Sébastien Buemi – Ein Sieg in Le Mans ist schöner als der Titelgewinn

Interview: Jean-Claude Schertenleib | 07.12.2023

Interview Der 35-jährige Waadtländer tanzt 
auf gleich drei Hochzeiten. Trotz Formel E und Formel 1 ist 
er erneut Langstreckenweltmeister. Zum bereits vierten Mal.

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Langstrecken-WM: Als Werkspilot von Toyota hat Sébastien Buemi den Titel zum vierten Mal geholt.

Sébastien Buemi ist mit seinen 35 Jahren immer noch ein vielbeschäftigter Mann. Die Bilanz 2023: Er ist Weltmeister in der Langstrecken-Weltmeisterschaft und Gesamtsechster in der Formel-E-WM. Und er ist auch der unermüdliche Arbeiter im Simulator des Formel-1-Teams von Red Bull Racing um Weltmeister Max Verstappen. Vor allem aber ist Buemi ein beliebter Rennfahrer, sowohl bei seinen Arbeitgebern als auch bei der Öffentlichkeit. Das Publikum liebt es, wenn er in der Langstrecken-WM aus dem Toyota und in der Formel E aus seinem Envision-Jaguar auch mitten im Kampfgeschehen ein Gespräch mit seiner Box führt.

AUTOMOBIL REVUE: Sébastien Buemi, die Langstrecken-WM und die Formel-E-WM 2023 sind Geschichte, und Sie haben Ihr letztes Wochenende im Red-Bull-Simulator im Vorfeld des Grand Prix von Abu Dhabi absolviert. Haben Sie nun endlich wohlverdiente Ferien?

Sébastien Buemi: Noch nicht ganz. Ich habe noch ein paar Dinge auf dem Programm stehen, darunter zwei Testtage mit Toyota in Katar. Da die Langstrecken-WM nächstes Jahr zum ersten Mal dort stattfinden wird (am 2. März 2024 – Red.), nutzen wir die Nähe zu Bahrain, wo das diesjährige Finale ausgetragen wurde, um die Rennstrecke von Doha kennenzulernen.

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Buemis Weltmeisterauto: Der Toyota GR010 Hybrid.

Sie sind Toyota-Werkspilot in der Langstrecken-WM, Sie fahren für Envision-Jaguar in der Formel E, und Sie sind Simulatorfahrer für das Formel-1-Team von Red Bull. Ist das nicht zu viel des Guten?
Elf Wochenenden mit 17 Rennen in der Formel E, acht Rennen in der Langstrecken-WM, dazu der Prolog und private Tests, etwa 15 Wochenenden im Simulator – ja, das ist eine Menge.

Haben Sie auch Spass dabei?
Es kommt vor, dass ich genug habe. Aber es macht mir trotzdem meist immer noch Spass. Ausserdem ist es mein Job. Die Langstrecken-WM bereitet mir sehr viel Freude. Die Formel E ist mental sehr anstrengend, weil an den Rennwochenende innerhalb nur weniger Stunden viel passiert. Die Arbeit im Simulator ist etwas ganz anderes.

Was genau ist Ihre Aufgabe im Simulator?
Vor einem Grand Prix bin ich in der Regel am Donnerstag und Freitag im Simulator. Der erste Tag ist hauptsächlich der Entwicklung des nächsten Autos gewidmet, ich probiere also zukünftige Spezifikationen aus. Der zweite Tag ist der sogenannte Race-Support. Wir stehen in ständigem Kontakt mit dem Team, egal, wo es sich gerade befindet. Anhand der gesammelten Daten der Trainings entscheiden die Ingenieure an der Strecke, wie sie die Autos einstellen wollen, und es ist unsere Aufgabe, diese Einstellungen zu überprüfen.

