Junge Schweizer Proto-Typen

Werner J. Haller | 05.04.2024

Nachwuchs Junge Piloten haben neue Perspektiven. Es muss nicht mehr zwingend Formelrennsport sein. Bei den Prototypen locken Verträge mit grossen Herstellern.

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Erste Prototypen-Erfahrungen gesammelt: Julien Apothéloz (vorne) 2023 in einem LMP3-Boliden.

Weg vom Formelrennsport, hin zum Motorsport mit Prototypen. Es fällt auf, dass vermehrt auch junge Schweizer Rennfahrer umsteigen. Nach den Kartjahren halten sie sich nicht mehr ewig in Formelrennserien auf, der Weg über die Formel 4 bis in die Formel 2 ist lang und steinig, aber vor allem sehr, sehr teuer – und eine Garantie auf den Einzug in den Rennfahrerhimmel Formel 1 gibt es nicht. Ein Segen ist in den vergangenen Jahren aber der Langstreckenrennsport geworden, denn hier tummeln sich die grossen Automarken. Und Cockpits von Prototypen gibt es in einer Langstrecken-Weltmeisterschaft oder in der US-Sportwagenmeisterschaft Imsa gewiss sehr viel mehr zu besetzen als in der Formel 1.

Über 30 Schweizer Piloten

Traditionell sind in Europa die European Le Mans Series (Elms) seit 2004 das Sprungbrett in die höchsten Rennklassen mit Prototypen, seit 2009 gibt es auch das Pendant Asian Le Man Series. In den vergangenen nicht einmal zehn Jahren kamen aber beispielsweise noch der Le Mans Cup (seit 2016), die Ultimate Cup Serie (2019) und der Prototype Cup Germany (2022) dazu. Die Winter-Series haben neben Formel-4- und GT4-Kategorie nun auch Prototypen (LMP3) im Programm. Mit Blick auf die Startfelder dieser Rennserien im vergangenen und laufenden Jahr kommt das kleine Motorsportland Schweiz auf die stattliche Zahl von weit über 30 Piloten (s. Spalte rechte Seite).

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Erste Prototypen-Erfahrungen gesammelt: Samir Ben 2023 in einem LMP3-Boliden.

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Erste Prototypen-Erfahrungen gesammelt: Elia Sperandio 2023 in einem LMP3-Boliden.

Angefangen bei den Weltmeistern Sébastien Buemi (2014, 2019, 2022, 2023) und Neel Jani (2016), über Louis Delétraz, den zweifachen Gesamtsieger der European Le Mans Series (2021, 2022), der nun in der Königsklasse der Imsa Titelanwärter ist, bis hin zu sehr starken Gentleman-Drivers wie Jérôme de Sadeleer oder Pieder Decurtins haben sich auch junge Schweizer aufgemacht, die Karriereleiter der Prototypen zu erklimmen. Zu diesen gehört Julien Apothéloz. Der 23-jährige Zürcher fuhr einst Karts und GT-Autos, ehe er 2023 in die Einsteigerserie Prototype Cup Germany wechselte. Erste Berührung mit Prototypen hatte der 18-jährige Berner Samir Ben 2023 nach Kart- und Formel-Jahren in den Ultimate Cup Series und im Le Mans Cup. Oder nehmen wir den ebenfalls 18-jährigen Elia Sperandio: Der St. Galler, unter anderen vierfacher Schweizer Kartmeister, kam im vergangenen Jahr über die Formel 4 in den Prototype Cup Germany.

Eine Frage des Budgets

Samir Ben fährt auch dieses Jahr einen Prototyp. Mit Landsmann Pieder Decurtins pilotiert er für das Schweizer Team Haegeli by T2 Racing im Le Mans Cup einen LMP3-Boliden, also den Einsteiger-Prototyp. «Ich konzentrierte mich nie allein auf den Formelrennsport, weil dieser schlicht auch eine Frage des Budgets ist. Eine Saison in einem LMP3 kostet auch viel Geld, aber dieses verteilt sich in einer Rennserie wie dem Le Mans Cup eben auch auf zwei Fahrer. Pieder hat sich für mich stark gemacht, sein Interesse hilft mir sehr.»

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Julien Apothéloz (l.): Nach Kartjahren als Gewinner einer Talentsichtung zuerst in der ADAC TCR Germany.

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Julien Apothéloz: Nach Kartjahren als Gewinner einer Talentsichtung zuerst in der ADAC TCR Germany.

