Werner J. Haller | 17.10.2024
Philip Ellis ist Champion in der US-amerikanischen Sportwagenmeisterschaft. Der 32-jährige Zuger hat aus wenig viel gemacht.
Im Januar 2021 gewann Philip Ellis in der Klasse GTD der IMSA-Sportwagenmeisterschaft die berühmt-berüchtigten 24 Stunden von Daytona. Eineinhalb Jahres später siegte der Zuger bei einem weiteren Klassiker auf der Strecke von Road America in Elkhart Lake. Wieder rund ein Jahr später hatte sich Ellis auch in die Siegerliste von Indianapolis eingetragen. Seit Ende dieser Saison ist Philip Ellis neunfacher Rennsieger bei Läufen zur US-amerikanischen Meisterschaft – aber vor allem ist er zusammen mit dem Rennfahrerkollegen Russell Ward (USA) und dem Team Winward Racing Titelgewinner der Klasse GTD (Grand Touring Daytona).
Zweifellos, Ellis hat es weit gebracht. Er hat aus wenig viel gemacht. Als Bub erfüllte sich sein sehnlichster Wunsch, ein Kart zu Weihnachten, nicht. Als er Teenager war, wollten die Eltern endlich einen Schlussstrich ziehen unter die Rennfahrerambitionen des Sohnes und bezahlten einen Formel-Kurs auf Mallorca (E). Aus zwei wurden drei Tage, weil ein Teamchef dort Potential sah in Ellis. Der Titelgewinn 2011 in der Formel Lista hatte aber nicht den gewünschten Effekt, im Folgejahr beendete Ellis die Formel-Euro-Saison vorzeitig. Die Finanzen halt.
Die Rennfahrerei liess dem studierten Betriebsökonom aber keine Ruhe. Nach dreieinhalb Jahren Pause kratzte er das Geld zusammen für den Audi-TT-Cup, mit dem Ziel, den Titel zu gewinnen und so eine weitere Chance zu bekommen. Er holte den Titel und bekam die Chance. Als Rennsieger im ADAC GT Masters (2018-2020) und der DTM (2021) landete er schliesslich als Pilot von Mercedes-AMG in den USA. Wir ziehen den Hut.
AUTOMOBIL REVUE: Champion der US-amerikanischen Sportwagenmeisterschaft. Was bedeutet Ihnen dieser Erfolg – auch weil Sie im Vergleich zu anderen Konkurrenten eher «auf den letzten Drücker» und auf einem unkonventionellen Weg im Rennsport Fuss gefasst haben?
Philip Ellis: Es macht einen schon stolz. Rennfahrer wollte ich immer werden, als kleiner und naiver Junge wollte ich natürlich zuerst mal in die Formel 1. Die US-amerikanische Sportwagenmeisterschaft mit Rennstrecken wie Daytona oder Sebring hatte ich aber dann bald auch auf dem Radar. Dass ich mich heute in dieser grossen Rennserie als Rennfahrer durchgesetzt habe, scheint mir fast unglaublich. Natürlich braucht es für einen solchen Weg auch immer Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Menschen treffen ist relevant. Der Titel nun ist für mich auch ein Dankeschön an die Menschen, die mich auf meinem Weg begleitet und unterstützt haben.
2021 fuhren Sie noch in der DTM, hatten in Ihrer Premierensaison sogar ein Rennen gewonnen. Da war die USA, wo Sie künftig für Mercedes-AMG fahren sollten, mehr Fluch denn Segen. Mittlerweile ist der US-Rennsport aber wohl Ihre Heimat geworden?
Das ist so. Ich bin angekommen in den USA und im Team von Winward. Ich finde die Rennen, die Meisterschaft hier, richtig gut. Obwohl die USA meine Rennheimat geworden ist, bin ich auch gerne in anderen Rennserien und mit anderen Teams unterwegs. In Europa reizen mich GT-Rennen wie die 24 Stunden am Nürburgring oder in Spa-Francorchamps immer noch sehr. Diesen Winter fahre ich neu auch in der Asian Le Mans Serie. Ich komme viel rum (lacht). Aber ich geniesse das.
