Nico Müller: «Diese Cockpits sind sehr begehrt»

Interview: Werner J. Haller | 23.11.2023

Langstrecken-WM Das erste Jahr von Nico Müller als Werkspilot 
von Peugeot ist vorbei. Der Berner zieht Bilanz 
für sich, für das Team und die Langstrecken-WM.

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Nico Müller: Seit diesem Jahr Werkspilot von Peugeot in der Langstrecken-WM.

Karts ist er gefahren, später Formel- und Tourenrennwagen. Dieses Jahr wagte der 31-jährige Berner Nico Müller als Werkspilot von Peugeot den Sprung in den Langstreckenrennsport. In einer Zeit, in der die Langstrecken-WM dank eines Ansturms von Herstellern eine neue, goldene Ära erlebt. Allein beim Saisonhöhepunkt, den 24 Stunden von Le Mans (F), standen 16 Hypercars, Prototypen der neusten Generation, am Start.

AUTOMOBIL REVUE: Ihre erste Saison in der Langstrecken-WM bei den Prototypen ist vorbei. Mit welchen Gefühlen schauen Sie zurück?

Nico Müller: Mit gemischten Gefühlen. Wir bei Peugeot hatten uns erhofft, von Beginn weg an der Spitze mitfahren zu können, mussten und müssen aber noch Lehrgeld bezahlen. Dennoch, der Lernprozess geht wirklich schnell voran. Wir haben während der Saison konstant Fortschritte gemacht. Unter dem Strich hat dem Auto einfach noch Performance gefehlt. Trotzdem sind wir beispielsweise bei den 24 Stunden von Le Mans über uns hinausgewachsen. Während der Nacht und bei unterschiedlichen Wetterbedingungen habe ich das Rennen angeführt. Leider konnten wir diese Performance nicht bis zur Zielflagge halten. Ich weiss, dass dieses Team in der Langstrecken-WM erfolgreich sein kann, wenn wir das Auto wie bisher weiterentwickeln. Rückblickend bleibt mir sicher Le Mans in bester Erinnerung. Es war eine Ehre, für ein französisches Team diesen Klassiker zu fahren und dabei noch Führungskilometer zu sammeln. Insofern war dieses Premierenjahr unter dem Strich eine tolle Erfahrung.

Wie war für Sie der Umstieg von Tourenwagen auf Prototypen?

Eigentlich ist mir der Umstieg leicht gefallen. Obwohl die Autos sich äusserlich unterscheiden, sind sie sehr ähnlich zu fahren. In der Aerodynamik und im Gewicht unterscheiden sich die Hypercars nicht gross von den Class-1-Tourenwagen, die ich in der DTM gefahren bin. Anders ist hingegen der Rennablauf. Im Unterschied zu Sprintrennen musst du bei Langstreckenrennen beispielsweise noch mehr strategische Elemente berücksichtigen. Aber auch damit habe ich gelernt umzugehen.

Der Langstreckenrennsport erlebt ein Revival wie Jahrzehnte nicht mehr. Viele neue Hersteller sind dazugekommen. Gibt es einen Hype um die Hypercars aus der Sicht der Rennfahrer – oder ist es vor allem der Klassiker Le Mans, der die Fans anzieht?

Den Aufschwung der Langstrecken-WM mit Hypercars von vielen Herstellern merkt man unbestritten. Einen Hype ausgelöst und die Massen elektrisiert hat dieses Jahr aber vor allem Le Mans. Das waren unvergleichliche Renntage.

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Mitte April 2023 in Portimão (P): Nico Müller im Peugeot 9X8 holt mit Platz fünf sein bestes Resultat als Einsteiger in der Langstrecken-WM.

Mit der Herstellervielfalt ist der Langstreckenrennsport wohl die derzeit grösste Attraktion für Rennfahrer, junge wie alte. Gibt es ein Gedränge um die Cockpits?
Mir ist es eine Ehre, dass ich in einem Hypercar ­eines Werksteams sitzen darf. Das meine ich wirklich so! Denn ja, die Langstrecken-WM und ihre Herstellervielfalt sind unter den Rennfahrern ein Thema. Diese Cockpits sind aktuell sehr begehrt. Ich bin in einer sehr privilegierten Situation, das ist mir absolut klar. Ich kann das übrigens auch in Bezug auf die Formel E, eine weitere Weltmeisterschaft des Autoweltverbandes FIA, behaupten.

