E-Pick-up Chevrolet Silverado EV, Hummer EV, Rivian R1T: In den USA sind elektrische Pick-ups nicht erst seit dem Tesla Cybertruck «The next big thing» der Autobranche. Aber im Prinzip kann es nur einen geben: den Ford F-150 Lightning.
Der Ford F-150 Lightning hat eigentlich nur ein grosses Problem. Und damit dieses nicht bis zum Ende des Textes über dem vollelektrischen Pick-up hängt, handeln wir es gleich zu Beginn ab. Es ist: der Verbrauch. Also die Reichweite.
429 Kilometer gibt Ford an, die Realität sieht aber anders aus. In der Praxis sind es im Schnitt knapp 320 Kilometer, auf der Autobahn liegt der Verbrauch bei fast 40 kWh/100 km. Damit ist die Batterie mit 91 kWh Nettokapazität sehr bald leer. Ein Ford F-150 sei auch kein Auto für ausgedehnte Autobahnfahrten bei Tempo 120, mag man einwenden. Man fährt damit nicht nach Südfrankreich in die Ferien, sondern er ist ein Arbeitsgerät für klar definierte Aufgaben. Der Einwand kommt natürlich völlig zu Recht, deshalb haben wir diese Thematik auch gleich zu Beginn abgehakt. Bei der Grösse, dem Gewicht und der Aerodynamik eines Kleinlasters hätten wir natürlich auch nichts anderes erwartet. Mit der serienmässigen Anhängerkupplung kann der Lightning sogar noch einen 3.5-Tonnen-Anhänger ziehen – was der Reichweite aber auch nicht zuträglich ist. Und mit einem (besetzten) Pferdeanhänger im Schlepptau noch einen Schnelllader zu finden, ist eine Situation, in der sich niemand wiederfinden möchte.
Bigger is better
Mit 6.30 Metern Länge und 2.40 Metern Breite über die Spiegel ist es schon Herausforderung genug, das Auto auch ohne Anhänger ins Parkfeld vor der Ladesäule zu zwängen. Aber es ist auch irgendwie cool. In mindestens einer Dimension hat der F-150 keinen Platz – dann nimmt man eben zwei Parkfelder. In typischer Interessiert-mich-nicht-Manier, die man sich nur traut, wenn man das grösste Auto auf der Strasse hat. Die missbilligenden Blicke tut man mit einem Schulterzucken ab. Wer hierzulande einen Full-Size-Pick-up, wie das Segment in den USA heisst, fährt, ohne wirklich einen Zweck dafür zu haben, wer nicht mit dreckigen Arbeitsschuhen, sondern mit sauberen Sneakers und Blazer aussteigt, kann sich auch gleich «Nach mir die Sintflut» auf die Stirn tätowieren lassen. Aber mit dem F-150 hat man natürlich einen gute Ausrede, schliesslich ist der ja elektrisch. Man tut also eigentlich etwas Gutes für die Umwelt und fürs Klima.
Und selbstverständlich ist das alles nicht nur Show, das Monstrum kann tatsächlich im Sinne des Erfinders genutzt werden – irgendwie. Der F-150 Lightning bietet ordentlich Platz, die Ladefläche ist 1.70 Meter lang und zwischen den Radkästen immer noch 1.30 Meter breit. Und die Elektrovariante von Amerikas beliebtestem Auto hat noch einen speziellen Vorteil: Unter der Haube befindet sich ein riesiger Funk mit 400 Litern Volumen, was in etwa dem Kofferraum eines durchschnittlichen Kompaktwagens entspricht. Ausserdem gibt es grosszügigen Stauraum in der Kabine, unter anderem in zwei Handschuhfächern und einer riesigen Mittelkonsole, die sich zudem in einen kleinen Tisch verwandeln lässt, sodass der Pick-up auch gleich noch als mobiles Büro dient.
Das riesige Infotainment mit der Bedienung allein über den Touchscreen passt nicht so recht in ein Arbeiterfahrzeug.
Praktisch sind hingegen die 230-Volt-Steckdose und …
… die Mittelkonsole, die sich zu einem kleinen Tisch ausklappen lässt.
Platz gibt es in beiden Reihen mehr als ausreichend.
Das passt natürlich, wenn das Auto mit einer Grundfläche von über 13 Quadratmetern schon die entsprechenden Abmessungen hat. Das Notebook lässt sich an der 230-Volt-Steckdose über der Mittelkonsole während der Arbeit aufladen. Wer trotz Crew-Cab – die einzige Konfiguration, die es für den elektrischen F-150 gibt – nicht mit der ganzen Crew unterwegs ist, hat hinter den Vordersitzen noch einmal ordentlich Platz und einen ebenen Ladeboden, denn die Rückbank lässt sich hochklappen. Der viele Platz muss allerdings mit Bedacht gefüllt werden, sonst ist der Truck schnell einmal überladen. Leer wiegt der F-150 Lightning 2.9 Tonnen, maximal erlaubt sind 3.5 Tonnen. Knapp 600 Kilogramm Zuladung sind beileibe nicht viel für ein Auto dieser Grösse.
