McLaren hat nach dem Sieg von Oscar Piastri (gr. Bild) und der Aufholjagd von Lando Norris beim GP von Aserbaidschan die Führung in der Konstrukteurs-WM übernommen. Für Red Bull scheint nun auch die Titelverteidigung von Max Verstappen in Gefahr.
Mercedes oder Red Bull, Red Bull oder Mercedes. Es gibt wenige, die sich noch gut dran erinnern können, wie es war, als Ferrari das Mass der Dinge in der Konstrukteurs-Wertung der Formel 1 war. Oder gar McLaren. Das ist in der Tat schon ein Weilchen her, der letzte Mannschaftserfolg der britischen Renn-Dinosaurier datiert von 1998. Der Erfolg von 2007 zählt nicht zur Statistik, der wurde wegen einer Spionage-Affäre aberkannt. Umso grösser der Jubel beim Grand Prix von Aserbaidschan, dass McLaren erstmals wieder die Führung übernehmen konnte – und Red Bull den Platz ganz oben nach 55 Rennen abgeben musste. Papaya ist die Farbe der Saison in der Königsklasse.
Ein riesiger Meilenstein
Ein phänomenaler Aufstieg, wie auch Teamchef Andrea Stella, ein ehemaliger Ferrari-Ingenieur, weiss: «Wir dürfen nicht vergessen, dass wir Anfang 2023 als Letzte in die Saison gestartet sind und jetzt die Rangliste anführen. Das ist ein riesiger Meilenstein für uns.» 20 Punkte Vorsprung sind nicht viel bei noch sieben ausstehenden Rennen, aber angesichts des Höllentempos, dass seine Autos vorlegen, und bei all den fortgesetzten technischen Problemen von Rivale Red Bull, kann der Vorsprung schnell wachsen. «Mein Auto fliegt einfach», freut sich Lando Norris. Beleg: der Brite kam als hartnäckigster Verfolger von Max Verstappen von Startplatz 15 noch auf Rang vier, überholte seinen Widersacher mit grösstmöglicher Lässigkeit, und knabberte seinen Rückstand bis auf 59 Zähler ab.
206 Zähler gibt es an den letzten sieben Rennwochenenden noch maximal zu holen. Dass da noch was geht, fürchtet auch der Gegner. «Der Einzeltitel ist in Gefahr», klagt Red-Bull-Berater Helmut Marko, von der Teamwertung will er erst gar nicht reden. McLaren ist gerade das genaue Gegenteil der Renn-Bullen.
McLaren-Hoch: Oscar Piastri feiert mit dem Team den Sieg beim GP von Aserbaidschan.
McLaren-Hoch: Lando Norris rettete nach einer Aufholjagd Platz vier ins Ziel.
Max Verstappen: Es geht scheinbar abwärts mit dem Titelverteidiger und dem Red-Bull-Team.
Mit einem äusserst positiven Problem. Andrea Stella, der grosse
Harmoniker der Boxengasse, hat lange gebraucht, bis er sich zu einer
Stallorder durchringen konnte. Er blieb vor dem Rennen auf den Strassen
von Baku auch vage darin, wie die genau aussehen darf. Oscar Piastri,
sein zweiter Pilot, beteuerte, dass er weiterhin Rennen gewinnen kann.
Was er prompt tat – und wie. Sein entscheidendes Überholmanöver gegen
Charles Leclerc, der einmal mehr eine Poleposition verzockte, war eines
der sehenswertesten der Saison. Piastris Ingenieur hatte sogar davon
gewarnt, aber der neue «Iceman" vertraute seinem Instinkt. Anschliessend
lieferte er sich eine gut einstündige Abwehrschlacht mit dem Ferrari
und gestand danach: «Das war der stressigste Nachmittag meines Lebens.» Der Australier selbst hat nur noch 32 Zähler Rückstand auf Norris, da ist ein weiterer Champion der Zukunft herangewachsen.