Apropos: Im Langstreckenrennsport dürfte Ihre Zukunft liegen. Wie sieht es mit der Formel E aus? Und schliesslich haben Sie sich ja noch ein weiteres Standbein aufgebaut als Fernsehkommentator von Formel-1-Rennen.
In der Formel E bin ich weiterhin aktiv. Für mich ist sie spannend, das Team Abt-Cupra hat die Rolle des Herausforderers. Ich fühle mich im Team aber wohl, vor allem weil ich mit Abt beispielsweise auch schon in der DTM zusammengearbeitet habe. Die Formel E ist eine ganz andere Herausforderung als die Langstrecken-WM. Die Rennen sind kurz, sie werden auf engen Stadtkursen gefahren und nicht zuletzt ist das Level wirklich sehr hoch. Mir passt es, in diesen beiden unterschiedlichen Wettbewerben am Start sein zu dürfen. Und mit meinem TV-Job bin ich an der Formel 1 dran. Da werden viele schöne Erinnerungen wach an meine Kindheit, als ich Formel-1-Rennen am TV verfolgt habe.

Zurück zur Langstrecken-WM 2023. Der fünfte Platz in Portimão war dieses Jahr Ihr bestes Resultat. Für das Team, für Peugeot, war es der dritte Platz in Monza. Hatte sich Peugeot als Werksteam mehr erhofft?
Natürlich hatten wir uns mehr erhofft. Ab und zu wäre wohl auch mehr möglich gewesen. Ich erwähne wieder Le Mans, wo ich in Führung lag. In Monza hatten wir, das Auto mit Loïc Duval, Gustavo Menezes und mir, die Podestplatzierung vor Augen. Als Dritte auf dem Podium standen aber Paul di Resta, Mikkel Jensen und Jean-Eric ­Vergne mit dem Schwesterauto, weil wir ein technisches Problem beklagten. Ich bin mit meiner Leistung zufrieden, und das Team darf es auch sein. Grundsätzlich fehlt es uns eben etwas an Speed.

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Mitte Juni 2023 in Le Mans: Beim ­Klassiker hatten die speziell lackierten Peugeot Erfolgsmomente. Nico Müller lag zeitweise sogar in Führung.

Peugeot stellte sein Hypercar früh vor und setzte es auch ein. Andere wie Ferrari, Porsche oder Cadillac kamen erst später, trotzdem liegen sie am Saisonende vor dem grossen Peugeot-Werk. Von aussen betrachtet hat man den Eindruck, Peugeot sei von der Konkurrenz überrollt worden. Zu harte Worte?
Peugeot hat sich sehr früh zu diesem Projekt bekannt, das ist richtig. Entsprechend früh wurde das Projekt lanciert. Peugeot hatte damit auch ein Hypercar-Reglement vorliegen, das später noch ein wenig angepasst wurde, worauf Konkurrenten, die später dazustiessen, aber reagieren konnten. Peugeot hatte sein Projekt bereits weit vorangetrieben und das Auto auf Allradantrieb ausgelegt, beispielsweise mit 31-Zoll-Reifen vorne und hinten. Ich würde also nicht sagen, dass wir überrollt wurden. Wir hatten einfach aufgrund des Reglements ein anderes Konzept.

Weiss man bei Peugeot bereits, wo im nächsten Jahr der Hebel angesetzt werden soll?
Das wissen wir sehr wohl, und wir arbeiten bereits fleissig. Aber man muss es realistisch sehen, auch wir können nicht innerhalb der nächsten acht bis zehn Monate alles auf den Kopf stellen. Entscheidend ist, dass wir wissen, wohin die Entwicklung des Autos geht. Ziel ist es, dass wir früh in der nächsten Saison an der Spitze mitmischen können.

Trotz der Herstellervielfalt in der Langstrecken-WM, sind Toyota und Ihr Schweizer Rennfahrerkollege Sébastien Buemi wieder Weltmeister. Müssen die Fans langfristig auch in der Langstrecken-WM mit einem Dominator rechnen wie in der Formel 1 – oder holen die Toyota-Gegner auf und können vielleicht schon nächstes Jahr regelmässig um den Sieg mitkämpfen?
Fakt ist, dass Toyota bereits länger als jeder andere Hersteller in der Topklasse der Langstrecken-WM dabei ist – und das mit Erfolg. Toyota hat also einen Erfahrungsvorsprung. Das Reglement für Hypercars liegt auch schon eine Weile vor, Toyota hat nach diesen Vorgaben bereits drei Autos gebaut. Es war zu erwarten, dass Toyota siegen würde. Aber man hat dieses Jahr gesehen, dass auch die Gegner aufholen. Ferrari hat bereits ein Rennen gewonnen, und es war das wichtigste überhaupt, jenes in Le Mans. Die Konkurrenz schläft nicht. Sie lernt, und sie wird Toyota näherkommen. Ich bin überzeugt, dass die Titel in der Langstrecken-WM in den kommenden Jahren stärker umkämpft sein werden und dass es kein Szenario geben wird wie beispielsweise in der Formel 1. 

Bilanz der Hypercars – Zahlen und Fakten zu 14 Teams

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Toyota Gazoo Racing – Toyota GR010, 3.5 Liter Turbo V6 Hybrid

Die Japaner sind ganz klar führende Hypercar-Kraft. Langstreckenweltmeister bei den Konstrukteuren und Fahrern, unter anderem mit dem Waadtländer Sébastien Buemi. Sechs Renn­siege, je fünf Podestplätze und Polepositions.

