24 Stunden von Le Mans Ferrari siegte wie schon im Vorjahr. Obwohl der frühere Sieger und Toyota-Werkspilot Sébastien Buemi eine grossartige Leistung zeigte.
Ein weiterer Erfolg: Nach 2023
gewann erneut Ferrari, diesmal mit dem Fahrertrio Fuoco/Molina/Nielsen.
Le Mans, 15. Juni 2024, weniger als eine Stunde vor dem Start des 24-Stunden-Rennens. Jacky Ickx, der sechsmalige Sieger, erinnert sich an eine Textzeile aus Pierre Corneilles Tragikomödie «Le Cid»: «Wer ohne Gefahr siegt, triumphiert ohne Ruhm.» Der 79-jährige Belgier weiss, dass das Rennen ein Spektakel der Extraklasse verspricht. Da sind nicht nur Wetterkapriolen, die Rennfahrern und Teams während der 24 Stunden zu schaffen machen können. Da sind auch neun ambitionierte Hersteller in der Hauptklasse der Hypercars. Toyota will sich für die Niederlage im Vorjahr an Ferrari rächen, Porsche träumt vom 20. Triumph, Cadillac weiss, dass der Prototyp V-Series R siegfähig ist. Und BMW überraschte bei den Tests ebenso wie Neuling Alpine.
Buemis vielleicht bestes Rennen
25 Stunden später, nach einer alptraumhaften Nacht, nach unaufhörlichen Wendungen der Rennsituation, gewann der Ferrari mit der Startnummer 50 gelenkt vom Fahrertrio Fuoco/Molina/Nielsen vor dem Toyota von Lopez/Kobayashi/de Vries, der notabene als 23. und letzter der Hypercarklasse gestartet war. Porsche dagegen verpasste das Podium um 1.167 Sekunden. Sébastien Buemi wurde nur Fünfter in einem Rennen, das vielleicht sein bestes in Le Mans war, wie der vierfache Sieger später meinte. Die 24 Stunden von Le Mans 2024 boten Spektakel, schrieben viele Geschichten. Wir konzentrieren uns auf zwei davon.
Der beste Schweizer: Der viermalige Le-Mans-Sieger Sébastien Buemi lieferte seine vielleicht beste persönliche Leistung ab.
Samstag, 17.35 Uhr. Erste Regentropfen auf der
Rennstrecke von Le Mans. Buemi, der seit dem Start neun Plätze
gutgemacht hat, fährt wie alle anderen Favoriten in die Boxengasse, um
die richtigen Reifen aufzuziehen. Alle? Nein. Ferrari pokerte. Nachdem
das Team beim WM-Lauf in Imola (I) beide Autos zwecks Reifenwechsel an
die Box geholt hatte, beliess man es diesmal bei einem Auto. Während der
Wagen mit der Nummer 51, der zwölf Monate zuvor in Le Mans gewonnen
hatte, Regenreifen fasste, fuhren der Wagen Nummer 50 und der gelbe
Kunden-Ferrari weiter. Es war, wie sich später herausstellte, die
richtige Entscheidung. Buemi, ebenfalls an der Box, und andere
Mitsreiter, verloren so lange zwei Minuten. Sie waren umso wertvoller,
weil in der Nacht die Hölle über Le Mans losbrach und das Rennen kurz
vor vier Uhr morgens hinter den Safetycars (bei 80 km/h) für viereinhalb
Stunden neutralisiert werden musste. «Ich habe davon nichts
mitbekommen, ich habe geschlafen. Aber mein Teamkollege Brendon Hartley
sagte mir, dass er Krämpfe hatte und nur noch aus dem Auto aussteigen
wollte», erklärte Buemi später. Als das Rennen am Sonntagmorgen kurz
nach acht Uhr endlich wieder losging, lag Buemis Toyota an der Spitze.
Weil sich das Wetter aber nicht vollends beruhigt hatte, gab es auf der
langen Strecke immer mehr Slow Zones, Abschnitte, wo das Tempo reduziert
werden musste. Kurz vor elf Uhr, nach einer weiteren Safetycar-Phase,
gingen die ersten acht Autos, die drei Ferraris, die zwei Toyotas, ein
Cadillac und zwei Porsche, geschlossen ins Rennen. So etwas hatte man
noch nie gesehen – auch nicht in Le Mans, wo man schon so viel gesehen
hatte.
Nette Kommissare
Sonntag, 13.47 Uhr. Der zweite Toyota ist aus dem
Nichts zurückgekommen, Buemis Toyota, gefahren von Hartley, liegt im
Ferrari-Sandwich auf Platz zwei. Bis Alessandro Pier Guidi angreift –
und der Ferrari den Toyota berührt, der sich dreht und deshalb wertvolle
Sekunden verliert. Als Buemi seinen Teamkollegen ablöste, war ihm klar,
dass es dieses Jahr mit dem fünften Le-Mans-Sieg nichts werden würde.