Norris' Anteil an Piastris Sieg
Wie gut die Stimmung zu sein scheint beim Aufsteigerrennstall, zeigt
die Schützenhilfe, die Lando Norris umgekehrt geleistet hat. Während der
Boxenstopp-Phase blockierte er auf der Piste Sergio Pérez so geschickt
und lange, bis Piastri wieder mit frischen Reifen zurückkehren und zum
entscheidenden Manöver ansetzen könnte. «50 Prozent an Oscars Sieg gehören deshalb Lando», weiss auch Andrea Stella, und fügt stolz an: «Das verstehen wir unter Mannschaftsleistung.» Lando Norris weiss, dass er damit zusätzlichen Kredit gewonnen hat und behauptet: «Dass wir dadurch den ersten Platz in der Konstrukteurswertung erreicht haben, ist das, was mich am glücklichsten macht.»
Charles Leclerc: Einmal mehr reichte es dem Monegassen für die Poleposition,…
…im Rennen aber kam er an McLarens Oscar Piastri nicht vorbei.
George Russell: Der Mercedes-Pilot erbte nach dem Crash von Carlos Sainz (Ferrari) und Sergio Pérez (Red Bull) den dritten Platz.
Resultate
Grand Prix von Aserbaidschan. Baku, 17. von 24 Läufen: 1. Oscar Piastri (AUS), McLaren-Mercedes, 51 Runden zu 5.003 km (=306.049 km), 1:32:58.007 Stunden (=197.521 km/h). 2. Charles Leclerc (MC), Ferrari, 10.910 Sekunden zurück. 3. George Russell (GB), Mercedes, 31.328. 4. Lando Norris (GB), McLaren-Mercedes, 36.143. 5. Max Verstappen (NL), Red Bull-Honda, 1:07.098 Minuten zurück. 6. Fernando Alonso (E), Aston Martin-Mercedes, 1:25.468. 7. Alexander Albon (T), Williams-Mercedes, 1:27.396. 8. Franco Colapinto (RA), Williams-Mercedes, 1:29.541. 9. Lewis Hamilton (GB), Mercedes, 1:32.401. 10. Oliver Bearman (GB), Haas-Ferrari, 1:33.127. 11. Nico Hülkenberg (D), Haas-Ferrari, 1:33.465. 12. Pierre Gasly (F), Alpine-Renault, 1:57.189. 13. Daniel Ricciardo (AUS), Racing Bulls-Honda, 2:26.907. 14. Guanyu Zhou (CHN), Sauber-Ferrari, 2:28.841. 15. Esteban Ocon (F), Alpine-Renault, 1 Runde zurück. 16. Valtteri Bottas (FIN), Sauber-Ferrari, 1 Rd. – Ausfälle: Sergio Pérez (MEX), Red Bull-Honda (49. Runde, Kollision); Carlos Sainz (E), Ferrari (49., Kollision); Lance Stroll (CDN), Aston Martin (45., Bremsen); Yuki Tsunoda (J), Racing Bulls-Honda (14., Aufgabe wegen Kollisionsschaden). – Schnellste Runde (+1 Punkt): Norris, 42. Runde, 1:45.255 Minuten (=205.318 km/h). – Poleposition: Leclerc, 1:41.365 Minuten (=213.197 km/h).
Stände. Fahrer: 1. Verstappen, 313 Punkte (7 Saisonsiege). 2. Norris 254 (2). 3. Leclerc 235 (2). 4. Piastri 222 (2). 5. Sainz 184 (1). 6. Hamilton 166 (2). 7. Russell 143 (1). 8. Pérez 143. 9. Alonso 58. 10. Stroll 24. 11. Hülkenberg 22. 12. Tsunoda 22. 13. Albon 12. 14. Ricciardo 12. 15. Gasly 8. 16. Oliver Bearman (GB), Ferrari und Haas-Ferrari, 7. 17. Kevin Magnussen (DK), Haas-Ferrari, 6. 18. Ocon 5. 19. Colapinto 4. – Konstrukteure: 1. McLaren-Mercedes 476 (4). 2. Red Bull-Honda 456 (7). 3. Ferrari 425 (3). 4. Mercedes 309 (3). 5. Aston Martin-Mercedes 82. 6. Racing Bulls-Honda 34. 7. Haas-Ferrari 29. 8. Williams-Mercedes 16. 9. Alpine-Renault 13.
Nächster Lauf: Grand Prix von Singapur, 22. September 2024.