Grand Prix von Kanada Kaum hat Weltmeister Max Verstappen mehr Herausforderer, wird das neue Reglement präsentiert. Und natürlich ist der Aufschrei gross.
Machte beim GP von Kanada die wenigsten Fehler: Max Verstappen hatte seine Gegner im Griff, Sieganwärter George Russell (h.) sprach von einer «verpassten Chance».
George Russell sagte: «Es war eine verpasste Chance.» Lando Norris lamentierte: «Es war ein Rennen, das ich hätte gewinnen müssen.» Charles Leclerc und Carlos Sainz? Ferrari-Totalausfälle. Blieb also Max Verstappen, der mit einem immer noch schwierig zu fahrenden Red-Bull-Honda ein Comeback feierte – weil er beim Grand Prix von Kanada die wenigsten Fehler machte. In einem dramatischen, bisweilen durch Wetterkapriolen leicht chaotischen neunten WM-Lauf bewahrte der Niederländer Ruhe im Sturm. Der Titelverteidiger kann sich darüber freuen, dass die Verfolger, zu denen neben McLaren und Ferrari nun auch Mercedes gestossen ist, sich gegenseitig die Punkte wegnehmen. So vergrössert sich sein Vorsprung in der WM-Wertung automatisch. Im dritten Jahr des Ground-Effect-Reglements scheinen auch die letzten Techniker die Chancen des Konzepts verstanden zu haben, sogar bei den Silberpfeilen. Das Feld rückt immer näher zusammen, Verstappen und Red Bull wissen, dass sie sich nichts erlauben können. Fast-Sieger Russell, der die erste Poleposition und das erste Podium des Jahres für Mercedes eingefahren hat, tröstet sich: «Ich schaue aufs grosse Bild, die Perspektive stimmt.»
Zukunftsmusik, deren Halbwertszeit jetzt mit Beginn der europäischen Saison auf den klassischen Rennstrecken auf die Probe gestellt wird. Enge Duelle, Führungswechsel wie in Montreal wären wünschenswert, denn das war vor zweieinhalb Jahren ja der Sinn des neuen Rennwagenreglements. Vor dem Start ins zweite Saisondrittel hat der Automobilweltverband FIA aber bereits den nächsten Schritt angekündigt, einen radikalen. Erstmals wurden die Eckpfeiler der neuen, von 2026 an gültigen Fahrzeuggeneration gezeigt. Leichter, kürzer und schmäler sollen die Autos werden. Und natürlich soll das Racing noch besser werden. Die ersten Proteste der Teilnehmer liessen aber nicht lange auf sich warten. Teamchefs und Rennfahrer sind höchst skeptisch, was die Qualität der Next Generation angeht. Die neuen, zur Hälfte von Elektroenergie angetriebenen Aggregate werden schwerer, in die Nähe des Mindestgewichts von 768 Kilogramm zu kommen, erscheint illusorisch. In Summe ist es die grösste Sorge, die ein Motorsportler haben kann: zu langsam zu sein.
Zu komplexe Technik für die Fans
McLaren-Teamchef Andrea Stella, ein gelernter Ingenieur, markiert die Problemkreise der FIA-Schöpfung und verlässt sich dabei auf seine Erfahrung und erste Simulationen: «Auf den Geraden werden diese Rennwagen zu schnell sein, in den Kurven dafür langsamer.» Der Ground-Effect, für dessen Bewältigung die Teams so viel Aufwand getrieben haben und der momentan für die Leistungsdichte sorgt, ist wieder passé. Den kommenden Autos, die von 1. Januar 2025 an konstruiert werden dürfen, wird es an Abtrieb fehlen. Die herkömmliche Überholhilfe DRS wird ersetzt, stattdessen soll es wie in der unseligen Formel E einen E-Booster geben. Den Umgang mit dem Rekuperieren können die Fahrer natürlich relativ leicht lernen, es wird allerdings weit schwieriger werden, dem Publikum (insbesondere den Netflix-Kunden) die komplexe Technik nahezubringen.
Max Verstappen: Der Red-Bull-Pilot (v.)
bekommt immer mehr Gegner, nach Lando Norris im McLaren (r.) sitzt ihm nun auch George Russell im Mercedes (verdeckt) im Nacken.
Fernando Alonso, dem erfahrensten unter den aktuellen
Piloten der Königsklasse, schwant Böses: «Ich denke, es sollte alles
einfacher sein und wieder mehr um pures Rennfahren gehen.» Selbst
gestandene Techniker wie Mike Krack von Aston Martin befürchten, dass zu
viel über die Hintergründe diskutiert wird, und natürlich wissen alle
längst, wie teuer es sein wird, gut 60 Kilogramm Gewicht einzusparen, um
das Limit von 768 Kilogramm auszureizen. Das Budget-Cap wird nämlich
nicht parallel erhöht.
