Opel Astra E – Etwas weniger Fernweh

AR-Testteam | 01.02.2024

Unaufgeregt Zurückhaltung übt der elektrische Opel Astra in vielerlei 
Hinsicht. Über die Art seines Antriebs macht er kein Aufhebens, statt mit Rekorden und 
billigen Effekten zu prahlen, bewährt er sich mit perfektioniertem Mittelmass.

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Ob als Stromer, Benziner oder Diesel – für den Betrachter ist der Opel Astra immer gleich.

Die Zeit ist nicht gut umgegangen mit den Dingen, die früher die goldene Mitte verkörperten oder schlicht ein Symbol für den Alltag waren. Beim Grossverteiler gibt es sie kaum noch, die normale Ware des täglichen Bedarfs. An den Produkten hat sich zwar nicht viel geändert, aber sie werden heute kategorisiert, und ihnen werden besondere Eigenschaften zugewiesen, damit sie noch wahrgenommen werden. Aus dem schlichten Guten, das uns lieb und teuer war, sind nun Klassiker geworden, manchmal wird um sie herum nun ein Kult inszeniert. Was günstig ist, gilt als Budgetprodukt, teurere Ware – oder was als solche erscheinen soll – wird als Premiumartikel positioniert. Dazwischen herrscht Orientierungslosigkeit. Feste Werte reichen nicht mehr, im Marketingjargon ist ein Produkt, das als grundsolide gilt, aber weder hier- noch dorthin platziert werden kann «stuck in the middle» oder auf Deutsch: in der Mitte festgefahren. Das ist in der auf kleinste Zielgruppen heruntersegmentierten, von «starken Marken» dominierten, modernen Verkaufswelt ein ganz fürchterlicher Ort. In der Autowelt zeigt sich dies etwa so: Eigenschaften, die man ehedem von einem Volumenmodell, einem klassischen Brot-und-Butter-Auto erwartet hat und mit denen man höchst zufrieden war, reichen kaum mehr aus für den Erfolg.

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Das neue Gesicht von Opel greift auf historische Modelle zurück, etwa den Manta A. Das verleiht dem Astra eine gewisse Eigenständigkeit.

Das einstige Volumenmodell von Opel hat im vergangenen Jahr in der Schweiz 845 Käufer gefunden. Das ist ganz o. k. – verglichen mit seinem einstigen Hauptkontrahenten VW Golf ist die Zahl allerdings ernüchternd. Dieser hat inzwischen zwar auch seinen Status als Bestseller verloren, mit 3526 verkauften Autos im Jahr 2023 ist er aber noch immer eine respektable Grösse in der umfangreichen Modellvielfalt der Wolfsburger. Gut möglich, dass dies Opel schmerzt. Allerdings nur, wenn man zurückschaut. Mancher Fehler wurde in der Vergangenheit begangen. Was mit dem Blitz seit der Übernahme durch PSA passiert, scheint aber in die richtige Richtung zu weisen. Innerhalb des Konzernverbunds, so liess Stellantis im vergangenen Jahr verlauten, sollen die Rüsselsheimer künftig die Coolen sein – das wirkt selbstbewusst.

Betrachtet man den Opel Astra oberflächlich, dann wirkt er durchaus nach vorwärts gerichtet. Sein Design ist frisch, die Mischung aus modernen Linien und einem Gefühl von Hochwertigkeit stimmt, obwohl man tendenziell zu bemerken geneigt ist, dass noch etwas mehr Mut nicht geschadet hätte. Dennoch versucht Opel das Biedermann-Image endgültig loszuwerden. So steht er also da, der Astra, und verrät noch nicht einmal, dass er zu den Guten gehört, den elektrisch angetriebenen Autos. Nein, er ist einfach Auto, das ist erst einmal cool genug. Typisch für Stellantis kann die Plattform, hier die EMP2, allerlei unter der Motorhaube beinhalten, einen Benzinmotor, einen Diesel oder einen Elektromotor. Und wie andere reine Batteriefahrzeuge des Konzerns sitzt die E-Variante des Astra in Sachen Leistung im Mittelfeld der Modellreihe. Eindrückliche Beschleunigungsorgien sind nicht sein Thema, er übt sich in Zurückhaltung. Der Astra ist also unaufgeregt – wir anerkennen das als cool.

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Die bequemen Sitze sind – wieder einmal – ein Gedicht bei Opel. Hinten bietet der Astra guten Durchschnitt. 

Und wir stellen weiter fest, dass der Astra als Auto für alle Tage perfekt funktioniert. Während unseres Tests erfüllte er die Aufgaben des üblichen Autoalltags klaglos. Wir fuhren in der Stadt herum, brachten Kinder an ihr Ziel und holten sie wieder ab, wir nahmen mit seiner Hilfe Termine in der Region wahr und unternahmen längere Touren. Bei Temperaturen deutlich unter null Grad hatten wir Vorbehalte, ob die deklarierten Reichweiten tatsächlich zu erreichen seien. Denn mit eingeschalteter Heizung braucht ein Elektroauto viel Energie, um die Insassen bei Laune zu halten. Die Grösse der angegebenen Reichweite im Verhältnis zur vorhandenen Batteriereserve stimmte aber nur selten überein. Die Kapazität von theoretischen 54 kWh und nutzbaren knapp 51 kWh reichte in der Regel für rund 300 Kilometer unaufgeregter Fahrt mit etwas Polster. Das ist o. k., dennoch wünschte man sich eine etwas grössere Batterie, wenn man das Auto intensiv nutzt. Dafür eignet sich der Astra, immerhin ein Kompakt- und kein Kleinwagen, bestens. Doch es gilt, ihn täglich diszipliniert zu laden. Eingeschworene E-Fahrer werden sich darüber kaum noch Gedanken machen, Umsteiger müssen sich dessen aber bewusst sein. Das ist generell die Krux von Autos, die es als Verbrenner und Elektroversion gibt: Auf dem Papier sehen die Stromer meistens schlechter aus – weniger für mehr. Das gilt auch für den Opel Astra.