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Porsche Penske Motorsport – Porsche 963, 4.6 Liter Turbo V8 Hybrid

Das Team aus den USA holte in der US-amerikanischen Rennserie Imsa je drei Siege und Podiumsplätze, in der Langstrecken-WM zwei Podeste. In beiden Serien gab es total sieben Ausfälle – kein anderes Team fiel öfter aus.

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Meyer Shank Racing – Acura ARX 06, 2.4 Liter Turbo V6

In der US-Meisterschaft Imsa eine stolze Bilanz mit drei Siegen und einem Podestplatz – und nur einem Ausfall. In der Imsa-Teamwertung hinter Whelen und Taylor trotzdem nur auf dem dritten Rang.

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Ferrari AF Corse – Ferrari 499P, 3.0 Liter Turbo V6 Hybrid

In der Langstrecken-WM neben Toyota einziger Rennsieger – dafür in Le Mans! Dazu fünf weitere Podestplatzierungen, zwei Polepositions und nur ein Ausfall. In der Hersteller-WM weit hinter Toyota, aber auch weit vor Porsche.

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Cadillac Racing – Cadillac V-Series-R, 5.5 Liter V8 Hybrid

Eine der Enttäuschungen der Saison. Das Werksteam holte in der US-Serie Imsa nur einen Sieg, dazu zwei Podestplätze in der Imsa und einen in der Langstrecken-WM. In der WM Vierter, in der Imsa gar nur Siebter.

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Whelen Engineering Racing – Cadillac V-Series-R, 5.5  Liter V8 Hybrid

Die Nummer eins unter den Cadillac-Teams. In der US-Serie Imsa Titelgewinner bei den Teams und Fahrern (Pipo Derani, Alexander Sims). Ein Sieg und je zwei Podestplätze und Polepositions. Kein Ausfall!

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BMW M Team RLL – BMW M, 4.0 Liter Turbo V8 Hybrid

In der US-Serie Imsa nur Platz sechs bei den Teams. Und das trotz eines Sieges und je zwei zweiten und dritten Plätzen bei Rennen. Vier Ausfälle, mehr Ausfälle verzeichnete in der US-Meisterschaft nur Penske.

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Wayne Taylor Racing – Acura ARX 06, 2.4 Liter Turbo V6

Platz zwei in der Teamwertung der US-Meisterschaft Imsa. Mit Blick auf dieses Klassement bestes Acura-Team, unter anderem mit dem Genfer Louis Delétraz. Kein Rennsieg, dafür drei Podiumsplätze. Aber auch vier Ausfälle.

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Peugeot Total Energies – Peugeot 9X8, 2.6 Liter Turbo V6 Hybrid

In der Herstellerwertung der Langstrecken-WM nur Rang fünf für das Team mit dem Berner Nico Müller, nur noch vor Glickenhaus und Vanwall. Zwar nur einmal ausgefallen, aber eben auch nur einmal auf dem Podium.

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Proton Competition – Porsche 963, 4.6 Liter Turbo V8 Hybrid

In den Wertungen der Langstrecken-WM und der US-Serie Imsa jeweils letztes Porsche-Team. Das Debüt erfolgte spät in der Saison. Trotzdem unter anderem mit dem Berner Neel Jani Dritter beim Imsa-Finale in Road Atlanta.

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Hertz Team Jota – Porsche 963, 4.6 Liter Turbo V8 Hybrid

In der Langstrecken-WM nicht in der Konstrukteurswertung, aber Sieger bei den Teams – im Duell allein mit Proton. Beste Platzierungen im Gesamtklassement waren die Ränge sechs in Spa-Francorchamps (B) und Fuji (Japan).

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JDC-Miller Motorsports – Porsche 963, 4.6 Liter Turbo V8 Hybrid

In der Teamwertung der US-Meisterschaft Imsa nur auf Rang neun. Aber das Team startete erst Mitte Mai beim vierten Lauf in die Saison. Trotzdem reichte es noch zu je zwei vierten und fünften Plätzen bei Rennen.

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Glickenhaus Racing – Glickenhaus 007 LMH, 3.5 Liter Turbo V8 (Pipo Moteurs)

Das Team gehörte zu den ersten mit einem Hypercar. In der Konstrukteurswertung der Langstrecken-WM Vorletzter vor Vanwall. Wahrscheinlich 2024 nicht mehr dabei.

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Floyd Vanwall Racing Team – Vanwall Vanderwell 680, 4.5 Liter V8 (Gibson)

In der Langstrecken-WM Letzter bei den Hypercars. Drei Ausfälle bei Rennen, kein Team fiel in der Langstrecken-WM öfter aus. Ob das Privatteam weiterfährt, wenn Alpine und Lamborghini 2024 hinzukommen, ist fraglich.

Fotos: Peugeot, Toyota, WEC, Imsa

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