerden freuen kann. Ob wir
Sergio Pérez, der Red Bull Racing alle Chancen auf den Mannschaftstitel
versaut hat, noch einmal wiedersehen werden? Am heutigen Montag tagt
die Rennstallspitze, und das frühe Aus nach einem Dreher gleich nach dem
Start ist alles andere als ein Grund zur Weiterbeschäftigung. Der
Mexikaner war zumindest ehrlich, was 2024 angeht: „Ich bin glücklich,
dass alles vorbei ist." Für den Rest gilt: Fortsetzung folgt –
spätestens am 16. März 2025 in Melbourne.
Eine Ära ging zu Ende: Lewis Hamilton (r.) verabschiedete sich von Mercedes und Teamchef Toto Wolff.
Vermutlich der letzte GP: Sergio Pérez enttäuschte dieses Jahr bei Red Bull.
Grand Prix von Abu Dhabi.
Yas Marina (VAE). 24. und letzter Lauf: 1. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 58 Runden zu 5.281 km (=306.183 km), 1:26:33.291 Stunden (=212.246 km/h). 2. Carlos Sainz (E), Ferrari, 5.832 Sekunden zurück. 3. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 31.928. 4. Lewis Hamilton (GB), Mercedes, 36.483. 5. George Russell (GB), Mercedes, 37.538. 6. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 49.847. 7. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 1:12.560 Minuten zurück. 8. Nico Hülkenberg (D), Haas-Ferrari, 1:15.554. 9. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 1:22.373. 10. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 1:23.821. 11. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 1 Runde zurück. 12. Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda, 1 Rd. 13. Guanyu Zhou (CHN), Sauber-Ferrari, 1 Rd. 14. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 1 Rd. 15. Jack Doohan (AUS), Alpine-Renault, 1 Rd. 16. Kevin Magnussen (DK), Haas-Ferrari, 1 Rd. 17. Liam Lawson (NZ), Racing Bulls-Honda, 1 Rd. – Ausfälle: Valtteri Bottas (FIN), Sauber-Ferrari (30. Runde, Kollision); Franco Colapinto (RA), Williams-Mercedes (26., Motor); Sergio Pérez (MEX), Red Bull-Honda (1., Kollision – Schnellste Runde: Magnussen, 57. Runde, 1:25.637 Minuten (=222.002 km/h). – Poleposition: Norris, 1:22.595 Minuten (=230.187 km/h).