Es gibt keinen Grund, warum diese verrückte Formel-1-Saison auf der Zielgeraden nicht noch ein bisschen verrückter werden sollte. Der Grand Prix von Katar war so gesehen die perfekte Vorbereitung auf das grosse Finale am Wochenende in Abu Dhabi.
Wer hätte darauf gewettet, dass die Konstrukteurs-WM noch einmal so spannend werden würde? Wer hätte den Aufschwung von Max Verstappen nach einem desolaten Sprintrennen voraussagen können? Wer den Absturz der Silberpfeile nach dem Doppelerfolg in Las Vegas? Und wer das überraschende Ende der Sauber-Punktlosigkeit? Die Formel 1 bleibt eine Wundertüte, und wenn nicht alles täuscht, wird sich dieser spannende Schlagabtausch dank des gleichbleibenden Reglements auch 2025 fortsetzen. Aber zunächst die Aufreger vom Losail International Circuit der Reihe nach.
Max Verstappen war mit einem besonderen Hybrid-Antrieb ins Rennen gegangen: seiner Wut, nachdem er seine Poleposition wegen einer Behinderung von George Russell im Qualifying an den Mercedes-Piloten abtreten musste. Der Niederländer beweist schnell, dass er der beste Racer der Saison ist und zurecht Weltmeister. Denn Champions gewinnen nicht nur die Rennen, die sie gewinnen müssen – sondern auch jene, die sie eigentlich nicht gewinnen können.
Alles im Griff: Weltmeister Max Verstappen gewann nach einem verpatzten Sprint den Grand Prix in Katar.
Nicht nur der Niederländer hat langsam die Nase voll von dem
Strafen-Festival, dass die Hardliner der Kontrollbehörde FIA in letzter
Zeit regelmässig abziehen. Der deutsche Rennleiter Niels Wittich musste
gehen, sein portugiesischer Nachfolger Rui Marques gibt sich zwar im
Dialog mit den Fahrern verständiger, ist im Dienst aber auch ein
Hardliner. Das dürfte seinem Dienstherren Mohammed Ben Sulayem gefallen.
Der FIA-Präsident bestreitet jedes Chaos in seinem Weltverband, und
will auch auf den offenen Brief der Fahrer nicht reagieren.
McLaren und die Fehler
Die Strafe für das Missachten einer Gelben Flagge hat sich Lando
Norris selbst zuzuschreiben, daran ändert auch das Petzen seines Kumpels
Verstappen nichts oder die Empörung der McLaren-Chefetage über die
Härte der Stop-and-Go-Strafe, die Norris vom zweiten auf den zehnten
Rang zurückwarf und den Punktevorsprung seines Teams in der
Konstrukteurs-Wertung gegenüber Ferrari auf 21 Zähler schmelzen liess –
bei noch 44 in Abu Dhabi zu vergebenden Punkten. McLaren leistet sich in
entscheidenden Situationen einfach zu viele Fehler, und Charles Leclerc
hat mit seinem roten Auto nach dem zweiten Rang von Katar plötzlich
sogar Chancen, noch WM-Vize vor Norris zu werden.
Punkte liegen lassen: McLaren feierte im Sprint zwar den Sieg von Oscar Piastri,…
…im Grand Prix befand sich Lando Norris aber zu oft auf Abwegen.
Die besten Nachrichten kommen, auch das völlig unvorhersehbar, von
der Hinwiler Rennmannschaft. Die letzten Punkte hatte das Schweizer Team
vor Jahresfrist in Katar geholt, an gleicher Stelle konnte jetzt das
Schreckgespenst Nullnummer vertrieben werden. Guanyu Zhou feierte kurz
vor seinem Abschied mit dem achten Rang das beste Resultat seiner
Formel-1-Karriere und wurde vom Publikum sogar zum „Fahrer des Tages"
gewählt, Valtteri Bottas wurde Elfter. Bei allem Chaos im Rennen hatte
sich in Katar tatsächlich ein kleiner technischer Fortschritt
eingestellt. Das Upgrade von Las Vegas im Zusammenspiel mit neuen
Frontflügel wirkte.
