Formel 1 – Warnsignale

Elmar Brümmer | 10.05.2024

Grand Prix von Miami Lando Norris und McLaren setzen in Miami 
ein Zeichen. Dabei hat das Red-Bull-Team mit dem Abgang von Adrian Newey auch noch ein anderes Problem.

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Neuer Sieger: Lando Norris wird vom McLaren-Team gefeiert.

Es muss schon einiges passieren, damit es die Formel 1 auf die Titelseite einer US-Zeitung schafft: Zum Beispiel der erste Sieg von Lando Norris im McLaren, der 109 Rennen auf diesen Triumph warten musste. Solche Geschichten mögen US-Leser besonders, aber natürlich nicht nur sie. Die Veränderung an der Spitze tut der Königsklasse zum Ende des ersten Saisonviertels richtig gut. Der «Sun Sentinel» in Florida feierte die Überraschung im sechsten WM-Lauf als ein «Drama», garniert mit dem «Schock», dass Max Verstappen den Grand Prix von Miami nicht zum dritten Mal gewinnen konnte.

Der Rest der Rennwelt, darunter so ziemlich alle Piloten und sogar Donald Trump, aber feierte mit dem 24 Jahre alten Briten, der nach acht zweiten Plätzen diesen Fluch endlich brechen konnte. Aber die Freude geht weit über die persönliche Befriedigung des Briten hinaus, denn die Formel 1 weiss nun, dass Red Bull nicht so unbesiegbar ist, wie es die bisherigen Solofahrten von Max Verstappen erscheinen liessen.

Red-Bulls Anfälligkeit

Kleine Einschränkung: Red-Bulls Anfälligkeit bezieht sich offenbar nur auf Strecken, auf denen das Championteam traditionell schwächelt. Strassenkurse oder Asphaltbeläge, die Reifen fressen – so wie das Miami International Autodrome eben. Wenn das Rennschicksal dann noch mitspielt wie diesmal in Form einer Safetycar-Phase, in der Norris den entscheidenden Boxenstopp einlegen konnte, schwächelt die Magie.

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Neues Siegerauto: Am McLaren MCL38 nahm das Team gezielt an elf Stellen des Chassis ­Änderungen vor. Die B-Version ist erstklassig.

Aber da ist noch etwas anderes, was allen Hoffnung macht: der Aufstieg von McLaren vom Mittelfeldteam zur zweiten Kraft im GP-Sport. Teamchef Andrea Stella kommt in seinem Job das Ingenieurswissen zugute. Mit einem frühen Upgrade haben er und seine Leute sich gezielt elf Stellen am Chassis des aktuellen Rennwagens vorgenommen, und obwohl in Miami wegen des Sprintrennens nur eine Stunde Training zur Verfügung stand, erwies sich die B-Version auf Anhieb als erstklassig.

Der erste von vielen Siegen

Plötzlich ist das papayafarbene Auto der erste Verfolger von Red Bull, nicht mehr Ferrari. Schon von einem Machtwechsel zu sprechen, wäre gewagt, aber die Charakteristik des generalüberholten Boliden passt zur bevorzugten Vorgehensweise der Rennfahrer Lando Norris und Oscar Piastri (der in Miami zwischenzeitlich auch in Führung lag und mit lädiertem Auto später die schnellste Rennrunde fuhr): höchst aggressiv.

Dass Norris nun den Druck los ist, dürfte weiteres Potenzial freisetzen, das Vertrauen, das McLaren-Boss Zak Brown schon immer in seinen Fahrer hatte, beruht auf Gegenseitigkeit. Lando Norris freut sich angesichts des derzeit verrückt spielenden Transfermarktes, dass er eine Jobgarantie bis Ende 2026 hat. Der zweitplatzierte Verstappen und der Renndritte Charles Leclerc glauben nach der Glanzleistung von Norris, der mit Abstand der Schnellste im Feld war: «Das war nur der erste von vielen Siegen für Lando.»

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Adrian Newey: Der geniale Designer verlässt Red Bull Racing nach fast zwei Jahrzehnten.

Red Bull Racing ist jedenfalls gewarnt, weiss nun, dass es sich keine Blösse geben darf. Ohnehin ist das Feld in diesem Jahr wieder enger zusammengerückt. In Milton Keynes (GB) planen sie daher, schon beim Europaauftakt in Imola (I) mit ­einer eigenen Weiterentwicklung zu kontern. Mitten in die Aufholjagd der anderen aber platzte die Nachricht, dass der geniale Designer Adrian Newey das Team nach fast zwei Jahrzehnten verlassen wird – und zwar schon im Frühjahr 2025. Der 65-Jährige hat offenbar genug von den Querelen um Teamchef Christian Horner und zieht sich schon jetzt weitgehend aus dem laufenden Formel-1-Projekt zurück. Offiziell, um eine Denkpause einzulegen. Inoffiziell wird er gejagt. Ferrari-Teamchef Fred Vasseur soll sich mit dem Briten bereits getroffen haben, Aussenseiterchancen auf eine Verpflichtung rechnet sich Williams aus. Newey ist in der glücklichen Lage, machen zu können, was er will. Bei Red Bull lastet die Verantwortung nun auf dem Team von Technikdirektor Pierre Wache.

