Formel 1 – Hilferuf des Weltmeisters

Elmar Brümmer | 27.06.2024

Grand Prix von Spanien Wie lange kann Max Verstappen die Gegner noch in Schach halten? ­Mercedes und McLaren ­reichen die Plätze hinter 
dem Weltmeister nicht aus.

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Weltmeister Max Verstappen: Die Verfolger im Nacken rücken immer näher.

Autorennen ist, wenn mindestens ein Rennwagen schneller ist als der Red-Bull-Honda – aber am Ende doch Max Verstappen gewinnt. In der knappsten Formel-1-Saison seit Langem reichen dem Weltmeister zwei starke Phasen am Anfang und Ende des Grand Prix von Spanien, um den siebten Sieg im zehnten WM-Lauf einzufahren. Der Niederländer macht den Unterschied und zeigt damit, was eine echte Nummer eins wert ist.

Umso mehr, als es bei Red Bull auf höchstem Niveau kriselt. Der Branchenführer macht kleinere technische Schritte als die anderen, die den Rückstand der letzten beiden Jahre fast wettgemacht haben. Noch kann das der derzeit beste Fahrer der Königsklasse ausgleichen, aber es wird immer enger: «Wenn du als Fahrer jedes Mal 101 Prozent geben musst, wird es natürlich irgendwann schiefgehen.» Ein Hilferuf. Aber Verstappen nutzt die für ihn missliche Situation zu einer Glanzvorstellung nach der anderen. In Barcelona (E) als Zweiter gestartet, ist er nach der zweiten Runde schon wieder Erster und setzt sich ab, am Ende hält er den mit frischeren Reifen heranstürmenden Lando Norris auf Abstand.

Hamilton will noch gewinnen

Dennoch rückt zum Auftakt von drei Rennen auf klassischen europäischen Rennstrecken innerhalb von drei Wochen die Konkurrenz immer näher zusammen. Inzwischen ist der Kampf um die Formel-1-Spitze zu einem Vierkampf geworden – mit wechselnder Besetzung, denn diesmal schwächelte erneut Ferrari. Dafür haben Mercedes den sich andeutenden Aufwärtstrend durch die erste Podiumsplatzierung von Lewis Hamilton in dieser Saison bestätigt und George Russell mit einem genialen Startmanöver auf sich aufmerksam gemacht. Das britisch-deutsche Werksteam geht inzwischen stoisch vor, langsam kehrt die alte Stärke zurück. Für Hamilton soll Barcelona zum Befreiungsschlag werden, natürlich will er in seinem Mercedes-Abschiedsjahr noch mindestens einen Sieg einfahren.

Einen Sieg, den Norris in Katalonien verloren hat. Es war seine erst zweite Poleposition in der Formel 1, die er auf dem Circuit Catalunya gleich am Start verlor, da nutzte auch ein rüdes Abdrängmanöver gegen seinen Kumpel Verstappen nichts. Später pokerte McLaren mit der Taktik und vertat sich dabei um ein paar Runden. Aber die Aggressivität, mit der das orange Team zu Werke geht, ist bemerkenswert. Das macht die Rennen spannend und diese Saison auch. Lando Norris gibt hinterher erstmals offen zu, dass er sich für einen Titelkandidaten hält, Verstappens Vorsprung von knapp drei Rennsiegen hin oder her.

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Es wird eng: Max Verstappen (l.) bekommt immer mehr Konkurrenz, beim Start in Barcelona bedrängen ihn Lando Norris (M.) und George Russell (r.), dahinter lauern Lewis Hamilton und die Ferrari von Carlos Sainz und Charles Leclerc (2. Reihe v. l.).

