Mercedes-Benz E-400 e – Auf Sternfahrt durch zwei Welten

Martin Sigrist | 14.12.2023

Doppelte Kraft Mercedes spendiert der 
E-Klasse eine Riesenbatterie und lässt sie als Plug-in-Hybrid so weit fahren wie kein anderer Hersteller.

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Mercedes E 400 e (W214).

Die E-Klasse von Mercedes wurde Mitte Jahr neu aufgelegt. Den W214, so die interne Typbezeichnung, lassen die Schwaben künftig nur noch mit einem zusätzlichen E-Motor auf der Getriebeseite im Werk 46 in Sindelfingen (D) vom Band laufen. Bei den Mildhybriden wird dieser von der Bordbatterie mit 48 Volt gespiesen. Der Plug-in-Hybrid hingegen, dessen technische Komponenten sich gar nicht so sehr von denen der Mildhybride unterscheiden, bedient sich einer vorwiegend unter dem Kofferraum eingebauten, vergleichsweise grossen 370-Volt-Batterie mit respektablen 24.5 kWh Kapazität. Damit verspricht Mercedes eine rein elektrische Reichweite von gegen 100 Kilometern. Zudem lässt sich die E-Klasse mit bis zu 140 km/h ohne Einsatz des Zweiliter-Vierzylinder-Verbrennungsmotors bewegen. Spannen beide Antriebe zusammen, stehen 381 PS Leistung an, das Maximum in der E-Klasse abseits der AMG-Modelle. Die Kraft wird mechanisch auf beide Achsen verteilt, der 4Matic-Antrieb funktioniert nach alter Schule mit einem dem Neungang-Wandlergetriebe nachgeschalteten Verteilergetriebe mit Zentraldifferenzial und Antriebswelle zur Vorderachse. Die Regelung der Kraftverteilung erfolgt durch Bremseingriffe beim durchdrehenden Rad. In der Praxis ist davon selten etwas zu spüren, einzig wenn es gilt, die leer rund 2.2 Tonnen schwere Limousine in Bewegung zu setzen, nimmt man die perfekte Traktion des Allradlers zur Kenntnis. Die vom Werk angegebenen 5.3 Sekunden für die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h mögen mit Sommerreifen der Realität entsprechen, unser mit Winterreifen ausgerüsteter Testwagen erreichte einen Wert von 5.8 Sekunden. Zudem glänzt der E 400 e mit ­einer Anhängelast von 2.1 Tonnen.


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Mercedes hat das einstige Volumenmodell, die E-Klasse (W214), neu aufgelegt. Als Plug-in-Hybrid bietet er eine überdurchschnittliche Reichweite, doch das schlägt sich im Preis und in Einschränkungen nieder.

Die A- und die B-Seite

Dies sind allerdings Papierwerte. In der Praxis wirkt der E 400 e durchaus willig, aber gelegentlich auch etwas schwerfällig. Sein Gewicht ist deutlich spürbar, die Anordnung der Batterie unter dem Kofferraum hilft da wenig, und die Leistungsentfaltung wirkt seltsam unnatürlich, sofern man bei einem Auto von «natürlich» sprechen kann. Der Wagen hat zwar Reserven und ein aufwendiges Fahrwerk mit Vierlenkerachse vorne und der von Mercedes erfundenen Raumlenkerachse, ­einer Fünflenkerachse, hinten, doch selbst dieser Aufwand macht die Hybrid-E-Klasse nicht zum dynamischen Ausnahmekönner. Sie bleibt eine zwar komfortable, aber auch reichlich träge Mittelklasselimousine. Immerhin ist die Lenkung um Feedback gewillt und übt sich in Präzision und Reaktionsgeschwindigkeit auch bei schnellen Richtungswechseln.

