Rallye Dakar Beim dritten und letzten Anlauf von Audi feiert Carlos Sainz im elektrifizierten Experimentalauto der Ingolstädter seinen vierten Dakar-Sieg. Auch weil die vermeintlich schnellere Konkurrenz sich zu viele Fehler leistete.
Dakar-Sieger: Carlos Sainz im Audi RS Q e-tron T1U.
Die 46. Ausgabe der Rallye Dakar ist Geschichte. Zwei Wochen, zwölf Tagesetappen und über knapp 8000 Gesamtkilometer tobten, wühlten, surften und quälten sich die Teilnehmer bei der Mutter aller Marathonrallyes. Von der Küste am Roten Meer quer durch Saudi-Arabien zur grössten und wüstesten Sandwüste der Welt, dem Leeren Viertel im Süden der Arabischen Halbinsel, und wieder zurück.
Wie immer forderte die Wüste ihre Opfer, auch einige Mitfavoriten versenkten ihre Dienstwagen und ihre Hoffnungen im Sandmeer. Allen voran der nach flottem Auftakt führende Lokalmatador Yazeed Al-Rajhi. Gleich zu Beginn der neuartigen 48-Stunden-Etappe in den Dünen des riesigen Leeren Viertels, bei der externer Service verboten war, Fahrer und Beifahrer auch über Nacht von den Teams getrennt und auf sich allein gestellt waren, überschlug er sich im Toyota mehrfach und schied aus. Andere kämpften ebenfalls mit sich und ihren Maschinen. «Das ist das Schlimmste, was man einem Fahrer antun kann», berichtete Giniel de Villiers, im Jahr 2009 erster und bisher einziger afrikanischer Dakar-Sieger. «Da man durch das Auf und Ab in den Dünen dauernd den Horizont verliert, wird man beim Fahren seekrank, muss kurz anhalten und sich übergeben. Ziemlich irre, aber wir waren nicht die einzigen. Ich bin nur alt genug, es auch zuzugeben», sagte der 51-jährige Südafrikaner, während er sich im Ziel über Gesamtrang sieben freute.
Audi-Verfolger: Pechvogel Sébastien Loeb
beim Radwechsel.
Ex-Junioren-Rallyeweltmeister Martin Prokop, im Vorjahr
mit einem selbst modifizierten Ford F-150 Raptor mit müdem Saugmotor
starker Sechster, gönnte sich ein 3.5-Liter-V6-Turboaggregat, wie es
auch Al-Rajhi, de Villiers und weitere in ihren Toyota Hilux hatten, und
stürmte auf Rang fünf. Dass der Tscheche dabei das offizielle
Ford-Werksteam von M-Sport mit dem ehemaligen Dakar-Sieger Nani Roma
ablederte, dürfte selbst in der US-Zentrale für Erstaunen sorgen.
Schliesslich wird Ford neben Dacia im kommenden Jahr mit neu formierten
Werksteams angreifen. «Das ist die Dakar», weiss Guerlain Chicherit,
seit 2005 beim Wüstenspektakel dabei. «Guillaume de Mévius und ich
mieteten beim belgischen Overdrive-Team zwei Hilux T1+ und versuchten,
möglichst sauber durchzufahren. Plattfüsse und Defekte sind dabei an der
Tagesordnung, man darf es nur nicht übertreiben», sagte der gereifte
Draufgänger und freute sich nach einer spektakulären Schlussphase über
Platz vier. Auch Teamgefährte de Mévius profitierte von den Dramen auf
der vorletzten Tagesetappe über 587 Wertungskilometer von al-’Ula nach
Yanbu, die mit ihren extrem felsigen Pisten schon im Vorjahr für
zahlreiche Reifen- und Fahrwerksschäden sorgte.
Viel Pech für Loeb
So handelte sich auch Sébastien Loeb – einziger
Teilnehmer, der dem seit Tag sechs führenden Audi-Piloten Carlos Sainz
noch gefährlich werden konnte – wegen fünf Reifenschäden und eines
defekten Radträgers eineinhalb Stunden Rückstand ein und musste sich
trotz fünf Etappensiegen mit dem dritten Gesamtrang hinter Sainz und
Überraschungsmann de Mévius zufrieden geben. Denn sein Prodrive- und
künftiger Dacia-Teamkollege und Sieger der beiden vergangenen
Dakar-Ausgaben, Nasser Al-Attiyah, strich vorzeitig die Segel. Nach
diversen Reifenschäden, kollabierten Dämpfern, einer gebrochenen
Lenkung, defekter Hinterachse und Motorenproblemen trat der Katarer
frustriert die Heimreise an und liess Loeb allein. «Ob nun Zweiter oder
Dritter, macht keinen grossen Unterschied. Wir haben nur wenige Fehler
gemacht. Am Ende gaben unsere Reifen- und Fahrwerksschäden sowie die
Teamleistung von Audi den Ausschlag», zog der Elsässer ein versöhnliches
Résumé. «Wir müssen die Defizite an unserem Auto nochmals genau
analysieren und die Resultate in den neuen Dacia einfliessen lassen.»