Aber es war unter anderen das Pech von Elia Sperandio. Auch er habe im Vorfeld der Saison 2024 Kontakt gehabt zum Haegeli-Team und zu Decurtins, «aber letztlich scheiterte dieses Engagement wie auch eines mit anderen Teams, mit denen ich Gespräche führte, am Budget». Sperandio kam über die Formel 4 zu den Prototypen: «Ein Mechaniker fragte mich im Hinblick auf die Saison 2023 für Testfahrten an. Weil ich schnell war, durfte ich eine zweite Testfahrt absolvieren.» Aber im Rennstall von BHK Motorsport teilte sich der St. Galler das Cockpit eines Ligier-LMP3, später eines Duqueine-LMP3, im Prototype Cup Germany des vergangenen Jahres mit gleich drei Piloten. Verschiedene Boliden und abwechselnde Teamkollegen sind in einer Rennserie, in der man sich das Cockpit teilt und Kompromisse bei den Fahrzeugeinstellungen eingehen muss, sicher kein Vorteil auf dem Weg an die Spitze.

Erfolg auf Anhieb

Im vergangenen Jahr wagte auch Julien Apothéloz den Wechsel zu den Prototypen. Der Zürcher fuhr nach seiner Kartjugend aber keine Formelrenner, er lenkte TCR- und GT-Autos. «Die GT3-Klasse würde mich interessieren. Aber auch sie verlangt nach immer höheren Budgets. Die GT3 boomt, diese Autos ersetzen seit diesem Jahr in der Langstrecken-WM die vormalige, teure GTE-Klasse. In der DTM lösten die GT3 2021 die kostspieligen Class-1-Cars ab. Mit der zunehmenden Popularität der GT3 und der steigenden Anzahl Hersteller explodieren die Kosten, weil beispielsweise natürlich auch mehr getestet wird», erklärt Apothéloz. Den GT3-Rennsport hake er deswegen nicht ab, Langstreckenklassiker wie jene in Spa-Francorchamps (B) und am Nürburgring (D) würde er gerne auch dieses Jahr fahren, «aber der Fokus liegt bei den Prototypen». An Ostern verkündete Apothéloz, dass er in diesem Jahr im deutschen Mücke-Team seine zweite Saison im Prototype Cup Germany fahre. In seiner Premierensaison war er gleich zweifacher Rennsieger und Gesamtzweiter des Prototype Cup Germany 2023.

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Samir Ben: Vom Kartsport schaffte er 2021 mit dem Berner Team Jenzer den Einstieg in die Formel 4.

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Samir Ben: Vom Kartsport schaffte er 2021 mit dem Berner Team Jenzer den Einstieg in die Formel 4.

Die Freude an den flachen Rennflundern eint Apothéloz, Ben und Sperandio. Die Budgets sind – noch – überschaubar. Aber vor allem lockt das Ziel, dereinst einen Vertrag mit einem Werksteam in den Händen zu halten. Die Schweiz hat mit Prototypen und im Langstreckenrennsport eine glorreiche Vergangenheit. Von der Rennfahrerlegende Jo Siffert, unter anderen Sebring-Sieger 1968, über die WM-Titel von Brun Motorsport 1986 sowie von Sauber Motorsport 1989 und 1990, bis hin zu den jüngsten Schweizer Langstreckenweltmeistern Marcel Fässler (2012) und eben Neel Jani sowie Sébastien Buemi. Und diese Tradition wird fortgeführt. Es ist erstaunlich, dass diese Saison in der Langstrecken-WM mit Buemi (Toyota), Jani (Porsche), Nico Müller (Peugeot), Edoardo Mortara (Lamborghini) und Raffaele Marciello (BMW) gleich fünf Schweizer in Cockpits von Werkteams mit modernen Hypercars sitzen. Mit Louis Delétraz (Acura/Honda) und Romain Grosjean (Lamborghini) stehen zwei weitere Schweizer im Pendant zur WM, der US-amerikanischen Sportwagenmeisterschaft, unter Vertrag.

Einmal in Le Mans starten

Schweizer hin oder her. Die Wahrscheinlichkeit ist grösser, dass ein junger Pilot künftig einmal ein Hypercar lenkt als einen Formel-1-Boliden. «Der Langstreckenrennsport mit den tollen Prototypen hat derzeit einen richtig guten Lauf. Die Hersteller kommen in Scharen, das macht es auch für uns Fahrer sehr interessant», gibt Julien Apothéloz zu. «Ja, es ist mein Ziel, dereinst in der Langstrecken-WM ein Hypercar zu pilotieren. Aber auch die US-Meisterschaft hat Tradition. Ich bin fasziniert von dieser Rennszene!» Ins gleiche Horn stösst Samir Ben: «Ich bin wirklich froh, dass ich bei der Karriereplanung auch offen war für andere Rennserien neben jenen des Formelrennsports.» Es ist wahrscheinlich, dass mit dem bald 22-jährigen Basler Miklas Born ein weiterer Schweizer dieses Jahr auf Prototypen umsteigt.