Gleich schnell wie die Formel 2?
Es sind viele Kompromisse, die der ehemalige
Ferrari-Mann Nikolas Tombazis und Ex-Sauber-Techniker Jan Monchaux
machen mussten, bis sie die Grundlagen für den Rennwagen der nahen
Zukunft gefunden hatten. Attraktivität, Rentabilität, die grüneren
Motoren lockten Audi in den Topmotorsport – deshalb gehen sie offen mit
der Kritik um und versprechen, nach der Verabschiedung der Regeln durch
den FIA-Weltrat in diesem Monat im Detail noch nachzubessern und den
Wünschen der Motorpartner und Zulieferer zum Teil nachzukommen. Auch das
Formula One Management hat ein Interesse, dass eine möglichst grosse
Fraktion hinter dem Neustart 2026 steht und dass sich Machbarkeit und
Wunschvorstellungen soweit anpassen, dass die Attraktivität der Serie
gewährleistet bleibt.
Dazu gehört nach Ansicht von Williams-Teamchef James
Vowles vor allem eines: «Die Formel 1 muss weiterhin die Spitze des
Motorsports bilden. Deshalb müssen wir die momentane Leistung und
unseren Speed beibehalten.» Schon wird befürchtet, dass das Tempo auf
das Niveau der Formel 2 sinken könnte, was in der Tat fatal wäre. Wie
gewohnt rein pragmatisch zeigt sich Weltmeister Max Verstappen, obwohl
auch er seine Zweifel am ersten Wurf hat: «Neue Regeln sind eben neue
Regeln.»
Die Formel 1 ab 2026
Chassis
Radstand max. 3400 mm
Breite max. 1900 mm
Mindestgewicht 768 kg inkl. Fahrer
Motor
Hubraum 1600 cm3
Zylinder 6
Kraftstoff E100
Leistung Verbrenner ca. 400 kW (545 PS)
Leistung Elektromotor ca. 350 kW (475 PS)
Die Sauber-Statistik
Valtteri Bottas (Foto) GP: 13. Platz (saisonübergreifend 14. GP ohne Punkte). – Beste Platzierung im GP: 12. Platz (28–41. Runde). – Qualifikation: 17. Platz (aus Box gestartet wegen Heckflügelumbau).
Guanyu Zhou GP: 15. Platz (saisonübergreifend 14. GP ohne Punkte). – Beste Platzierung im GP: 15. Platz (42. Runde). – Qualifikation: 20. Platz (aus Box gestartet wegen Heckflügelumbau). – Besonderes: Zehntschnellste Zeit in Streckensektor 2.
Resultate
Grand Prix von Kanada. Montreal, 9. von 24 Läufen: 1. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 70 Runden zu 4.361 km (=305.270 km), 1:45:47.927 Stunden (=173.122 km/h). 2. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 3.879 Sekunden zurück. 3. George Russell (GB), Mercedes, 4.317. 4. Lewis Hamilton (GB), Mercedes, 4.915. 5. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 10.199. 6. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 17.510. 7. Lance Stroll (CDN), Aston Martin-Mercedes, 23.625. 8. Daniel Ricciardo (AUS), Racing Bulls-Honda, 28.672. 9. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 30.021. 10. Esteban Ocon (F), Alpine-Renault, 30.313. 11. Nico Hülkenberg (D), Haas-Ferrari, 30.824. 12. Kevin Magnussen (DK), Haas-Ferrari, 31.253. 13. Valtteri Bottas (FIN), Sauber-Ferrari, 40.487. 14. Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda, 52.694. 15. Guanyu Zhou (CHN), Sauber-Ferrari, 1 Runde zurück. – Ausgefallen: Carlos Sainz (E), Ferrari (52. Runde, Unfall); Alexander Albon (T), Williams-Mercedes (52., Unfall); Sergio Pérez (MEX), Red Bull-Honda (51., Unfall); Charles Leclerc (MC), Ferrari (40., Aufgabe); Logan Sargeant (USA), Williams-Mercedes (23., Unfall). – 20 Fahrer gestartet, 15 klassiert. – Schnellste Runde (+1 Punkt): Hamilton, 70. Runde, 1:14.856 Minuten (=209.730 km/h). – Poleposition: Russell, 1:12.000 Minuten (=218.050 km/h).