Mercedes AMG GT 63 – Nachbarschaftsduell

AR-Testteam | 13.06.2024

Sportwagen Der Mercedes-­AMG GT entsteht in unmittelbarer Nachbarschaft zu seinem Hauptkonkurrenten – dem Porsche 911.

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Zwischen der Mercedesstrasse 120, dem Hauptsitz von Mercedes-Benz, und dem Porscheplatz 1, dem Hauptquartier von Porsche, liegen nur ein paar Kilometer. 9.5 Kilometer quer durch den Stuttgarter Norden, um genau zu sein.

Diese geografische Nähe hat in der Vergangenheit zu wunderbaren Kooperationen geführt. Wer von den Lesern der AUTOMOBIL REVUE erinnert sich noch an den unglaublichen Mercedes-Benz W124 E 500/500 E, der Anfang der 1990er-Jahre im Auftrag bei Porsche gebaut wurde und dem Sportwagenhersteller in wirtschaftlich schweren Zeiten über die Runden half? Oder an den Mercedes-Benz 280 G, der in den 1980er-Jahren als Begleitfahrzeug für den Porsche 959 bei der Rallye Dakar diente und von einem 235 kW (320 PS) starken Porsche V8 aus dem 928 angetrieben wurde? Heute gibt es keine Zusammenarbeit mehr zwischen den beiden Unternehmen, die zu unterschiedlichen Automobilkonzernen gehören. Dennoch gibt es zwischen den beiden Nachbarn noch immer eine gewisse, nicht nur lokale Nähe. Das Ergebnis sind Fahrzeuge, die sich sehr ähneln. Der neue Mercedes-AMG GT, der anscheinend den Porsche 911 Turbo zum Vorbild hatte, zeigt dies jedenfalls.

Seit seiner Einführung im Jahr 2015 will der AMG GT den heiligen 911er vom Thron stossen. Um dieses Ziel zu erreichen, setzte die vorherige Mercedes-Generation jedoch auf ein Design, das sich relativ weit vom Porsche entfernte. Das ist beim neuen Modell nicht der Fall, das offen die von Ferdinand Alexander Porsche Ende der 1950er-­Jahre entworfenen Linien übernimmt. Das gilt vor allem, wenn man den AMG GT von schräg hinten betrachtet.

Unter der Karosserie hat der Mercedes keine Anlehnung an das über 60 Jahre alte Konzept. Anstatt einen Flat Six im Heckausleger zu positionieren, baute Mercedes den Motor in der vorderen Mitte ein. Als Einstiegsmodell verfügt der AMG GT 43 über einen elektrifizierten Zweiliter-Vierzylinder-Turbo mit 310 kW (421 PS). Es folgt der AMG GT 55 mit einem Vierliter-V8-Biturbo, der 350 kW (476 PS) leistet. Darüber steht der GT 63 S E Performance mit einem Hybrid­antriebsstrang aus V8 und Elektromotor, die zusammen eine Leistung von 600 kW (816 PS) erreichen. Zwischen den beiden letztgenannten Modellen positioniert sich der von uns getestete GT 63. Sein V8-Biturbo kommt ohne Hybridantrieb aus und leistet 430 kW (585 PS) mit einem Drehmoment von 800 Newtonmetern. Diese Leistung entspricht in etwa der des 3.8-Liter-Biturbos im Porsche 911 Turbo.

Technologische Speerspitze

Wie der Porsche spielt auch der Mercedes technologisch ganz vorne mit. Zum Beispiel profitiert sein Block, der in Affalterbach (D) bei Stuttgart von Hand zusammengebaut wird, von einer neuen aktiv belüfteten Ölwanne, deren Ein- und Auslassöffnungen für einen effizienteren Gasaustausch optimiert wurden. Die höhere Leistung des AMG GT 63 im Vergleich zum GT 55 resultiert aus dem höheren Ladedruck und der geänderten Motorsoftware. Das Fahrwerk wurde vom SL übernommen und besteht aus Verbundwerkstoffen aus Stahl, Magnesium und Aluminium, das teilweise geschmiedet wird. Und auch wenn Mercedes Verbundwerkstoffe aus Glas- und Kohlefasern einsetzt, ist der GT nicht wirklich leicht. Auch der GT leidet an Übergewicht, denn er bringt fast zwei Tonnen auf die Waage. Das ist auch auf die zahlreichen und leistungsstarken Fahrassistenzsysteme zurückzuführen. Trotzdem ist er für einen Sportwagen schwer. Zum Vergleich: Der 911 Turbo wiegt 300 Kilogramm weniger.

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Auch wenn der Mercedes-AMG GT nicht mit einem besonderen Innenraum glänzt, ist er gut verarbeitet und vor allem sehr geräumig, denn er bietet zwei zusätzliche Sitzplätze und vor allem einen Kofferraum mit 321 Litern Fassungsvermögen, das auf 675 Liter erweitert werden kann. Der V8 wird noch immer von Hand zusammengebaut. Die Materialien sind edel, aber die Gangwechsel erfolgen über einen Wahlhebel am Lenkstock und nicht mehr auf dem Mitteltunnel.