Und so Lösungen zu finden, um Max Verstappen glücklich zu machen?
Das passiert oft. Am letzten Rennwochenende in Abu Dhabi zum Beispiel beschwerte sich Max am Freitag oft darüber, dass sein Auto untersteuere. Wir haben alle Daten in den Simulator eingegeben und dann verschiedene andere Einstellungen getestet, bevor wir sie an das Team vor Ort zurückgaben. Das Team hat aber immer das letzte Wort, es entscheidet, ob es unsere Vorschläge übernimmt oder nicht.

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Weltmeister 2023: Sébastien Buemi, Brendon Hartley und Ryo Hirakawa (o. v. l.), die den ­Toyota GR010 Hybrid mit der Nummer 8 lenkten.

Was würde Sébastien Buemi, der im Simulator als Ersatzfahrer für Max Verstappen und Sergio Pérez fungiert, noch erreichen, wenn er morgen in einem echten Formel-1-Auto sitzen würde?
Ich habe keine Ahnung. Der Simulator ist nicht die Realität. Ich denke aber, dass ich einen guten Job machen würde. Leider gibt es keine Testfahrten, bei denen ich das überprüfen könnte.

Kommen wir zurück zum Langstreckenrennen. Sie wurden zum vierten Mal Weltmeister, aber Sie haben die 24 Stunden von Le Mans nach 2018, 2019, 2020 und 2022 in diesem Jahr nicht gewonnen. Was heisst das für Sie?
Der Titel und Le Mans, das sind zwei unterschiedlich Dinge. Der Weltmeistertitel ist eine grosse Befriedigung, weil er die Belohnung für ein Jahr harter Arbeit ist. Wenn du ihn gewinnst, bist du der konstanteste Fahrer von allen. Ein Sieg in Le Mans dagegen ist sehr emotional. Die 24 Stunden sind dieses eine Rennen, das du gewinnen musst. Wenn du in Le Mans gewinnst, ist es nicht so schlimm, wenn du am Ende der Saison nicht Weltmeister bist. Immerhin hat der zweite Platz in Le Mans ­dieses Jahr entscheidend zum Titelgewinn beigetragen.

Wir erleben einen Wendepunkt im Langstreckensport, immer mehr Hersteller stossen in der Königsklasse Hypercars dazu, aber 2024 löst auch die GT3-Klasse die bisherige LMGTE ab. Was meinen Sie zur aktuellen Situation?
Es werden immer mehr Hersteller, das stimmt. Nach Peugeot, Porsche, Ferrari und Cadillac sind für 2024 Alpine, BMW und Lamborghini angekündigt, dazu kommt Isotta Fraschini. Damit dürften bei jedem Rennen um die 20 Hypercars am Start stehen. Das wird interessant!

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Einer von bisher vier Le-Mans-Siegen: Sébastien Buemi (M.) 2019 mit Fernando Alonso (l.) und Kazuki Nakajima.

Aber am Ende werden wie seit 2018 erneut Toyota und seine Piloten die Nase vorne haben?
Ehrlich gesagt, ist es schwer, nicht als Favorit zu gelten, wenn man unsere Erfahrung in der Klasse und die Qualität unserer Arbeit im Jahr 2023 betrachtet, in dem wir die Meisterschaft wirklich dominiert haben. Aber Vorsicht: Für Porsche und Ferrari wird es die zweite Saison sein, für Peugeot die dritte, wir können uns also nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen.

Jetzt übertreiben Sie.
Das sind nicht nur Worte! Wir arbeiten sehr hart. Dieses Jahr haben wir uns selbst unter Druck gesetzt, weil wir wussten, dass alle uns auf der Rechnung hatten. Nächstes Jahr wird es sicher nicht einfacher werden.

Ferrari hat dieses Jahr dieses eine Rennen gewonnen, Le Mans. Hat Sie das überrascht?
Ferrari hat sich für den Bau eines LMH-Autos entschieden, nicht für eines nach LMDh-Konzept (s. Box rechts oben – Red.). Die Autos werden zwar von AF Corse eingesetzt, trotzdem ist es zu 100 Prozent ein Ferrari-Projekt. In den Boxen treffe ich viele Leute, die ich aus der Formel 1 kenne. Zum Vergleich: Ich denke, dass Porsche über das Penske-­Team weniger involviert ist als Ferrari bei AF Corse. Um die Frage zu beantworten: Nein, ich war nicht überrascht von Ferraris Leistungsniveau. Die Zuverlässigkeit von Ferrari war jedoch überraschend.