Was diesem Auto hingegen fehlt, ist ein anständig dimensionierter, ordentlicher Sechszylindermotor. Das Konzept dieses Plug-in-Hybrids ist ­eine Kopfgeburt, ein Vernunftsauto, das zumindest all jene, die wahre Freude an einem Auto empfinden, nie richtig zufriedenstellen wird. Dazu gehört auch das wenig ansprechende Geräusch, wenn der Zweiliter seinem elektrischen Compagnon zu Hilfe eilt. Das wirkt nicht sehr souverän. Am besten ist es, den E 400 e konsequent zu laden und das Gros der Alltagsfahrten rein elektrisch zurückzulegen. Dann – keine Frage – fährt dieser Mercedes, diese Spitze deutscher Automobilbaukunst, sanft und nahezu lautlos. Toll ist auch die grosse Reichweite im E-Modus. Immer wieder fällt der Blick auf den Energievorrat, der sich wesentlich länger hält als bei den meisten anderen Plug-in-Hybriden. Mit dem E 400 e lässt es sich so problemlos zwischen zwei grösseren Zentren pendeln, ohne dass ein einziges Mal der Benzinmotor mit ins Boot geholt werden muss. Wird damit der E 400 zum reinen Ferienfahrt-Verbrenner? Vielleicht! Die Vorstellung, dass jemand zusammenzuckt, wenn sich der Vierzylinder nach einer Ewigkeit der Arbeitsabwesenheit zurückmeldet, ist amüsant.


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In den meisten Fahrsituationen bleibt der Zweiliter-Vierzylinder still.

Doch auch wenn die Charakteristik dieses Hybrids nicht so richtig für Lustmomente sorgt, so lässt sich immerhin sagen, dass der E 400 e als Elektroauto vollauf befriedigt. Die Sinne des Fahrers und seiner Passagiere stehen damit offen zur freudvollen Aufnahme jener Dinge, die ihnen ohnehin näher sind in diesem Auto als der Antrieb und die Frage nach dessen Energieversorgung. Gemeint sind die Möglichkeiten des hochtechnologisch ausgerüsteten Innenraums.

Orientierung in der Unendlichkeit

Eines vorweg: Trotz der unüberschaubaren Zahl an Funktionen und Hilfen des Infotainmentsystems Mbux – der «Mercedes-Benz User Experience» – sollte man sich keine Sorgen machen. Der Durchblick ist nicht in kurzer Zeit zu erlangen, doch die Sprachsteuerung ist den Ingenieuren hervorragend gelungen. Auf die Aufforderung «Hey Mercedes» und die anschliessende Formulierung einer Aufgabe folgt zu 99 Prozent ein brauchbares Resultat. Das erreichte Niveau ist erstaunlich. Das lässt hoffen, dass man dereinst die versprochene Konnektivität, die selbst Teammeetings und dergleichen vom Wagen aus möglich machen soll, in vernünftiger Zeit nutzen lernt. Nur wer sich des brennenden Drangs nach Individualisierung nicht erwehren kann, muss sich in die Tiefen der Menüs und Untermenüs hinabbegeben.


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Mbux-Superscreen.

An Bildschirmen fehlt es dem W214 derweil nicht, erst recht nicht, wenn man für 1723 Franken den Mbux-Superscreen geordert hat. Nicht ganz so opulent wie bei den vollelektrischen EQE und EQS sitzt dann ein grosser Bildschirm vor dem Beifahrer und in der Mitte des Armaturenbretts. Damit der Fahrer sich nicht ablenken lässt, schaut ­eine Kamera darauf, wohin seine Augen zielen, und sorgt dafür, dass etwa die per Streaming für den Beifahrer sichtbaren Videos für die Person am Lenkrad unsichtbar bleiben – zur Sicherheit. Die schier unendlichen Möglichkeiten und Funktionen der Mercedes-eigenen Info- und Unterhaltungselektronik zu beschreiben, sprengt aber den Rahmen dieses Berichts. Deshalb nur ein Beispiel: Auf dem Beifahrerbildschirm lassen sich hochgeladene Bilder anzeigen, quasi anstelle von Wurzelholz oder Klavierlack.

Apropos Innenraummaterialien: Mercedes pflegt auch in der E-Klasse den Anspruch an ein Premiumprodukt. Der vordergründige Eindruck in Sachen Verarbeitung ist perfekt, wer seine Hand aber von der mittleren Armauflage rein zufällig über die vordere Kante baumeln lässt, eine lässige Position und sehr bequem, ertastet rund um die Cup­holder scharfe, nicht bearbeitete Gräten und, noch schlimmer, darunter gehärteten Kitt, der da, wohl als Antidröhn-Material und um der recht dünnwandigen Mittelkonsole einen etwas hochwertigeren Eindruck zu verleihen, hervorquillt. Und der kleine Haltenocken der Abdeckung der Becherhalter wird wohl kaum mehr als einen Angriff mit ­einem leicht fehlgeleiteten Chromstahl-Thermosbecher aushalten, bevor er abbricht. Der Anspruch an die Sternmarke nach Unzerstörbarkeit ist passé. Einst gab Mercedes in Sachen Qualität den Weg vor. Nachdem viele Konkurrenten mittlerweile auch vorne angekommen sind, fällt der Vergleich etwas nüchterner aus.


