Das Titelrennen in der Formel 1 wird immer spannender, immer verrückter. Passend zum Heimspiel im Autodromo Nazionale wird Charles Leclerc zum Herzensbrecher, weil ausgerechnet Ferrari die komplizierte Reifentaktik am besten hinbekommt. McLaren, mit dem derzeit besten Auto, trickst sich selbst aus, in dem die beiden Fahrer weiter freie Fahrt haben, obwohl Lando Norris der aussichtsreichere Herausforderer von Max Verstappen ist. Die Frage ist, wann endlich die nötige Stallorder das löbliche Fairplay ersetzt. McLaren hat Chancen auf den Titel gleich in beiden Wertungen, denn Red Bull war in Monza (I) nur noch vierte Kraft. Was für ein Absturz. Verstappen ruft noch in voller Fahrt verzweifelt aus: «Können die Leute im Hintergrund bitte endlich aufwachen. Ich weiss, dass wir uns in einer Sch... Position befinden, aber es ist wichtig!» Sein Auto bezeichnet er mal als «unfahrbar», mal als «Monster». Bei noch 232 zu vergebenden Punkten steuert die Königsklasse nach dem Europa-Abschied auf einen dramatischen Schlussspurt zu.
Der Jugendwahn in der Formel 1
Elmar Brümmer | 02.09.2024
Charles Leclerc bescherte Ferrari bei dessen Heimrennen in Monza den ersten Sieg seit 2019. Italiens letzter Sieger war Giancarlo Fisichella 2006 (Malaysia) – er könnte mit dem Supertalent Andrea Kimi Antonelli einen Nachfolger bekommen.
Monza aber war auch in anderer Hinsicht ein wichtiger Wendepunkt. Nachdem vor dieser Saison kein einziger Transfer stattgefunden hatte, verändert sich fürs kommende Jahr einiges. Erfreulich daran: es gibt auch frische Gesichter. Die Rennställe scheinen sogar in einen richtigen Jugendwahn zu verfallen. So kommt es, dass 2025 mindestens drei Nachwuchspiloten eine Chance bekommen. Ferraris britische Hoffnung Oliver Bearman war schon früh für das Haas-Team bestimmt worden, nachdem der 19-Jährige als Ersatzmann für Carlos Sainz in Saudi-Arabien als Siebter gleich auf Anhieb punkten konnte. Möglicherweise fährt er auch beim nächsten Rennen in Aserbaidschan, falls es bei der Sperre für den Dänen Kevin Magnussen bleibt. Neben Red Bull Racing, wo die Nachwuchsförderung zum Vermächtnis von Firmengründer Dietrich Mateschitz zählt, betreibt die Scuderia den grössten Jugendkader.
Schumacher ist raus
Auch Alpine besinnt sich bei der Fahrerwahl auf die Renault Academy, und Managementverbindungen zum neuen Chefberater Flavio Briatore können auch nicht schaden – Jack Doohan, 21, bekommt seine Chance in Blau und konnte damit ausgerechnet seinen Kumpel, den Langstrecken-Werksfahrer Mick Schumacher, ausstechen.
Genauso lief es bei Williams, wo nach dem Debakel in Zandvoort (NL) endlich der überforderte Paydriver Logan Sargeant ausgetauscht wurde. Die Investoren des Teams votierten dafür, dem 21 Jahre alten Franco Colapinto eine Chance zu geben. Der Argentinier kam ohne grosse Vorbereitung in Monza als Zwölfter ins Ziel, ein Achtungserfolg – auch für die Williams Academy.
Alle Aufmerksamkeit für einen Nachwuchspiloten in den Schatten aber
stellt der Auftritt des erst seit einer Woche 18 Jahre alten Andrea Kimi
Antonelli. Der durfte freitags im Autodromo Nazionale erstmals einen
aktuellen Mercedes im ersten Training fahren, und liess den gleich in
den Reifenstapeln zerschellen. Keine 24 Stunden später präsentierte
Teamchef Toto Wolff den Italiener als Nachfolger von Lewis Hamilton
(wechselt zu Ferrari) für kommende Saison. Wolff hatte sich nach eigener
Angabe schon fünf Minuten nach Hamiltons Abschied für Antonelli
entschieden. Es ist das ehrgeizige Projekt des Österreichers, endlich
selbst einen Champion heranzuziehen. Wehmütig erinnert sich der Manager
daran, dass er damals als erster mit den Verstappens verhandelt hatte,
aber Mercedes dem Niederländer kein Cockpit anbieten konnte. Das soll
ihm nie wieder passieren, und deshalb betreuen die Späher des Teams
Talent Antonelli schon seit sechs Jahren.