Und schliesslich bringt die Faszination der Prototypen auch das Rennen schlechthin mit sich: Die 24 Stunden von Le Mans (F). «Einmal dort zu starten, das ist mein grosser Traum», sagt Apothéloz. «Dieser Klassiker ist mein grosses Ziel», schwärmt Ben. Er fährt im Le Mans Cup Mitte Juni in Le Mans, aber erst nur den Meisterschaftslauf, die sogenannte Road to Le Mans. «Es ist ein Rennen im Rahmenprogramm des 24-Stunden-Rennens, aber die Atmosphäre wird gigantisch sein.» Eine schöne Perspektive. 

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Elia Sperandio: Als viermaliger Schweizer Kartmeister kam er 2022 mit dem Genfer Team Maffi in die Formel 4.

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Elia Sperandio: Als viermaliger Schweizer Kartmeister kam er 2022 mit dem Genfer Team Maffi in die Formel 4.

Fotos: WEC, IMSA, Cool Racing, ADAC

Hierarchie der Prototypen und Rennserien

Langstrecken-WM (WEC, Bild)

Autos: LMH (Le Mans Hypercar), Werkskon­struktion mit Leistungsbegrenzung; LMDh (Le Mans Daytona Hybrid), basierend auf LMP2-Chassis, Einheitsteile wie Hybridsystem, Leistungsausgleich (Balance of Performance, BoP) wegen LMH-Autos.

Schweizer Piloten 2023/24: Sébastien Buemi (Toyota), Nico Müller (Peugeot), Neel Jani (Porsche), Raffaele Marciello (BMW), Edoardo Mortara (Lamborghini).

US-Sportwagenmeisterschaft (Imsa)

Autos: LMDh, LMH (s. beide WEC), LMP2 (Le Mans Prototype 2), Chassis von Oreca, Ligier, Dallara oder Riley/Multimac, Einheitsmotor von Gibson (4.2-Liter-V8-Saugmotor).

Schweizer Piloten 2023/24: Louis Delétraz (Acura), Neel Jani (Porsche), Romain Grosjean (Lamborghini).

European Le Mans Series (Elms)

Autos: LMP2 (s. Imsa) und LMP3 (Le Mans Prototype 3), Chassis von Ligier, Duqueine, Ginetta und Adess, Einheitsmotor von Nissan (5.6-Liter-V8-Saugmotor).

Schweizer Piloten 2023/24: Louis Delétraz, Neel Jani, Fabio Scherer, Mathias Beche, Grégoire Saucy, Alexandre Coigny, Cédric Oltramare, Matthias Kaiser. – Schweizer Teams 2023/24: Cool Racing, Racing Spirit of Léman.

Asian Le Mans Series (Alms)

Autos: LMP2 und LMP3 (s. Elms).

Schweizer Piloten 2023/24: Louis Delétraz, Mathias Beche, Alexandre Coigny. – Schweizer Teams 2023/24: Cool Racing.

Le Mans Cup

Autos: LMP3 (s. Elms).

Schweizer Piloten 2023/24: Jonathan Brossard, Sébastien Page, Samir Ben, Jérôme de Sadeleer, Pieder Decurtins, Cédric Oltramare, David Droux, Luis Sanjuan. – Schweizer Teams 2023/24: Cool Racing, Racing Spirit of Léman, Haegeli by T2 Racing.

Prototype Cup Germany

Autos: LMP3 (s. Alms).

Schweizer Piloten 2023/24: Julien Apothéloz, Elia Sperandio, Lucas Mauron.

Ultimate Cup Series

Autos: LMP3 (s. Alms).

Schweizer Piloten 2023/24: Mathias Beche, Nicolas Maulini, Axel Gnos, Samir Ben, Loris Kyburz, Luis Sanjuan, Elia Sperandio, Stephan Rupp, Grégory de Sybourg, Karen Gaillard, Danny Buntschu, Sacha Clavadetscher, Mike Fenzi, Ivan Ruggiero, Philipp Schlegel. – Schweizer Teams 2023/24: Racing Spirit of Léman, T2 Racing, Dimab Motorsport.

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