Erste Punkte und viel Geld
Die wichtigste Nachricht für Sauber-Audi aber kam schon vor dem Start
ins vorletzte WM-Wochenende. Der Staatsfonds von Katar wird ein Drittel
der Anteile an der Sauber AG übernehmen. Einen Grossinvestor an Bord zu
nehmen war offenbar von Anfang an das Ziel des deutschen
Automobilherstellers und ist keine Reaktion auf die aktuellen
wirtschaftlichen Schlagzeilen um den VW-Konzern. Die Kataris waren die
logische Wahl, sie besitzen bereits 17 Prozent Anteile am
Volkswagen-Imperium, sie bekommen jetzt einen Verwaltungsratssitz in
Hinwil. Das Team soll weiterhin Audi heissen, gut möglich aber, dass ein
Co-Sponsor aus der Golfregion im Namen hinzukommt. Mit frischem Kapital
kann der Ausbau von Rennteam und Rennfabrik voranschreiten. Das
zumindest ist die Hoffnung von Audi-Chef Gernot Döllner, der eigens
zusammen mit Finanzvorstand Jürgen Rittersberger zur Verkündung des
Deals nach Doha gereist war: „Das wird unser Wachstum beschleunigen."
Auf zum Konstrukteurstitel: Ferrari machte in Katar eine Menge Punkte gut auf McLaren,…
…Charles Leclerc kann hinter Verstappen sogar noch Vizeweltmeister werden.
Wem das alles noch nicht verrückt genug erscheint, sei noch das gesagt: Wann hat sich ein Rennfahrer schon einmal in der Boxengasse überholen lassen, wie Red Bulls Dauerpechvogel Sergio Pérez? Wer würde dagegen wetten, dass in Abu Dhabi bereits Jack Doohan statt Esteban Ocon im Alpine sitzt? Und wer traut sich vorherzusagen, wie das Gerangel im Mittelfeld um Platz sechs ausgeht, bei dem Alpine Haas und Toro Rosso in Schlagdistanz zueinander liegen? Viele Fragezeichen sind eine gute Grundlage dafür, dass auch das Finale 2024 am kommenden Wochenende noch einmal ein Ausrufezeichen setzen kann.
Erlösung in Hinwil: Guanyou Zhou holte in Katar die ersten Punkte für Sauber.
Erlösung in Hinwil: Guanyou Zhou holte in Katar die ersten Punkte für Sauber.
Resultate
Grand Prix von Katar. Losail, 23. von 24 Läufen: 1. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 57 Runden zu 5.419 km (=308.611 km), 1:31:05.323 Stunden (=203.281 km/h). 2. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 6.031 Sekunden zurück. 3. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 6.819. 4. George Russell (GB), Mercedes, 14.104 (inkl. 5 Sekunden Strafe wegen zu langsamen Fahrens hinter dem Safetycar). 5. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 16.782. 6. Carlos Sainz (E), Ferrari, 17.476. 7. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 19.867. 8. Guanyou Zhou (CHN), Sauber-Ferrari, 25.360. 9. Kevin Magnussen (DK), Haas-Ferrari, 32.177. 10. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 35.762. 11. Valtteri Bottas (FIN), Sauber-Ferrari, 50.243. 12. Lewis Hamilton (GB), Mercedes, 56.122. 13. Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda, 1:01.100 Minuten zurück. 14. Liam Lawson (NZ), Racing Bulls-Honda, 1:02.656. 15. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 1 Runde zurück. – Ausfälle: Nico Hülkenberg (D), Haas-Ferrari (39. Runde, Dreher); Sergio Pérez (MEX), Red Bull-Honda (38., Defekt); Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes (8., Kollisionsschaden); Franco Colapinto (RA), Williams-Mercedes (1., Unfall); Esteban Ocon (F), Alpine-Renault (1., Unfall). – 20 Fahrer gestartet, 15 klassiert. – Schnellste Runde (+1 Punkt): Norris, 56. Runde, 1:22.384 Minuten (=236.798 km/h). – Poleposition:
Verstappen (wegen Vergehens in der Qualifikation aber von Position 2 gestartet), 1:20.520 Minuten (=242.280 km/h).