Der Zerfall des Imperiums

McLarens Teamchef Brown glaubt, dass Newey nur der erste Dominostein war. Er sieht das Imperium zerfallen, und sein Wissen leitet er aus den vielen Bewerbungsschreiben führender Red-Bull-Mitarbeiter ab, die angeblich im Fahrerlager kursieren. Sportdirektor Jonathan Wheatley, auch ein Urgestein des Teams, werden handfeste Abwanderungsgelüste nachgesagt. Ganz entscheidend aber wird sein, was Verstappen macht. Laut Oliver Mintzlaff, dem deutschen CEO des Getränkekonzerns, werde der Niederländer «tausendprozentig» seinen bis 2028 laufenden Vertrag erfüllen. Was Mercedes-Teamchef Toto Wolff nicht davon abhalten wird, weiter um den Weltmeister zu buhlen.

Verstappen selbst hält sich bedeckt, er wird abwarten, ob und wann er seine Ausstiegsklausel zieht. Das hat wenig mit dem aktuellen Auto zu tun und auch nicht viel mit dem Auftreten von Horner. Vielmehr sind er und sein Vater nicht sicher, ob der erstmals von Red Bull in Eigenregie entwickelte Motor für das neue Reglement 2026 mit den Aggregaten von Mercedes, Ferrari und Honda mithalten kann. Das beschäftigt ihn weit mehr als die Niederlage in Florida. 

Fotos: McLaren, Red Bull, Sauber

Resultate

Grand Prix von Miami (USA). 6. von 24 Läufen: 1. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 57 Runden zu 5.412 km (=308.326 km), 1:30:49.876 Stunden (=203.980 km/h). 2. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 7.612 Sekunden zurück. 3. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 9.920. 4. Carlos Sainz (E), Ferrari, 11.407. 5. Sergio Pérez (MEX), Red Bull-Honda, 14.650. 6. Lewis Hamilton (GB), Mercedes, 16.585. 7. Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda, 26.185. 8. George Russell (GB), Mercedes, 34.789. 9. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 37.107. 10. Esteban Ocon (F), Alpine-Renault, 39.746. 11. Nico Hülkenberg (D), Haas-Ferrari, 40.789. 12. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 44.958. 13. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 49.756. 14. Guanyu Zhou (CHN), Sauber-Ferrari, 49.979. 15. Daniel Ricciardo (AUS), Racing Bulls-Honda, 50.956. 16. Valtteri Bottas (FIN), Sauber-Ferrari, 52.356. 17. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 55.173 (inkl. 10 Sekunden Strafe für Verursachung eines Unfalls). 18. Kevin Magnussen (DK), Haas-Ferrari, 1:04.683 Minuten zurück (inkl. 10 Sekunden Strafe für Abkürzung). 19. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 1:16.091. – Ausfall: Logan Sargeant (USA), Williams-Mercedes (27. Runde, Unfall). – 20 Fahrer gestartet, 19 klassiert. – Schnellste Runde: Piastri, 43. Runde, 1:30.634 Minuten (=214.965 km/h). – Poleposition: Verstappen, 1:27.241 Minuten (=223.326 km/h).

Sprint: 1. Verstappen, 19 Runden, 31:31.383 Minuten (=195.418 km/h). 2. Leclerc, 3.371 Sekunden zurück. 3. Pérez 5.095. 4. Ricciardo 14.971. 5. Sainz 15.222. 6. Piastri 15.750. 7. Hülkenberg 22.054. 8. Tsunoda 29.816. 9. Gasly 31.880. 10. Sargeant 34.355. 11. Zhou 35.078. 12. Russell 35.755. 13. Albon 36.086. 14. Bottas 36.892. 15. Ocon 37.740. 16. Hamilton 49.347 (inkl. 20 Sekunden Strafe für zu schnelles Fahren in der Boxenstrasse). 17. Alonso 59.409. 18. Magnussen (inkl. 35 Sekunden Strafe für dreimaliges Abkürzen). – Ausfälle: Stroll (1. Runde, Kollision); Norris (1., Kollision).

Stände. Fahrer: 1. Verstappen, 136 Punkte (4 Saisonsiege). 2. Pérez 103. 3. Leclerc 98. 4. Norris 83 (1). 5. Sainz 83 (1). 6. Piastri 41. 7. Russell 37. 8. Alonso 33. 9. Hamilton 27. 10. Tsunoda 14. 11. Stroll 9. 12. Oliver Bearman (GB), Ferrari, 6. 13. Hülkenberg 6. 14. Ricciardo 5. 15. Ocon 1. 16. Magnussen 1. – Konstrukteure: 1. Red Bull-Honda 239 (4). 2. Ferrari 187 (1). 3. McLaren-Mercedes 124 (1). 4. Mercedes 64. 5. Aston Martin-Mercedes 42. 6. Racing Bulls-Honda 19. 7. Haas-Ferrari 7. 8. Alpine-Renault 1.

Nächster Lauf: Grand Prix der Emilia Romagna, Imola (I), 19. Mai 2024, 15.00 Uhr.

Die Sauber-Statistik


Valtteri Bottas GP: 16. Platz (17. Platz im Ziel, wegen Bestrafung von Stroll/Aston Martin einen Platz vorgerückt). – Beste Platzierung im GP: 17. Platz (10., 41.–47., 53.–57. Runde). – Sprint: 14. Platz – Qualifika­tion: 16. Platz.

Guanyu Zhou (Foto) GP: 14. Platz. – Beste Platzierung im GP: 8. Platz (27. Runde). – Sprint: 11. Platz. – Qualifika­tion: 20. Platz (von Position 19 gestartet wegen Bestrafung von Ricciardo/Racing Bulls). – Besonderes: 50. Grand Prix der Karriere.

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