Zählen Sie die Luftmeilen noch?
Nein (lacht). Ich habe keine Ahnung, wie viele Meilen im Jahr zusammenkommen. Mein Teamchef hat mich bei einem Flug mal dasselbe gefragt. Ich wusste es nicht. Aber ich habe die Rennen zusammengezählt. Dieses Jahr sind es 28 Rennwochenenden – Tests also exklusive (lacht). Aber es macht Spass, ich mache das gerne. Es darf so weiter gehen – und auf diesem Weg darf der eine oder andere Titel gerne mit ins Gepäck.
Sie haben Ihren Wohnsitz immer noch in der Schweiz, in Zug. Aber arbeiten tun Sie dort wohl mittlerweile nicht mehr?
Nein, nein. Ich fahre nur noch.
Als Sie im Januar beim Saisonauftakt in Daytona gewonnen
hatten, sagten Sie, das Team sei nun bereit für den Titel. In der
Vergangenheit sei der Titel dem Team versagt geblieben, weil es nach
einem Erfolg zu euphorisch wurde und sich schliesslich verrannte. Diese
Saison gewannen Sie mit Winward vier der ersten fünf Rennen – danach
aber keines mehr. War das Team demnach wirklich bereit?
Das war es, in der Tat. Durch die vier Siege zu Saisonbeginn war
unser Punktevorsprung auf die Konkurrenz bald derart gross, dass wir
keine zu grossen Risiken eingehen wollten. Es gab schlicht keinen Grund
dafür. Schon nach dem zweiten Sieg in Sebring mahnten wir, saubere
Rennen zu fahren, Kontakte und Strafen zu vermeiden. Die
US-amerikanische Meisterschaft hat ihr eigenes Punktesystem, das muss
man erst verstehen. Stehst du am Start, nimmst du gleich Punkte mit. Du
musst nicht wie in anderen bekannten Rennserien 70 Prozent der Distanz
zurücklegen, um überhaupt gewertet zu werden.
Es gab tatsächlich keine Abstriche? Der achte Platz beim Saisonfinale in Road Atlanta war der Tiefpunkt.
Dass wir nicht immer vordere Plätze belegten, hatte auch damit zu
tun, dass die eine oder andere Strecke besser zu einem anderen Auto
passte als zu unserem. Vor allem BMW, unser einziger Gegner beim
Saisonfinish, war bei den letzten drei Rennen stärker.
Apropos BMW: Der M4 GT3 mit Jahrgang 2021 ist wesentlich
jünger als der Mercedes-AMG GT3, der aus dem Jahr 2015 stammt. Wie sieht
es diesbezüglich aus, sitzen Sie bald in einem neuen GT3-Boliden?
Ich muss mich noch bis zur Saison 2027 gedulden, davor werden aber
viele Tests gefahren. Die Entwicklung läuft bereits. Vermutlich werden
wir 2025 erste Systemtests starten, und im übernächsten Jahr dürften
ersten Prototypen eingesetzt werden. Stillstand gibt es sicher nicht bei
Mercedes-AMG.
Zur Titelverteidigung in der US-amerikanischen Meisterschaft treten Sie aber 2025 an?
Momentan kann ich das nicht bestätigen, aber ich gehe schwer davon
aus. Viel eher stellt sich die Frage, welche Rennen ich nebenbei noch
fahren werde. Leider überschneiden sich die Renntermine der IMSA mit
denen der GT-Challenge in Europa, auch das 24 Stundenrennen am
Nürburgring 2025 überschneidet sich mit einem Termin. Ich muss mal
schauen, wie ich solche Rennen aneinander vorbeibekomme.
Fotos: IMSA, DTM, ADAC GT Masters