Neben der Langstrecken-WM gibt es im Langstreckensport auch die US-amerikanische Imsa-Meisterschaft, in der dieses Jahr Porsche, Cadillac, BMW und Acura vertreten waren. Toyota ist daran nicht interessiert?
Dazu kann ich nichts sagen. Ich weiss aber, dass es in der Vergangenheit Gespräche gab, doch die Reglemente der beiden Rennserien sind immer noch unterschiedlich, LMH-Autos sind in der Imsa nicht zugelassen, das sind die LMDh-Hypercars. Dazu kommt, dass Toyota in den USA andere Interessen hat.

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Nicht nur Langstrecken-Weltmeister: Sébastien Buemi ist auch Formel-E-Pilot (Bild) und im Formel-1-Team von Red Bull um Weltmeister Max Verstappen Simulatorfahrer.

Ihr neuseeländischer Teamkollege Brendon Hartley startet Ende Januar 2024 mit einem Acura-Hypercar bei den 24 Stunden von Daytona. Ist das nicht überraschend?
Ich glaube, Acura verfügt über das beste LMDh-Auto. Sein Feedback wird interessant sein.

Und noch etwas: Im nächsten Jahr trifft man im Fahrerlager der Langstrecken-WM auf einen Megastar des Motorsports. Der mehrfache Motorradweltmeister Valentino Rossi steht ebenfalls am Start. Haben Sie ihn schon kennengelernt?
Es gab einige Kontakte, weil er mit demselben Fitnesstrainer arbeitet wie wir bei Toyota. Eine Persönlichkeit wie er ist zweifellos gut für die Langstrecken-WM. Es ist aber auch gut, dass Mick Schumacher und Robert Kubica dazustossen. Das zeigt eindrücklich, dass die Langstrecken-Weltmeisterschaft nach der Zeit, in der Toyota einst einziger Hersteller war (bis 2020 mit LMP1-Autos, ab 2021 mit Hypercars – Red.), endlich wieder lebt. Immer mehr Autos heisst auch, dass immer mehr Fahrer Interesse an der Langstrecken-WM haben. Und im nächsten Jahr werden wir zum ersten Mal einen WM-Lauf im italienischen Imola fahren. Ich kann mir gut vorstellen, wie euphorisch die Stimmung dort sein wird! 

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Langstrecken-WM 2024: Die Konkurrenz für Sébastien Buemi im Toyota GR010 Hybrid wird immer grösser.

Zwei Hypercar-Konzepte: LMH und LMDh

Le Mans Hypercar (LMH) Die Hersteller beginnen mit einem weissen Blatt Papier, was das Chassis, die Karosserie, den Motor und ein mögliches Hybridsystem (nur an der Vorderachse, maximale Leistung 200 kW) betrifft. Die Gesamtleistung des Antriebsstrangs darf 500 kW (680 PS) nicht überschreiten.

Le Mans Daytona Hypercar (LMDh) Karosserie und Hubraum sind frei wählbar, es gibt aber vier Chassis von Oreca, Dallara, Multimatic und Ligier zur Auswahl. Alle LMDh-Autos haben das gleiche System, das aus einer Bosch-Elektromaschine und einem Energiespeichersystem besteht, das wie der Verbrennungsmotor die Hinterachse antreiben muss.

Die Balance of Performance (BoP) sorgt für den Leistungsausgleich der Hypercar-Konzepte. So ist es möglich, dass Autos aus der Langstrecken-WM und der US-amerikanischen Imsa beispielsweise in Le Mans starten können. JCS

Fotos: Toyota, Red Bull, Hankook

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