Wenn ein Doppelerfolg von Ferrari keine angemessene Beachtung findet, dann muss schon etwas Besonderes passiert sein im gleichen Rennen. Tatsächlich spielte die überraschend souveräne Darbietung von Charles Leclerc und Carlos Sainz beim Grand Prix der USA nicht die ganz grosse Rolle. Dafür sorgte ein umstrittener Zweikampf zwischen Max Verstappen und Lando Norris um Platz drei (gr. Bild), die den Begriff «Titelkampf» etwas zu wörtlich nahmen.
Vier Wochen Pause seit Singapur, das galt nur für die Rennfahrer, nicht aber in den Rennfabriken. Dort wurden die letzten grossen Upgrades der Saison geschmiedet. Mal mehr, mal weniger erfolgreich – wie das Beispiel Sauber zeigt. Red Bull Racing allerdings scheint endlich den erhofften Schritt zurück nach vorn gemacht zu haben. Davon zeugt der Sprintsieg von Titelverteidiger Max Verstappen, und ebenso die Fast-Poleposition des Niederländers.
Norris' verpatzter Start
Die blieb mit viel Glück bei Lando Norris, aber leider mal wieder nur für ein paar hundert Rennmeter. Dann war Verstappen in der Haarnadel von Austin innen vorbei, beide Fahrer wurden nach aussen getragen, und Leclerc entschwand schon früh Richtung drittem Saisonsieg. Später brachten die Ferrari-Strategen auch Carlos Sainz beim Boxenstopp an Verstappen vorbei.
Start zum Grand Prix der USA: Lando Norris (l.) steht zwar auf der Poleposition,…
…aber schon nach der ersten Kurve liegt er hinter den Ferraris von Charles Leclerc und Carlos Sainz sowie Red Bulls Max Verstappen zurück.
Der jammerte über zickige Bremsen und Reifen, eine Attacke sei ihm
nicht mehr möglich. Und plötzlich war da wieder dieser unangenehme
orangefarbene Fleck in seinem Rückspiegel. Norris hatte mit frischen
Pneus zur alten Stärke gefunden. Und er wusste, dass er vorbei musste.
Ahnte aber auch, dass ein Crash wie im Sommer in Spielberg (A) seine
Titelhoffnungen endgültig zunichte machen würde.
Mit dem Mut der Verzweiflung
Der Brite liess sich in einen Verteidigungskampf des Weltmeisters
verwickeln, der für sich allein sehenswert war. Eine gute Viertelstunde
lang steckte Norris fast im Heck des Red Bull, aber vorbei kam er nicht.
Mit dem Mut der Verzweiflung versuchte er es vier Runden vor Schluss
aussen herum. Allerdings gab der Gegenspieler nicht nach, beide wurden
weit herausgetragen, Norris zog fern der Streckenbegrenzung doch noch
vorbei. Sofort petzte der Niederländer bei der Rennleitung, und die gab
ihm Recht. Denn am Scheitelpunkt der Kurve, der für die Auslegung der
Vorfahrt entscheidend ist, hatte sich der McLaren nicht auf gleicher
Höhe befunden. Fünf Sekunden Zeitstrafe für Norris, und das war noch die
milde Variante, Rang drei war wieder weg.
Unerwartet stark: Charles Leclerc führt Ferrari zum Doppelsieg.
Die anschliessenden Diskussionen helfen niemand, Verstappen hat
seinen Vorsprung bei noch fünf Rennen auf 57 Punkte ausgebaut. Wichtiger
wäre, McLaren und Norris würden sich auf die eigene Moral fokussieren,
denn ihr Rennauto dürfte insgesamt immer noch das beste sein. Aber Lando
Norris wirkt so verunsichert, wie es Red-Bull-Berater Helmut Marko
immer behauptet. Der 24-Jährige, zum ersten Mal in einem Titelkampf,
gesteht: «Die Bestrafung kann unser Momentum killen.»
Der Champion ist richtig sauer
Verstappen hingegen macht wie gehabt kurzen Prozess, sein Heil liegt
in der Kompromisslosigkeit. Dass McLaren-Teamchef Andrea Stella auf ein
bestimmtes Verhaltensmuster des Niederländers in Rad-an-Rad-Duellen
anspielt, macht den Champion richtig sauer: «In letzter Zeit beschwert
sich McLaren ein bisschen oft über alles Mögliche.» Das kann nicht
überraschen: die Psycho-Weltmeisterschaft hat begonnen – und geht am
Wochenende in Mexiko in die nächste Runde. Es lebe die Kontroverse, denn
davon lebt die Formel 1.
Resultate
Grand Prix der USA. Austin, 19. von 24 Läufen: 1. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 56 Runden zu 5.513 km (=308.405 km), 1:35:09.639 Stunden (=194.453 km/h). 2. Carlos Sainz (E), Ferrari, 8.562 Sekunden zurück. 3. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 19.412. 4. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 20.354 (inkl. 5 Sekunden Strafe für Vorteil wegen Verlassens der Strecke). 5. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 21.921. 6. George Russell (GB), Mercedes, 56.295. 7. Sergio Pérez (MEX), Red Bull-Honda, 59.072. 8. Nico Hülkenberg (D), Haas-Ferrari, 1:02.957 Minuten zurück. 9. Liam Lawson (AUS), Racing Bulls-Honda, 1:10.563. 10. Franco Colapinto (RA), Williams-Mercedes, 1:11.979. 11. Kevin Magnussen (DK), Haas-Ferrari, 1:19.782. 12. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 1:30.558 (inkl. 5 Sekunden Strafe für Vorteil wegen Verlassens der Strecke). 13. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 1 Runde zurück. 14. Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda, 1 Rd. (inkl. 5 Sekunden Strafe für Abdrängen eines Gegners). 15. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 1 Rd. 16. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 1 Rd. 17. Valtteri Bottas (FIN), Sauber-Ferrari, 1 Rd. 18. Esteban Ocon (F), Alpine-Renault, 1 Rd. 19. Guanyu Zhou (CHN), Sauber-Ferrari, 1 Rd. – Ausfall: Lewis Hamilton (GB), Mercedes (2. Runde, Unfall). – 20 Fahrer gestartet, 19 klassiert. – Schnellste Runde:
Ocon, 1:37.330 Minuten (=203.912 km/h). – Poleposition: Norris, 1:32.330 Minuten (=214.955 km/h).