Hans Wüthrich – Eine «Schnapsidee» sorgt für viel Kopfschütteln

Werner J. Haller | 01.02.2024

Paris–Dakar Akribisch verfolgt Hans Wüthrich jeweils die Rallye Dakar. 1985 war der Berner mit Kurt Liechti selbst am Start der Rallye Paris–Dakar.

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Abenteuer Paris–Dakar 1985: Hans Wüthrich (r.) und Kurt Liechti am Ziel.

Sie hätten damals das eine oder andere Mal die Köpfe geschüttelt und sich gefragt, welche Dummheit sie begangen hätten, als Privatfahrer an der Rallye Paris–Dakar teilzunehmen, sagt Hans Wüthrich im Gespräch mit der AUTOMOBIL REVUE. Die Ausgabe 1985 der Rallye führte über 14 000 Kilometer von Frankreich über Algerien, Niger, Mali und Mauretanien in den Senegal. «GPS-Tracker für die Navigation gab es damals nicht, und ein Funkgerät war nicht erlaubt. Wir hatten lediglich einen Kompass, einen Wegbeschrieb und eine Landkarte, auf der der ganze Kontinent Afrika abgebildet war. Wehe, du kamst auf der 200 Kilometer langen Etappe durch die Ténéré-Wüste auch nur ein halbes Grad vom Kurs ab – dann fandest du abends das Camp mit Sicherheit nicht. Nicht selten gingen Teams deshalb verloren. Mark Thatcher, den Sohn der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, fand man 1982 erst nach fünf Tagen wieder.»

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Eine Idee wird geboren: 1983 fahren Hans Wüthrich und Kurt Liechti den Servicewagen von Edy Näf und Fritz Kobel.

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Deren Mercedes-Benz 280 GE ist nach einem Überschlag aber bald schon Schrott.

Das Ziel von Hans Wüthrich und Kurt Liechti war nur, nach 21 Tagen zumindest am Ziel anzukommen. Die «Schnapsidee» zur Teilnahme kam ihnen zwei Jahre zuvor. Wüthrich und Liechti fuhren die Rallye Paris–Dakar schon 1983 mit, allerdings noch als Serviceteam von Edy ­Näf, dem Schweizer Importeur von Lee-Jeans, und Fritz Kobel. «Die zwei Mercedes-Benz 280 GE waren zuvor Servicefahrzeuge des Motorradteams von BMW. Das Fahrzeug von Liechti und mir war identisch mit jenem von Näf und Kobel, bloss hatten wir noch viele Kilogramm an Ersatzmaterial geladen», erklärt Wüthrich.

Aber kaum war das Abenteuer gestartet, lag das Fahrzeug von Näf/Kobel auch schon zerstört im Sand. «Das Auto überschlug sich in der topfebenen Wüste, weil die Stossdämpfer kaputt waren. Zwei Tage lang reparierten wir das Auto, schliesslich mussten wir aber aufgeben», erinnert sich Wüthrich. Ein anderer Mercedes-Benz 280 GE gewann Paris–Dakar 1985, jener der belgischen Rennlegende Jacky Ickx und des französischen Schauspielers Claude Brasseur («Die Abenteuer des Monsieur Vidocq» oder «La Boum»).

Rund 70 000 Franken

Der Faszination der Rallye Paris–Dakar tat das allerdings keinen Abbruch, Hans Wüthrich und Kurt Liechti beschlossen sehr bald, dass sie gemeinsam das Abenteuer auch unter die Räder nehmen wollten. «Dass wir 1983 früh liegen blieben, war überhaupt die Motivation für uns, selber teilzunehmen.» Sie besorgten sich einen Mitsubishi Pajero – «der war damals ziemlich neu» – und bauten ihn um. Ein grösserer Tank, ein Überrollkäfig, stärkere Federelemente und ein Unterboden aus Stahl wurden montiert, schrieb das Schweizer Magazin «Auto + Motorrad» (A+M), dessen Mitarbeiter Liechti war. «Wir hatten

Freude am Motorsport, wir hatten noch keine Familien, und die Rallye war noch finanzierbar. Rund 70 000 Franken kostete sie uns damals», erinnert sich Wüthrich.

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Namhafte Konkurrenz: 1985 tritt Porsche unter anderem mit den Starpiloten Jacky Ickx (l.) und Jochen Mass zur Rallye Paris–Dakar an. Beide sehen das Ziel nicht.

Ein begleitendes Servicefahrzeug hatte das Duo nicht, «wir wollten nicht um Spitzenplätze kämpfen, wir wollten nur am Ziel ankommen». Ein Mitsubishi Pajero machte schliesslich das Rennen, die Franzosen Patrick Zaniroli und Jean da Silva jubelten als Sieger, während die ikonischen Rothmans-Porsche von Ickx/Brasseur und Jochen Mass/Ekkehard Kiefer ausfielen.