Pier Guidi wurde von den Rennkommisaren nur eine Fünf-Sekunden-Strafe
aufgebrummt. Buemi, der in den Studios des Fernsehsenders L’Équipe zu
Gast war, hielt sich zurück: «Ich bin enttäuscht. Brendon hätte im Kampf
mit Ferrari vielleicht härter dagegen halten können. Wir hätten auch
gewinnen können. Die Konkurrenten haben mehr Fehler gemacht als wir.
Dann gibt es noch die Kommissare, die ihren Job machen, dieses Jahr
hatten sie sehr viel Arbeit. Auf der Strecke fährt man stundenlang, um
einen Abstand von 20 bis 30 Sekunden herauszufahren, aber auf einen
Schlag verliert man zwei Minuten, weil man zur falschen Zeit am falschen
Ort ist. Das ist Le Mans. Es war vielleicht eines meiner fahrerisch
besten Rennen hier, trotzdem wurde ich nur Fünfter.»
Le Mans sucht sich seine Sieger selber aus. Der fünfte
Le-Mans-Sieg von Sébastien Buemi lässt also noch auf sich warten.
Vielleicht sagt der Langstreckenklassiker ja nächstes Jahr wieder Ja zum
Waadtländer.
Die Schweizer bei den 24 Stunden von Le Mans
Sébastien Buemi: Der vierfache Le-Mans-Sieger wurde dieses Mal nur Fünfter. Le Mans sucht sich seine Sieger aus – dieses Mal war der Toyota-Werkspilot nicht einer der Auserwählten.
Edoardo Mortara: Platz zehn, davor muss man den Hut ziehen. Lamborghini brachte seine beiden SC63 ins Ziel.
Nico Müller: Nur Zwölfter. Der Peugeot 9X8, der vor einem Jahr für Aufsehen sorgte, weil er über keinen Heckflügel verfügte, ist auch mit Flügel nicht konkurrenzfähig.
Romain Grosjean: Platz 13 als Lamborghini-Pilot. Chapeau – auch weil die Lambos während der Nacht zwischenzeitlich sogar in den Top Sechs auftauchten.
Louis Delétraz: Der Genfer, der in der LMP2-Klasse noch das Rennen um die Startplätze gewonnen hatte, belegte nach dem Klassiker nur Rang 20 im Gesamtklassement und Platz sechs in der Kategorie.
Mathias Beche: 23. Platz im Gesamtklassement, neunter Platz in der LMP2-Klasse, nachdem er lange um das Podium mitgespielt hatte.
Fabio Scherrer: Der LMP2-Sieger des letzten Jahres belegte nur Platz elf in der Kategorie und Rang 25 im Gesamtklassement.
Rahel Frey: Die Iron Ladies, am Ende 32. der Gesamtwertung, beendeten das Rennen als Fünfte in der LMGT3-Klasse, nachdem sie während des Rennens lange auf Podiumskurs lagen.
Neel Jani (Foto): Platz 45. Der Porsche des ehemaligen Le-Mans-Siegers verbrachte viel Zeit in der Box.
Grégoire Saucy: Aufgabe wegen eines Getriebeproblems. Aber in der Nacht führte er das Feld der LMGT3 an.
Raffaele Marciello: Aufgabe nach Unfall. Kubica im Ferrari hatte den BMW Marciellos abgedrängt.
Thomas Flohr: Aufgabe nach Unfall. Flohr war der erste, der sein Auto 2024 aus dem Rennen warf.
Le Mans und seine neue, goldene Ära
Erinnern Sie sich noch an das Duell Ferrari–Ford in den 1960er-Jahren? Oder an die Porsche-Ära in den 1970er-Jahren, die Sauber-Erfolge im Jahrzehnt darauf? Und da war auch noch Audi, das dem 24-Stunden-Rennen in Le Mans nach der Jahrtausendwende den Stempel aufdrückte. Mit der Elektrifizierung und dem Abgang der Hersteller aus dem Langstreckenrennsport glaubte man, die glorreichen Zeiten des Klassikers seien vorbei. Dem ist nicht so, das zeigte die 92. Ausgabe der 24 Stunden von Le Mans eindrücklich. Vor der Rekordkulisse von 329 000 Zuschauern lieferten sich 23 Hypercars von neun Herstellern ein Rennen, das eher einem 24-Stunden-Sprint als einem taktisch ausgelegten Ausdauerrennen ähnelte. In den Klassen darunter, den LMP2 und GT3, war das Spektakel ebenso grandios, vor allem die Iron Ladies um die Solothurnerin Rahel Frey sorgten immer für gute Stimmung.
