Automobil Revue | 12.11.2024
Mit 1600 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von 380 km/h stellt der Bugatti Bolide höchste Anforderungen an Brems- und Fahrdynamikregelsysteme. Der deutsche Zulieferer Continental hat ein elektronisches Bremsregelsystem mit Antiblockiersystem (ABS), Elektronischer Stabilitätskontrolle (ESC) und Traktionskontrolle (TCS) für den Bolide entwickelt.
Nur ein Jahr dauerte es von ersten Vorgesprächen bis zu den Fahrtests. Das neue System basiert auf dem Motorsports ABS Kit by Continental Engineering Services. Es musste aber für die Performance des Super-Bugatti, der auf Basis des Chiron aufbaut und in einer Kleinserie von 40 Exemplaren ausschliesslich für die Rennstrecke gefertigt wird, angepasst und erweitert werden.
Anspruch an das Bremsregelsystem: es soll den 1600-PS-Rennwagen für professionelle Motorsportler und auch für motorsportbegeisterte Amateure beherrschbar machen. Beschleunigungs- und Bremskräfte müssen so geregelt sein, dass das Fahrzeug trotz seiner 1600 PS sicher zu lenken und zu führen ist.
Die besondere Herausforderung für den Entwicklungs- und Ingenieurdienstleister Continental Engineering Services (CES): Nicht für die Strasse zugelassene Rennfahrzeuge sind normalerweise für die Höchstleistung im Rennsport optimiert und nutzen keine derart komplexen Fahrdynamikregelsysteme.
Christian Willmann, Bugatti-Chefingenieur des Bolide, betont: «Noch nie zuvor wurde ein ESC-System mit Carbon/Carbon-Bremsen kombiniert – bis jetzt.» CES konnte dabei auf die Erfahrungen bei der Entwicklung der Serienhypersportwagen Veyron und Chiron zurückgreifen – und auf sein Motorsport-Know-how mit dem Basis-Motorsport-ABS.
Im Mittelpunkt stehen die Fahrdynamikregelfunktionen. Die Traktionskontrolle regelt die Kraft von 1600 PS so, dass in jeder Situation der jeweils maximale Vortrieb ermöglicht wird. Das Antiblockiersystem sorgt für die bestmögliche Bremsleistung, unabhängig von den äusseren Gegebenheiten. Die elektronische Stabilitätskontrolle hält das Fahrzeug auch bei anspruchsvollen Manövern stabil auf Kurs.
Fünf Fahrmodi für Antiblockiersystem, ESC und Traktionskontrolle
Wie kann die Technik einerseits maximale Performance für Rennsportler erlauben, aber gleichzeitig für nicht so versierte Fahrer maximale Fahrzeugbeherrschung sicherstellen? Die Lösung bestand darin, ein Bremsregelsystem zu entwickeln, bei dem die einzelnen Fahrdynamikfunktionen wahlweise aktiviert oder deaktiviert werden können.
Das Bremsregelsystem des Bolide bietet fünf verschiedene Fahrmodi für das Antiblockiersystem sowie für die Kombination aus Elektronischer Stabilitätskontrolle und Traktionskontrolle. Diese Modi reichen vom reinen Rennmodus über stufenweises Zuschalten der Fahrdynamikregelung bis zum umfassenden Einsatz elektronischer Unterstützung.
Die unterschiedlichen Fahrcharakteristika lassen sich während der Fahrt direkt am Lenkrad anpassen, abhängig von Streckenverlauf, Wetterbedingungen oder dem Zustand der Reifen. Wird die Bremsbalance zwischen Vorder- und Hinterachse angepasst, kann das flexible System damit besonders gut umgehen. Das ermöglicht es, jederzeit die beste Bremsleistung zu erreichen – egal, ob die Reifen kalt sind oder bereits während einer Runde auf der Rennstrecke die optimale Reifentemperatur erreicht haben.
Dabei müssen die im Rennsport üblichen extremen physikalischen Kräfte beherrscht werden. So treten beim Bremsen des 1600 kg schweren Hypersportwagens Verzögerungen von bis zu 2.5 g auf – das ist mehr als doppelt so viel im Vergleich zur maximalen Verzögerung eines Autos mit Strassenzulassung.
Auch der aerodynamische Abtrieb bei hohen Geschwindigkeiten musste in die Regelstrategien des Motorsport-Bremsregelsystems einbezogen werden: Das 380 km/h schnelle Fahrzeug belastet die Räder bei hohen Geschwindigkeiten im Vergleich zum Stillstand mehr als doppelt so stark.
Deshalb wurden die Algorithmen der Regelfunktionen weiterentwickelt, um die aussergewöhnliche Dynamik des Bolide zu bändigen. Dank dieser Optimierungen können die Systeme ihre Leistungsfähigkeit auch im Zusammenspiel mit Rennsport-Komponenten wie der Carbon/Carbon-Bremsanlage und speziellen Langstrecken-Slick-Reifen voll entfalten.
Das Bremsregelsystem selbst ist unscheinbar, wiegt weniger als zwei Kilogramm und hat gerade einmal die Grösse eines Ziegelsteins. Trotzdem ist es in der Lage, ein 1600 PS starkes Hypercar sicher durch enge Haarnadelkurven zu manövrieren und den Bremsdruck selbst bei Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 380 km/h präzise zu regeln.