Auch Norris bemüht die Prozentrechnung: «Ich bin glücklich mit 99 Prozent der Dinge», bilanziert er seinen Fast-Sieg, «wir haben, was es braucht. Aber um Max zu schlagen, muss ich alles zusammenbringen, es braucht ein weiteres Prozent.» Zum dritten Mal in Folge, glaubt Norris, hätte McLaren den Red Bull schlagen müssen. Wenn da eben nicht der Verstappen-Faktor wäre, den Mercedes-Teamchef Toto Wolff so beschreibt: «Max hat immer noch etwas in der Tasche.» Selbst mit einem immer noch unruhigen Rennwagen und nicht optimalen Reifen behält er seine klinische Präzision bei.»

Die Kraft unterdrückter Wut

Dass Mercedes zurück im Kampf um die Spitze ist, obwohl pro Runde noch ein paar Zehntelsekunden zum ganz grossen Sprung fehlen, spielt dem kriselnden Branchenführer in die Hände. Momentan können Red Bull und Verstappen darauf bauen, dass sich die Gegner die Punkte gegenseitig wegnehmen. Aber das Selbstbewusstsein wächst nicht nur bei Norris. Bei Mercedes, und gerade bei Hamilton, ist es immer noch die Kraft einer lange unterdrückten Wut, in den letzten beiden Rennjahren so gedemütigt worden zu sein. «Wenn wir diese Leistung konstant erbringen können, sind wir in einer starken Position. Wir sind auf dem besten Weg, diese Jungs einzuholen», glaubt Hamilton.

Den Ausschlag darüber, wer sich auf Sicht als Verfolger Nummer eins herauskristallisieren wird, werden die technischen Upgrades geben. McLaren verfolgt unter Andrea Stella einen klaren Plan, die Silberpfeile müssen nachziehen, wenn sie mithalten wollen, Ferrari scheint eine Wundertüte zu bleiben. Max Verstappen ist jedenfalls gewarnt, die anderen sind auf Augenhöhe. Er wird weiter auf seine Art reagieren: mit vollem Risiko bei höchster Präzision. Ein echter Mehrkämpfer. Passt ja zum olympischen Jahr. 

Das selbsternannte Genie ist zurück

Flavio Briatore, vor gut anderthalb Jahrzehnten mit Schimpf und Schande aus der Formel 1 verjagt – Stichwort Crashgate –, meldet sich so zurück im Fahrerlager, wie man das von ihm erwarten konnte: «Ich bin ein Genie in dem, was ich kann.» Nicht immer in seiner Karriere ist dieses Können gleich sichtbar geworden, aber der Italiener gilt als zweifacher Weltmeister­macher von Michael Schumacher bei Benetton in den 1990er-Jahren und wiederholte den Coup im neuen Millennium mit Fernando Alonso bei Renault. Inzwischen ist Briatore 74 Jahre alt, aber als Krisenhelfer offensichtlich immer noch gefragt. Renault-Chef Luca de Meo jedenfalls hat seinen Freund als «aktiven Berater» für das gestrauchelte Alpine-Team verpflichtet. Was das bedeutet? Briatore soll Strategien für die Zukunft entwickeln – und umsetzen. In der Rennfabrik in Enstone (GB) kennt sich der umstrittene Lebemann ja noch bestens aus, viel hat sich da nicht verändert. Die komplizierten Machtverhältnisse im französischen Konzern kennt er auch, und hinter den Formel-1-Kulissen war er als Berater von Alonso ohnehin immer präsent.

Es spricht nicht gerade für das polierte Image der Königsklasse nach dem Zwangsabschied von Bernie Ecclestone, dass jetzt wieder einer der Altvorderen zurückgeholt wird. Tatsächlich zeugt das mehr von der Verzweiflung bei der französischen Equipe. Briatore wird seine Ansprüche gnadenlos durchsetzen, und nicht wenige glauben, dass er vor allem dazu da ist, die Braut zum Verkauf hübsch zu machen. Einer Bankrotterklärung gleich käme der Plan, den Renault-Ableger künftig mit Leihmotoren von Mercedes oder Ferrari auszurüsten. Aber auch das prüft Briatore, einst selbst Aggregat-Unterhändler (Mecachrome). Es ist also auf Anhieb ganz wie früher: Wo der bekennende Playboy auftaucht, herrscht sofort Unruhe. Vielleicht geht es ganz genau auch darum. EB

