Damals, beim ersten Besuch des Testers in Hethtel (GB), stand eine Gruppe von Journalisten rund um drei Lotus Exige Cup 380. Ein Herr im Anzug gesellte sich dazu, wir öffneten und schlossen Türen und Hauben, setzten uns ins Fahrzeug – eine Szenerie wie an einem Samstagmorgen vor einer Schrauberbude einiger Freunde. Etwas später, bei einer Power-Point-Präsentation, entpuppte sich der krawattierte Anzugmann mit unverkennbar deutschem Akzent mit französischer Note als der damalige Lotus-CEO Jean-Marc Gales, ein Luxemburger. Beim zweiten Besuch – für den Exige 410 – meinte derselbe Mann bereits lachend, denn er hatte ja eingeladen: «Schon wieder du hier?» Am selben Tag stakste der Schreiber mit Flo, dem damaligen Lotus-PR-Mann, über den Common von Wymondham, dem Ort gleich neben Hethel. Der Common ist die Allmend. Alastair, so Flos richtiger Name, soll Geologie studiert haben. Im Rückblick wirken diese Erinnerungen wie alte Illustrationen aus dem Kinderbuch «The Wind in the Willows» (dt. «Der Wind in den Weiden») von Kenneth Grahame aus dem Jahr 1908. Die Geschichte dreht sich um einen Maulwurf, einen Dachs und eine Ratte, die ihrem Freund Kröte zu Hilfe eilen, als dieser sich mit seiner Obsession für Autos – das Buch erschien 1908! – in Schwierigkeiten bringt.
Beim Besuch der 70-Jahr-Feier 2018 wehten chinesische Flaggen vor der Lotus-Fabrik. Den Händlern zeigte man am Freitagmorgen die Zukunft, darunter den Lotus Type 132, der Journalist nutzte die Gelegenheit, bei Clive Chapman vorbeizusehen, der gerade seinem Classic Team Lotus einen grosszügigen Neubau gegönnt hatte. «It’s all paid with my own money», alles aus selber verdientem Geld bezahlt, wie Clive betonte. Am Tag darauf eröffnete er sein neues Werk im Famlilienkreis und mit seinen Mitarbeitern. Chapman und Chris Dinnage, der Teamchef, hielten auf einer Treppe stehend eine Ansprache, beide sichtlich gerührt. «Us lot», wir, unser Haufen, die Bande: Daraus, so eine nicht bestätigte Legende, soll der Name Lotus entstanden sein. Hazel, Colin Chapmans Frau, wusst angeblich, was der wahre Ursprung war, schwieg aber konsequent zu der Frage. Sie war bei den Feiern noch mit dabei, Sohn Clive half ihr, ihren Elektro-Rollator durch die Menge zu steuern. Vielleicht hat sie auch noch, auf ihrem Bänklein vor Ketteringham Hall sitzend, die Form des Eletre gutgeheissen. Sie, die wahre Gründerin von Lotus, denn es waren ihre 25 Pfund, die zur Registrierung der Firma am 1. Januar 1952 nötig waren, hat bis zuletzt jedes Auto, das den Namen Lotus trug, vorab gutheissen dürfen. Hazel Chapman starb am 13. Dezember 2021 im Alter von 94 Jahren.
Shocking
Bei der ersten Begegnung mit dem Eletre gilt es, alles, was man über Lotus weiss, zur Seite zu legen. Dieses Auto ist gross, massiv gar, schwer, wirkt perfekt verarbeitet, gefällt aus jedem Winkel. Es besitzt ein zwar sehr durchgestyltes, aber durchaus funktionales Interieur und ist, so man dies überhaupt so sagen darf, mehr Auto, als es je ein Lotus war. Puristen wenden sich mit Grausen ab, hin zum Emira, der so viele der alten Elise- und Exige-Gene mit auf den Weg bekommen hat. Aufgeweckte Geister aber, Entdecker und Menschen, die ihren Fokus neu ausrichten können, denen die Vergangenheit weniger wichtig ist als das Hier und Jetzt, die dürften beim Eletre auf ihre Kosten kommen. Das Auto wirkt routiniert gebaut und, wichtiger noch, konzipiert. Da machen sich die Vorteile der Plattformen bemerkbar, auf denen die Lotus- und Geely-Ingenieure ihr Kind haben aufbauen dürfen. Alles sitzt am richtigen Ort, die Bedienung ist schlüssig, die Materialien wirken hochwertig und robust. Das Platzangebot ist grosszügig, ja selbst der Kofferraum ist recht geräumig, denn die Sitze lassen sich umklappen. Gab es das irgendwann zuvor in einem Lotus? Als Auto für jeden Alltagszweck hat der Eletre unter allen Lotus bereits einen Spitzenplatz inne. Das ist so radikal anders, als man die Leichtbaukreationen früherer Jahre in Erinnerung hat. Da bleibt die Frage, wie es denn um das Fahrverhalten des Eletre steht, versprochen wurde ja viel.