Das Duell zwischen dem Porsche von Kévin Estre und dem Ferrari von Alessandro Pier Guidi ist bereits legendär. Sébastien Buemi, Toyota-Werkspilot und vierfacher Le-Mans-Sieger, war verwirrt, als eben dieser Ferrari ihm und seinen Teamkollegen die Chance auf den Sieg nahm (s. Artikel l.). Später war er enttäuscht, dann kam die Wut. Die BoP, die berühmt-berüchtigte Balance of Performance zum Leistungsausgleich zwischen den Autos, war für Buemi und sein Team ein Nachteil. Aber für die Zuschauer ist die BoP ein Segen, sie macht ein Rennen wie jenes in Le Mans noch spannender.
Spektakel rundherum
Aber genauso genial wie das Spektakel auf der Strecke war in Le Mans das Drumherum, wie unter anderem das Konzertprogramm zeigte: Louise Attaque, Bigflo und Oli, Ofenback und Simple Minds. Aber Le Mans heisst auch: Campingplätze und Einkaufsmeilen, an denen die Hersteller ihre Fanartikel verkaufen. Le Mans ist darüber hinaus auch ein roter Teppich für Stars aus der Musikszene oder vom Sportplatz und natürlich auch für Industriebosse. So konnte man neben Gad Elmaleh und Vincent Cassel auch Yannick Noah, Pierre Gasly, Esteban Ocon, Luca de Meo, Carlos Tavares oder Wolfgang Porsche antreffen. Ach ja, und Frankreichs Fussballidol Zinédine Zidane eröffnete das Rennen. Le Mans steht am Anfang einer neuen glorreichen Ära. OD
Resultate
Le Mans (F). 4. Lauf zur Langstrecken-WM, 24 Stunden von Le Mans. Gesamtklassement: 1. (1. Platz Kategorie Hypercars) A. Fuoco/M. Molina/N. Nielsen (I/E/DK), Ferrari 499P, 311 Runden, 24:01:55.856 Stunden. 2. J. Lopez/K. Kobayashi/N. de Vries (RA/J/NL), Toyota GR010 Hybrid, 14.221 Sekunden zurück. 3. A. Pier Guidi/J. Calado/A. Giovinazzi (I/GB/I), Ferrari 499P, 36.730. 4. K. Estre/A. Lotterer/L. Vanthoor (F/D/B), Porsche 963, 37.897. 5. Sébastien Buemi/B. Hartley/R. Hirakawa (CH/NZ/J), Toyota GR010 Hybrid, 1:02:824 Minuten zurück. Ferner: 10. M. Bortolotti/D. Kvyat/Edoardo Mortara (I/RUS/CH), Lamborghini SC63, 2 Runden zurück. 12. J. Vergne/M. Jensen/Nico Müller (F/DK/CH), Peugeot 9X8, 2 Rdn. 13. Romain Grosjean/A. Caldarelli/M. Cairoli (CH/I/I), Lamborghini SC63, 2 Rdn. 15. (1. LMP2) O. Jarvis/B. Garg/N. Siegel (GB/USA/USA), Oreca 07-Gibson, 14 Rdn. Ferner: 20. (6. LMP2) P. Hyett/Louis Delétraz/A. Quinn (USA/CH/GB), Oreca 07-Gibson, 16 Rdn. 22. (8. LMP2) Matthias Kaiser/O. Caldwell/R. de Angelis (LIE/GB/CDN), Oreca 07-Gibson, 17 Rdn. 23. (9. LMP2) R. Sales/Mathias Beche/S. Huffaker (USA/CH/USA), Oreca 07-Gibson, 18 Rdn. 24. (10. LMP2) N. Rao/M. Bell/F. Vesti (USA/GB/DK), Cool Racing-Oreca 07-Gibson (CH), 20 Rdn. 25. (11. LMP2) Fabio Scherer/D. Heinemeier-Hansson/K. Simpson (CH/DK/USA), Oreca 07-Gibson, 20 Rdn. 26. (12. LMP2) L. Fluxa/M. Jakobsen/R. Miyata (E/DK/J), Cool Racing-Oreca 07-Gibson (CH), 22 Rdn. 27. (1. LMGT3) Y. Shahin/M. Schuring/R. Lietz (AUS/NL/A), Porsche 911 GT3 R, 30 Rdn. 32. (5. LMGT3) S. Bovy/M. Gatting/Rahel Frey (B/DK/CH), Lamborghini Huracán Evo 2, 32 Rdn. 35. (8. LMGT3) J. Laursen/C. Laursen/J. Taylor (DK/DK/USA), Spirit of Race-Ferrari 296 (CH), 32 Rdn. 45. (16. Hypercars) Neel Jani/H. Tincknell/J. Andlauer (CH/GB/F), Porsche 963, 60 Rdn. – Ausfälle: U. a. J. Cottingham/N. Costa/Grégoire Saucy (GB/BR/CH), McLaren 720S Evo (220. Runde); D. Vanthoor/Raffaele Marciello/M. Wittmann (B/CH/D), BMW M Hybrid V8 (102.); Thomas Flohr/F. Castellacci/D. Rigon (CH/I/I), Ferrari 296 (30.). – 62 Autos gestartet, 46 klassiert.