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Die Sauber-Statistik

Valtteri Bottas GP: 16. Platz (saisonübergreifend 15. GP ohne Punkte). – Beste Platzierung im GP: 12. Platz (20.–24. Runde). – Qualifikation: 12. Platz (zweitbeste Qualifikation der Saison nach Platz 10 beim China-GP).

Guanyu Zhou (Foto) GP: 13. Platz (bestes Resultat nach Platz 11 beim Bahrain-GP zum Saisonstart, saisonübergreifend 15. GP ohne Punkte). – Beste Platzierung im GP: 9. Platz (39. Runde). – Qualifikation: 15. Platz (bestes Resultat der Saison).

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Resultate

Grand Prix von Spanien. 10. von 24 Läufen: 1. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 66 Runden zu 4.657 km (=307.236 km), 1:28:20.227 Stunden (=208.679 km/h). 2. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 2.219 Sekunden zurück. 3. Lewis Hamilton (GB), Mercedes, 17.790. 4. George Russell (GB), Mercedes, 22.320. 5. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 22.709. 6. Carlos Sainz (E), Ferrari, 31.028. 7. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 33.760. 8. Sergio Pérez (MEX), Red Bull-Honda, 59.524. 9. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 1:02.025 Minuten zurück. 10. Esteban Ocon (F), Alpine-Renault, 1:11.889. 11. Nico Hülkenberg (D), Haas-Ferrari, 1:19.215 (inkl. 5 Sekunden Strafe für überhöhte Geschwindigkeit in der Boxengasse). 12. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 1 Runde zurück. 13. Guanyu Zhou (CHN), Sauber-Ferrari, 1 Rd. 14. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 1 Rd. 15. Daniel Ricciardo (AUS), Racing Bulls-Honda, 1 Rd. 16. Valtteri Bottas (FIN), Sauber-Ferrari, 1 Rd. 17. Kevin Magnussen (DK), Haas-Ferrari, 1 Rd. 18. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 1 Rd. 19. Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda, 1 Rd. (inkl. 5 Sekunden Strafe für überhöhte Geschwindigkeit in der Boxengasse). 20. Logan Sargeant (USA), Williams-Mercedes, 2 Rdn. – 20 Fahrer gestartet und klassiert. – Schnellste Runde (+1 Punkt): Norris, 51. Runde, 1:17.115 Minuten (=217.405 km/h). – Poleposition: Norris, 1:11.383 Minuten (=234.862 km/h).

Stände. Fahrer: 1. Verstappen, 219 Punkte (7 Saisonsiege). 2. Norris 150 (1). 3. Leclerc 148 (1). 4. Sainz 116 (1). 5. Pérez 111. 6. Piastri 87. 7. Russell 81. 8. Hamilton 70. 9. Alonso 41. 10. Tsunoda 19. 11. Stroll 17. 12. Ricciardo 9. 13. Oliver Bearman (GB), Ferrari, 6. 14. Hülkenberg 6. 15. Gasly 5. 16. Ocon 3. 17. Albon 2. 18. Magnussen 1. – Konstrukteure: 1. Red Bull-Honda 330 (7). 2. Ferrari 270 (2). 3. McLaren-Mercedes 237 (1). 4. Mercedes 151. 5. Aston Martin-Mercedes 58. 6. Racing Bulls-Honda 28. 7. Alpine-Renault 8. 8. Haas-Ferrari 7. 9. Williams-Mercedes 2.

Nächster Lauf: Grand Prix von Österreich, Spielberg, 30. Juni 2024.

Fotos: Red Bull, Alpine, Sauber

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