Als die Marathonrallye am 1. Januar 1985 beim Schloss Versailles bei Paris gestartet wurde, war die Begeisterung riesig. «Bevor das Teilnehmerfeld in Sète für die Überfahrt nach Algerien verschifft wurde, fuhren wir zwei Tage durch Frankreich. Die Menschen jubelten uns am Strassenrand zu, genauso wie wir das noch heute kennen von der Tour de France.» Wüthrich und Liechti dagegen schüttelten schon bald die Köpfe. «Warum tun wir das?!» In Versailles gerieten sie in Stress, weil sie wegen einer späten Zugfahrt erst rund fünf Minuten vor dem Start eintrafen. Und auf dem Schiff nach Algerien mussten sie mit Sesseln vorliebnehmen, weil sie keine Betten gebucht hatten, steht im Bericht des A+M-Magazins 3/1985. «Wir wollten ja lediglich im Ziel ankommen, deshalb hatten wir aus purem Aberglauben eben beispielsweise keine Buchungen vorgenommen», begründet Wüthrich fast 40 Jahre später die Misere.

Stundenlang anstehen für Benzin

In Afrika war es ruhiger, die Begeisterungsstürme in Frankreich waren längst verhallt. Unzählige Kilometer durch Sand- und Steinwüsten erforderten sowieso volle Konzentration. «In einer Steinwüste kämpften wir uns vorsichtig Meter um Meter vor, um uns ja keinen Plattfuss einzuhandeln. Ein Audi Quattro dagegen räuberte neben uns über die Steine – und stand später ohne Reifen still. Ich dachte damals: ‹Die spinnen!›» Die mitunter grösste Herausforderung galt es in den Camps zu bewältigen. «Benzin wurde damals noch von Hand vom Tankwagen in Kanister oder die Fahrzeuge gepumpt. Wenn der Konkurrent vor dir in der Warteschlange zu einem Rennteam mit Lastwagen gehörte, musstest du dich auf eine lange Nacht einstellen.»

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Die Rallye Paris-Dakar setzte Fahrzeug und Fahrer zu.

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Die Rallye Paris-Dakar setzte Fahrzeug und Fahrer zu.

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Einmal stand Wüthrich bei einem Tankstopp neun Stunden an

Selbst das Betanken des Pajero mit einem 70-Liter-Tank und einem 190-Liter-Sicherheitstank erforderte sehr viel Geduld. Einmal mussten sie neun Stunden anstehen – und haben deshalb die nächste Etappe nach einer schlaflosen Nacht bewältigt. «Wenn du zu einer Etappe aufgebrochen bist, war das Wichtigste, dass du genügend Benzin und Wasser an Bord hattest.» Er habe während der Rallye Paris–Dakar fünf Kilogramm Körpergewicht verloren. «Die Rallye war physisch und psychisch eine enorme Herausforderung», erzählt Hans Wüthrich. Immer wieder hätten sie die Köpfe geschüttelt wegen der Lage, in die sie sich selbst gebracht hatten.

Allen Strapazen zum Trotz erreichten Hans Wüthrich und Kurt Liechti am 21. Januar 1985 das Ziel Dakar im Senegal. «Wir hatten es tatsächlich geschafft! Das Gefühl war überwältigend, es fühlte sich schlicht wahnsinnig an.» Sie fuhren auf Rang 89 des Autoklassements – von den 364 Autos am Start fielen 283 aus, aber einige davon wurden aufgrund der zurückgelegten Distanz dennoch gewertet. Für die beiden Freunde war das Thema Rallye Paris–Dakar damit erledigt. «Nie mehr! Das war uns klar», sagt Hans Wüthrich – und schüttelt den Kopf.

Die Debatte um die Vignette

Die Köpfe schüttelten die beiden auch lange nach der Zielankunft noch mehrmals. Einerseits hatten Wüthrich und Liechti für die Rückreise auf dem Schiff keinen Container für das Auto gemietet, «wir hatten ja aus Aberglaube nicht zu viel schon im Vorfeld geplant». Einen Monat später holten sie den Mitsubishi Pajero in Marseille ab, «auf der Rückfahrt hatten wir dann tatsächlich noch einen Platten».

Mehr Aufregung herrschte damals aber an der Schweizer Grenze. 1985 war eben erst die Autobahnvignette eingeführt worden, und während Wüthrich und Liechti in der Ferne durch die Wüste bretterten, nahm in der Schweiz die Debatte um Sinn und Unsinn des Klebers Fahrt auf. «Wir waren froh, wieder zu Hause zu sein. Aber wir verstanden die Diskussion nicht und schüttelten nur die Köpfe. Wir sagten dem Zöllner: ‹Ach herrje, dann gib uns halt diese Vignette!›», erinnert sich Wüthrich

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Wie man Hans Wüthrich heute kennt: Der 69-jährige Berner fährt mit seinem Mini Cooper S regelmässig in der Slalom- und Berg-SM mit.

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Wie man Hans Wüthrich heute kennt: Der 69-jährige Berner fährt mit seinem Mini Cooper S regelmässig in der Slalom- und Berg-SM mit.

Fotos: Archiv Hans Wüthrich, Werner J. Haller

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