Glücklicherweise verfügt das Coupé über ein aktives Wankstabilisierungssystem, das die Bewegungen der Karosserie in Sekundenbruchteilen ausgleicht. Das reicht zwar nicht aus, um aus dem GT eine leichtfüssige Ballerina zu machen, aber das Auto knickt in den Kurven nie ein. Und die Lenkbarkeit in Haarnadelkurven wird durch die mitlenkenden Hinterräder optimiert. Der 4Matic+-Allrad ist bei allen Modellen serienmässig und sorgt für eine hervorragende Traktion. Mit seiner Lamellenkupplung kann er bis zu 50 Prozent des Drehmoments an die Vorderachse leiten, wenn dies notwendig ist. Aktiviert man das Ad-hoc-Fahrprofil, wird der GT aber auch zum reinen Hecktriebler. Sechs verschiedene Modi stehen zur Wahl: Slippery, Comfort, Sport, Sport+, Race und Individual. Jede dieser Stufen ermöglicht es, den Charakter des Motors, des Neungang-Automatikgetriebes, des Auspuffs, der Federung sowie den Grad der Lenkunterstützung, die Steuerung des Sperrdifferenzials, die Eingriffsschwelle des ESC und die Verteilung des Drehmoments zwischen Vorder- und Hinterachse einzustellen.

Ausgeklügeltes Spoilerwerk

Auch an der Aerodynamik wurde sorgfältig gearbeitet, was ebenfalls zum guten Fahrverhalten des Autos beiträgt. Der GT verfügt über einen Heckspoiler, der in fünf Positionen verstellbar ist. Unter dem vorderen Stossfänger kann der Spoiler um vier Zentimeter abgesenkt werden, um bei hohen Geschwindigkeiten mehr Abtrieb zu erzeugen. Der Achtzylindermotor beeindruckt durch seine Linearität. Von 2500 bis 7000 U/min katapultiert er das Biest vorwärts, ohne den Druck zu verringern. Das Nasskupplungsgetriebe (anstelle ­eines Drehmomentwandlers) schaltet nahtlos. Der Sound des V8-Motors fällt etwas gedämpfter aus als beim Vorgängermodell. Die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h dauerte bei den AR-Messungen mit 3.6 Sekunden etwas länger als vom Werk angegeben, die Höchstgeschwindigkeit beträgt 315 km/h.

An Bord sieht sich der Fahrer einem Bildschirm-Zweiteiler gegenüber, der aus einem 12.3-Zoll-Kombiinstrument und einem 11.9-Zoll-Infotainmentsystem besteht. Sein Aussehen kann nach Belieben angepasst werden, ebenso wie die Beleuchtung, die von einer Vielzahl unterschiedlicher Stimmungen profitiert. Es ist bedauerlich, dass Stuttgart das Armaturenbrett des GT nicht weiter individualisiert hat, denn der Innenraum ähnelt sehr dem eines normalen Mercedes.

Kein Schaltknauf

Ein weiterer negativer Punkt ist das Fehlen eines eigenen Schalthebels für das Getriebe. Wie bei den konventionellen Mercedes-Modellen befindet sich ein Wählhebel an der Lenksäule. Ein Fahrzeug dieser Art, bei dem das Fahrvergnügen im Vordergrund steht, hätte zweifellos einen Schalthebel auf dem Mitteltunnel verdient.

Ansonsten sind die Verarbeitung gut und die verwendeten Materialien schön, aber der Komfort der Sitze, die sehr hart sind – vor allem im Lendenwirbelbereich –, lässt zu wünschen übrig. Zum Glück ist das Raumangebot hervorragend. Der GT bietet nicht nur zwei zusätzliche Sitzplätze wie der 911, sondern auch eine Heckklappe und einen grossen Kofferraum mit 321 Litern Fassungsvermögen, das sich bei umgeklappten Rücksitzen auf 675 Liter erweitern lässt. Der GT wird in Sindelfingen in der Peripherie von Stuttgart hergestellt und kostet ab 178 100 Franken, für den V8 muss man mit mindestens 200 000 Franken rechnen. 

Testfazit

Und, schafft er es, seinen legendären Nachbarn zu überholen? Der Mercedes-AMG GT bietet im Vergleich mit dem Porsche zwar grosse Pluspunkte wie das Platzangebot. Aber das Gewicht des Sindelfinger Modells ist zu gross, als dass dieses in Sachen Dynamik mithalten könnte. Der AMG GT bietet also eine interessante Alternative, kommt aber nicht am Elfer vorbei.

Testergebnis 80/100

Antrieb 29/33

Der kraftvolle V8 bietet eine bewundernswerte Linearität von 2500 bis 7000 U/min, und sein Automatikgetriebe schaltet die Gänge schnell und reibungslos.

Fahrwerk 18/24

Obwohl das Fahrwerk ein hohes Gewicht bändigen muss, profitiert der GT von der ganzen Erfahrung der Mercedes-Entwickler.

Innenraum 17/22

Der Innenraum ist nicht spezifisch genug für dieses Modell, aber er ist dennoch gut verarbeitet und geräumig.

Sicherheit 11/14

Da der AMG GT in erster Linie ein Mercedes ist, ist er mehr als vollständig mit Fahrhilfen ausgestattet. Die Bremsen sind jedoch etwas schlechter als der Durchschnitt.

Budget 5/7

Für einen AMG GT mit V8-Motor muss man um die 200 000 Franken einkalkulieren. Auf der anderen Strassenseite in Zuffenhausen ist der Porsche Turbo allerdings noch teurer.

Fotos: Vesa Eskola, Text: Olivier Derard

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