Born in the USA
Gebaut wird auch der europäische Ford F-150 Lightning in Dearborn (USA) bei Detroit. In Köln (D) wird er dann noch umfangreichen Modifikationen unterzogen, wozu vor allem die Gewichtsreduktion gehört, um die vier Tonnen Gesamtgewicht der US-Version auf unter 3.5 Tonnen zu bringen. Dazu kommen natürlich die Anpassungen an die europäischen Normen, wozu ironischerweise auch der kleine Kuhfänger an der Front gehört, der dem Fussgängerschutz dient. Nicht zu vergessen die Blinker und das Radio, die auf europäische Standards umgerüstet werden müssen. Dass die Reichweite nicht grösser ausfällt, ist auch den europäischen Vorschriften geschuldet, in den USA gibt es nämlich noch eine Version mit 130 kWh Batteriekapazität, die noch einmal deutlich schwerer und damit für Europa untauglich ist.
Mächtig ist er trotzdem. Mit 1050 Newtonmeter vor allem im Antritt. Nach 5.2 Sekunden erreichte der F-150 Lightning bei der AR-Messung 100 km/h, der Durchzug ist monströs für ein Fahrzeug dieser Klasse. Klar, ein F-150 Raptor R mit V8-Motor ist auch schnell, aber elektrisch ist eben noch schneller. Und vor allem ist es beeindruckend, weil unverzüglich. Und nahezu geräuschlos, selbst auf der Autobahn. Die schlechte Aerodynamik wirkt sich kaum auf den Komfort aus, die Windgeräusche halten sich selbst bei 120 km/h im Rahmen. Und das Fahrwerk bekundet kein Problem mit dem Gewicht, sodass der F-150 Lightning sehr angenehm zu fahren ist. Typisch amerikanisch ist er weich gefedert und schaukelt über Bodenwellen – alles passt zum US-Charakter. Die Sitze sind ausladend und bequem, Seitenhalt bieten sie allerdings kaum. Was auch nicht weiter stört, schliesslich sind schnelle Kurven nicht die Materie eines grossen Pick-ups mit Geländereifen. Einen Sportmodus gibt es zwar, die Sportlichkeit hält sich aber auch damit in sehr engen Grenzen.
Die Bedienung ist Ford-Fahrern vertraut. Äusserst prominent thront das 15.5-Zoll-Tablet über der Mittelkonsole, wie man es auch aus dem Mustang Mach-E kennt. Ob das die richtige Wahl ist für ein Arbeitsfahrzeug, darf man sich fragen, allerdings hängt das vor allem damit zusammen, dass in Europa ausschliesslich die gehobene Ausstattungsvariante Lariat angeboten wird. In den USA, wo der F-150 quasi das ist, was bei uns ein Skoda Octavia ist, gibt es ihn ebenfalls mit kleinerem Display und dafür mehr echten Knöpfen.
In der Front des Ford F-150 Lightning befindet sich ein Fach, so gross wie der Kofferraum eines durchschnittlichen Kompaktwagens.
Teurer Praktiker
Praktisch sind auf jeden Fall die zahlreichen 230-Volt-Steckdosen nicht nur im Innenraum, sondern auch auf der Ladefläche. Ebenso die elektrische Heckklappe, die sich auf Knopfdruck öffnet und schliesst und aus der sich auch noch ein Trittbrett ausfahren lässt, das die Ladefläche trotz hoher Ladekante leicht zugänglich macht.
Und wenn wir schon beim Praktischen sind: Eine 360-Grad-Kamera ist Serie, was das Parkieren deutlich angenehmer gestaltet, denn wirklich übersichtlich ist der F-150 eben nicht. Auch bei der Fahrt im Gelände hilft die Frontkamera, die die Sicht bei der Überfahrt von Kuppen verbessert. Dort hilft auch das Gelände-Fahrprogramm, das die Drehmomentverteilung anpasst, sodass die 1050 Nm nicht unvermittelt auf die Räder gebracht werden, sondern bedarfsgerecht verteilt. Schliesslich soll der Lack nicht durch fliegende Kieselsteine von durchdrehenden Rädern beschädigt werden. Denn bei einem Preis von nicht gerade günstigen 127 000 Franken ist der Ford F-150 Lightning zu schade, um ihn unbedacht im Alltag zu beschädigen.
Testfazit
Der Ford F-150 Lightning gefällt grundsätzlich. Wären da nicht ein paar grosse Kritikpunkte – und, nein, die Grösse ist keiner davon. Die knappe Reichweite, die beschränkte Zuladung und der hohe Preis dürften den potenziellen Kundenkreis für den elektrischen Pick-up doch ziemlich stark einschränken.
Testergebnis 71/100
Antrieb 7/14
Leistung und Drehmoment hat der Ford F-150 Lightning mehr als ausreichend. Allerdings ist der Verbrauch ausserordentlich hoch und damit die Reichweite beschränkt.
Fahrwerk 24/28
Lenkung und Fahrwerk überzeugen, solange man keine Rennen fahren will. Die Abstimmung ist trotz der Blattfeder an der Hinterachse weich und komfortabel.
Innenraum 21/28
Sehr viel Platz, praktische Details wie die hochklappbaren Rücksitze, ein Tischchen in der Mittelkonsole, 230-V-Steckdosen und ein riesiger Frunk sind die Stärken des elektrischen F-150.
Sicherheit 11/18
Der Bremsweg ist, auch wegen der Geländereifen, sehr lang. Eine serienmässige 360-Grad-Kamera verbessert die Rundumsicht.
Budget 8/12
127 000 Franken sind ein stolzer Preis für einen Pick-up. Als Baustellenfahrzeug dürfte der F-150 Lightning deshalb kaum zum Einsatz kommen.