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Unter der Motorhaube sitzen neben dem Antrieb auch die Regelelektronik und der 11-kW-Ladegleichrichter.

Klassengerecht

Wie die Verbrennerkollegen glänzt der Astra mit seinen gelungenen Sitzen, immer wieder ein starkes Argument der Rüsselsheimer. An Platz vorne herrscht denn auch kein Mangel. Weil die E-Version systembedingt schwergewichtig ist, fällt die Grundabstimmung der Aufhängung des E-Astra tendenziell straff aus. Dem Handling kommt das zugute. Der Astra zeigt wenige Schwächen und bietet manchen lustvollen Moment auch auf der Landstrasse. Auf der Autobahn passt zur sehr unaufgeregten Art des Elektrofahrens das im Testwagen verbaute Assistenzsystem Intelli-Drive 2.0 neuster Art. Der Wagen hält damit mit über weite Strecken guter Verlässlichkeit mittig die Spur. Anders als bei den Peugeot-Geschwistern mit ihren i-Cockpits gibt es im Opel ein normal angeordnetes Instrumentenboard – vielleicht ein Argument für all jene, die mit dem Peugeot liebäugeln, aber nicht mit dem Volant im Schoss fahren und darüber hinwegsehen möchten, um die Anzeigen im Auge zu behalten. Gut sind die nach wie vor vorhandenen Tasten für Primärfunktionen. Weniger gut gefallen uns der Wählschalter für die Fahrtrichtung und der extra zu betätigende Druckschalter für eine stärkere Rekuperation. Wer sich davon bei Bergabfahrt eine verstärkte Bremswirkung erhofft, stellt ernüchtert fest, dass bei voller Batterie nichts geschieht. Ansonsten wünschte man sich eine bessere Möglichkeit zum Ein-Pedal-Fahren in der Stadt.

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Der auf wesentliche geometrische Formen reduzierte Innenraum wirkt cool und modern. Das ­Masshalten beim mittleren Bildschirm ist angesichts der vorhandenen Tasten bestens zu verkraften. Einzig am Wählschalter haben wir wenig Freude, toll funktioniert aber das Intelli-Drive.

Dahin gehört der Astra denn auch zur Hauptsache, oder man nutzt ihn zum Pendeln über eine weitere Strecke mit mehreren Passagieren an Bord. Denn ist man ganz allein unterwegs, stellt sich die Frage, ob es ein Corsa nicht auch täte. Dessen Antriebstechnik ist dieselbe wie im Astra, allerdings kostet sie wesentlich weniger. Die beste Chance des E-Astra aber sehen wir bei dessen Kombiversion. Als Transporter für Kind und Kegel, als Servicefahrzeug im Berufseinsatz und als Wagen für den Alltag mit gelegentlichen Freizeit-Sonderaufgaben erscheint uns ein Astra E mit Verlängerung als valable Alternative zu vielem, was aktuell sonst so an Elektroautos zu finden ist. Das ist womöglich auch cool.

Testfazit

Der Opel Astra E ist eine Mischung von vielerlei Geschmacksrichtungen. Nichts kratzt und beisst wirklich, die Leistung ist akzeptabel, die Reichweite auch, der Wagen sieht gefällig aus, und die Sitze sind bequem. Aber es fehlt dieses kleine Stück Einzigartigkeit. Und wenn er dem Vergleich der Konkurrenz ausgesetzt ist, fällt er deutlich ab, besonders auch beim Preis.

Testergebnis71/100

Antrieb12/20

Die Leistung bewegt sich am unteren Ende des Spektrums im Konkurrenzumfeld. Dank der arttypischen Leistungsentfaltung des Elektromotors wirkt der Astra E aber ausreichend motorisiert.

Fahrwerk11/15

Das Mehrgewicht kompensiert der Elektro-Astra mit einer etwas strafferen Abstimmung. Die Lenkung ist ansprechend kommunikativ.

Innenraum20/25

Hervorragende Sitze sind ein Opel-Markenzeichen, der Astra macht da keine Ausnahme. Ein überschaubares Bedienschema erleichtert den Umgang mit dem Rüsselsheimer.

Sicherheit12/15

Das aufpreispflichtige Assistenzsystem Intelli-Drive 2.0 greift dem Fahrer zuverlässig unter die Arme. Für den unaufgeregten E-Astra passt dies bestens. Hervorragend sind die LED-Matrix-Scheinwerfer.

Budget16/25

Dem Opel steht seine knappe Leistung etwas im Weg. Die Konkurrenz bietet hier, genauso wie bei der Batteriegrösse, mehr. Wer einen echten Vorteil sucht, wählt besser die Kombiversion des Astra Electric.

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Fotos: Vesa Eskola, Text: Martin Sigrist

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