Frisches Blut in Hinwil
Vielleicht hat auch bei Mattia Binottos Suche nach einem zweiten Mann für Audi-Sauber noch ein junger Aussenseiter eine Chance: Der Brasilianer Gabriel Bartoleto, 19, gewann sein Formel-2-Rennen in Monza vom letzten Platz aus. Frisches Blut in der Fahrerpaarung können sie auch in Hinwil ZH dringend brauchen.
Ist bedient: Max Verstappen (r.) mit Red-Bull-Teamchef Christian Horner.
Resultate
Grand Prix von Italien. Monza, 16. von 24 Läufen: 1. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 53 Runden zu 5.793 km (=306.720 km), 1:14:40.727 Stunden (=246.431 km/h). 2. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 2.664 Sekunden zurück. 3. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 6.153. 4. Carlos Sainz (E), Ferrari, 15.621. 5. Lewis Hamilton (GB), Mercedes, 22.820. 6. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 37.932. 7. George Russell (GB), Mercedes, 39.715. 8. Sergio Pérez (MEX), Red Bull-Honda, 54.148. 9. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 1:07.456 Minuten zurück. 10. Kevin Magnussen (DK), Haas-Ferrari, 1:08.302 (inkl. 10 Sekunden Strafe für Verursachung eines Unfalls). 11. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 1:08.495. 12. Franco Colapinto (RA), Williams-Mercedes, 1:21.308. 13. Daniel Ricciardo (AUS), Racing Bulls-Honda, 1:33.452 (inkl. 15 Sekunden Strafe für Abdrängen und unkorrekter Ausführung einer Strafe). 14. Esteban Ocon (F), Alpine-Renault, 1 Runde zurück. 15. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 1 Rd. 16. Valtteri Bottas (FIN), Sauber-Ferrari, 1 Rd. 17. Nico Hülkenberg (D), Haas-Ferrari, 1 Rd. 18. Guanyu Zhou (CHN), Sauber-Ferrari, 1 Rd. 19. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 1 Rd. – Ausfall: Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda (7. Runde, Kollisionsschaden). – 20 Fahrer gestartet, 19 klassiert. – Schnellste Runde (+1 Punkt): Norris, 53. Runde, 1:21.432 Minuten (=256.100 km/h). – Poleposition: Norris, 1:19.327 Minuten (=262.896 km/h).
Stände. Fahrer: 1. Verstappen, 303 Punkte (7 Saisonsiege). 2. Norris 241 (2). 3. Leclerc 217 (2). 4. Piastri 197 (1). 5. Sainz 184 (1). 6. Hamilton 164 (2). 7. Pérez 143. 8. Russell 128 (1). 9. Alonso 50. 10. Stroll 24. 11. Hülkenberg 22. 12. Tsunoda 22. 13. Ricciardo 12. 14. Gasly 8. 15. Oliver Bearman (GB), Ferrari, 6. 16. Magnussen 6. 17. Albon 6. 18. Ocon 5. – Konstrukteure: 1. Red Bull-Honda 446 (7). 2. McLaren-Mercedes 438 (3). 3. Ferrari 407 (3). 4. Mercedes 292 (3). 5. Aston Martin-Mercedes 74. 6. Racing Bulls-Honda 34. 7. Haas-Ferrari 28. 8. Alpine-Renault 13. 9. Williams-Mercedes 6.
Nächster Lauf: Grand Prix von Aserbaidschan, Baku, 15. September 2024.
Die Formel-1-Teams 2025
Red Bull-Honda: Max Verstappen (NL), Sergio Pérez (MEX)
McLaren-Mercedes: Lando Norris (GB), Oscar Piastri (AUS)
Ferrari: Charles Leclerc (MC), Lewis Hamilton (GB)
Mercedes: George Russell (GB), Andrea Kimi Antonelli (I)
Aston Martin-Mercedes: Fernando Alonso (E), Lance Stroll (CDN)
Alpine-Renault: Pierre Gasly (F), Jack Doohan (AUS)
Haas-Ferrari: Esteban Ocon (F), Oliver Bearman (GB)
Williams-Mercedes: Alexander Albon (T), Carlos Sainz (E)
Racing Bulls-Honda: Yuki Tsunoda (J)
Sauber-Ferrari: Nico Hülkenberg (D)
Stand: 2. September 2024
Fotos: Ferrari, Mercedes, Williams, Red Bull
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