Toyota-Bande: Der zweitplatzierte Guillaume de Mévius (r.) vor Seth Quintero.
Obenauf schwangen Audi, Carlos Sainz und Lucas Cruz.
Nach zwei enttäuschenden Anläufen machten die Ingolstädter Werkssportler
bei ihrem dritten und letzten Dakar-Start vieles richtig und arbeiteten
im Vorfeld vor allem an der Standfestigkeit des komplexen RS Q e-tron,
bei dem alle vier Räder zwar rein elektrisch angetrieben werden, dessen
Batterie aber zusätzlich zur Bremsrekuperation auch über einen mit
zwischen 4500 und 6000 U/min drehenden DTM-Motor geladen wird. Mit
Erfolg! Obwohl Sainz nicht eine Etappe gewinnen konnte, feierte er nach
2010 mit Volkswagen, 2018 mit Peugeot und 2020 mit X-Raid Mini seinen
vierten Sieg. Der 61-jährige Madrilene fuhr konstant schnell, vermied
allzu grosses Risiko und profitierte von technischen Problemen und
Unfällen der vermeintlich schnelleren Konkurrenz. Zudem konnte er sich
auf seine beiden Teamkollegen Mattias Ekström und Stéphane Peterhansel
verlassen. Der Schwede gewann den Prolog und lag zur Halbzeit hinter
Sainz auf Platz zwei, bevor ihn eine defekte Hinterachse um alle
Chancen brachte. Auch Peterhansel, mit 14 Dakar-Siegen Rekordhalter,
haderte mit der Audi-Technik und rutschte auf Platz 22 zurück.
Erkenntnisse aus dem Rennsport
Der Stimmung im Audi-Lager tat dies keinen Abbruch. «Es
ist ein riesiges Glücksgefühl, wieder ein neues Kapitel der
Motorsportgeschichte geschrieben zu haben. Unsere drei Fahrerpaarungen
waren sich nicht zu schade, ihren Teamkollegen zu helfen, wenn es nötig
war. Das zeigt, wie gut unser Team aufgestellt ist und funktioniert»,
sagt Audi-Motorsportchef Rolf Michl. «Motorsport dient bei Audi auch
dazu, ganze Systeme oder einzelne Komponenten unter Extrembedingungen zu
testen, angefangen beim Leichtbau, über spezielle Materialien und
neuartige Antriebe bis hin zur Batterietechnologie. Auch wenn es nicht
geplant ist, mit dieser Form des Antriebs weiter zu machen, werden wir
die vielen Erkenntnisse aus den Rennen und Stresstests zu nutzen
wissen.»
Im Gespräch: Carlos Sainz (r.) mit Audi-Motorsportchef Rolf Michl.
Ob Sainz (Ford?), Peterhansel (Karriereende?) und
Ekström (Ford?) im kommenden Jahr wieder mit von der Partie sein werden,
ist noch offen. Beschlossen ist hingegen das Ende des Audi-Projekts.
Der Autoweltverband FIA und die Dakar-Veranstalterin, die Amaury Sport
Organisation (ASO), haben bereits reagiert: Dem historischen Erfolg
eines alternativ angetrieben Fahrzeugs bei der Rallye Dakar wird
vorerst kein weiterer folgen. Die Klasse T1U wird es nicht mehr geben.
Auch deshalb setzten Dacia und Ford künftig auf grossvolumige
V6-Turbobenziner, um die etablierten Platzhirsche von Toyota
anzugreifen.
RESULTATE
Rallye Dakar. Gesamtklassement (12 Tagesetappen, 4727 km): 1. Sainz/Cruz (E), Audi RS Q e-tron T1U, 48:15.18 Stunden. 2. de Mévius/Panseri (B/F), Toyota Hilux T1, 1:20.25 Stunden zurück. 3. Loeb/Lurquin (F/B), Prodrive Hunter T1+, 1:29.12. 4. Chicherit/Winocq (F), Toyota Hilux T1+, 1:35.59. 5. Prokop/Chytka (CZ), Ford F-150 T1+, 2:16.43. 6. Botterill/Cummings (ZA), Toyota Hilux T1+, 2:40.33. 7. de Villiers/Murphy (ZA), Toyota Hilux T1+, 2:50.26. 8. Vanagas/Sikk (LT/EST), Toyota Hilux T1+, 2:57.17. 9. Moraes/Monleon (BR/E), Toyota Hilux T1+, 3:03.12. 10. Serradori/Minaudier (F), Century Buggy T1, 3:04.12.