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Scharfe Kanten und billiges Plastik rund um die Cupholder trüben das Bild der sprichwörtlichen Mercedes-Qualität.

Eingeschränkt, aber variabel

Durch den Einbau der Batterie ging die Höhe des Kofferraums zwar verloren, das 370 Liter grosse Gepäckfach ist am unteren Limit für eine ausgewachsene Limousine. Die Mildhybride der E-Klasse verfügen dagegen über einen 540 Liter grossen Kofferraum. Doch die Rückbank der klassischen Stufenhecklimousine lässt sich umklappen, was einen Teil des Verlustes wettmacht.

Damit stehen wir am Ende unseres Tests – und vor der Kernfrage: Macht dieses Auto eigentlich Sinn neben den beiden valablen Optionen, die Mercedes in derselben Klasse anbietet? Da gibt es den vollelektrischen EQE mit bis zu 682 Kilometern Reichweite und 300 kW (408 PS) Leistung oder aber den E 450 mit einem standesgemässen Reihensechszylindermotor und derselben Leistung von 280 kW (381 PS) wie der E 400 e. Wer täglich eine entsprechende Ladeinfrastruktur nutzen kann, mag sich nach dem EQE umsehen. Wer sich hingegen Sorgen um die Reichweite eines Elektroautos oder die Umstände des Ladens macht, ist mit dem 450er gewiss besser bedient und geniesst dazu einen harmonischeren Antrieb mit höherem Lustfaktor. Der E 400 e steht irgendwie etwas verloren dazwischen. 

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Der Kofferraum verliert durch den Batterieeinbau markant an Ladevolumen.

Testergebnis

Gesamtnote 76.0/100

Antrieb

An Leistung herrscht kein Mangel, doch die beiden Mitspieler in dieser Kombination lassen Wünsche offen, das gilt besonders für den Zweiliter-Vierzylinder, der bei mehr Einsatz recht vorlaut und angestrengt wirkt.

Fahrwerk

Das aufwendige Fahrwerk ist komfortabel abgestimmt, die Lenkung präzise und mit guter Rückmeldung von der Strasse gesegnet. Leider kann der Hybrid sein massives Mehrgewicht nur unzureichend kaschieren.

Innenraum

Grundsätzlich geschmackvoll gestaltet, leistete sich der Mercedes-Testwagen im Finish einige Schwächen. Doch das Mbux ist grandios!

Sicherheit

Wenn von Assistenzsystemen die Rede ist, dann hat die meisten davon Mercedes erfunden. Ihr Niveau ist nochmals höher, die Wirkung noch umfassender, die Eingriffe sind noch zielgerichteter, aber kaum störend.

Budget

Man bleibt sich treu in Stuttgart, die Grundpreise sind noch höher als bisher, die Ausstattungsoptionen mit den dazugehörigen Preislisten zahlreicher. Dafür gibt es darauf Dinge, die anderswo gar nicht lieferbar sind.

Fazit

Faszination wie eine leichte Enttäuschung machen sich gleichermassen breit nach den Erfahrungen mit dem stärksten Plug-in-Hybrid der neuen E-Klasse. Der Antrieb ist ein Lustkiller, die gebündelte Fülle an Technologie, die den Passagieren zur Verfügung steht, ist hingegen mehr als beeindruckend. Die neue E-Klasse ist toll, der Hybridantrieb weniger.

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Die Mercedes E-Klasse war während Jahrzehnten das Volumenmodell der Stuttgarter. Der W214 wird die Reihe dereinst abschliessen.

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Gut konturierte Sitze sorgen für hohen Fahrkomfort.

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Macht den verkleinerten Kofferraum etwas wett: Abklappbare Rücklehne.

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Variabler Kofferraum.

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Mercedes E 400 e (W214).

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Mercedes E 400 e (W214).

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Mercedes E 400 e (W214).

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Mercedes E 400 e (W214).

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Fotos: Vesa Eskola, Text: Martin Sigrist

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