Mercedes-AMG C 63 S E Performance - Leistung über alles

AR-Testeam | 30.11.2023

Kombi Der Mercedes-AMG C 63 S E-Performance hat 680 PS, aber nur vier Zylinder. Ist das genug, um den 
V8 vergessen zu machen?

Seit Ende der 1990er-Jahre ist AMG, bis dahin unabhängiger Tuner von Mercedes, die offizielle Sporttochter von Mercedes und inzwischen in die Gesamtfahrzeug- und Motorenentwicklung des Stuttgarter Konzerns eingebunden. Seitdem sind die sportliche Version der C-Klasse und der V8-Kompressormotor so untrennbar miteinander verbunden wie Yin und Yang. Jede Generation – zuerst mit der Modellbezeichnung 43, dann 55 und schliesslich 63 – wurde mit dem V8 ausgestattet. Fast 25 Jahre nach den Anfängen dieser Zusammenarbeit steht fest, dass AMG ohne die C-Klasse mit V8-Motor nie zu der Marke geworden wäre, die sie heute ist. Warum also den grossen Block aufgeben? Die Antwort auf diese Frage ist klar: Sportwagenhersteller werden nicht bevorzugt behandelt, sondern müssen in Sachen CO2-Emissionen ebenfalls aufholen, sonst drohen hohe Geldstrafen.

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Trotz des gigantischen Gewichts sind die Fahrleistungen sehr gut.

Deshalb verzichtet die neue AMG C-Klasse, jetzt 63 S E-Performance 4Matic+ genannt, auf ihre acht Zylinder und setzt auf eine verbrauchsärmere Lösung: einen Hybridantriebsstrang mit vier Zylindern und Elektromotor. Passt das? Ja und nein. Nein, weil es keinen Ersatz gibt für das Gefühl, einen grossen Hubraum zu fahren (dazu später mehr). Und ja, weil die von Mercedes präsentierte Lösung eher ein leistungsfähiger Hybrid als ein rasiermesserscharfes Ökosystem ist. Um die Kunden von dieser Lösung zu überzeugen, hat AMG die Leistung seines Familienkombis und der technisch gleich ausgestatteten Limousine auf ein bisher unerreichtes Niveau gehoben.

Starke Leistung

Der Zweiliter-Vierzylinder (Motorcode M139l, l für Longitudinalposition) unter der langen Fronthaube verfügt über einen Turbolader, der grösser ist als der des C 43. Dazu kommt eine kleine elektrische Maschine, die das Ansprechverhalten bei niedrigen Drehzahlen verbessert, wenn der Abgasdruck nicht ausreicht, um die Turbine anzutreiben. Der Verbrennungsmotor ist damit der aktuell stärkste serienmässige Vierzylinder der Welt. Er leistet 350 kW (476 PS) bei 6750 U/min und 545 Nm zwischen 2250 und 5000 U/min. Das ist mehr als der 450 PS starke Sechszylindermotor im aktuellen Audi RS4. Und natürlich ist das noch nicht alles, denn zu diesem Verbrennungsmotor kommt noch die elektrische Maschine an der Hinterachse hinzu, die ­eine Leistung von 150 kW (204 PS) und ein Drehmoment von 320 Nm liefert. Insgesamt entwickelt der Antriebsstrang eine Leistung von 500 kW (680 PS) und ein Drehmoment von 1020 Nm. Das sind 170 PS mehr als der vorherige AMG C 63 S der C-Klasse (W205) und vor allem auch 170 PS mehr als der aktuelle BMW M3 Competition, der mit ­einem Reihensechszylinder ausgestattet ist.

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Die Verarbeitung ist hervorragend, mit Ausnahme des Mitteltunnels, der mit billigem Plastik verkleidet ist. Das Platzangebot ist auf den Vorder- und Rücksitzen gut – aber im Kofferraum, in den die Batterien hineinragen, ist es schlecht.

Die elektrische Maschine der C-Klasse wird von einer kleinen Lithium-Ionen-Batterie mit einer Bruttokapazität von 6.1 kWh (netto 4.8 kWh) und einer Spannung von 400 Volt gespiesen. Der limitierende Faktor für die elektrische Leistung ist, dass die Akkus nur in der Spitze 150 kW liefern, und das nicht länger als zehn Sekunden. Nach Ablauf dieser Zeit sinkt die Leistung auf 70 kW. Das bedeutet, dass die 680 PS nicht länger als zehn Sekunden gehalten werden können. Nach Ablauf dieser Zeit hat der Mercedes nur noch gut 570 PS.

4Matic+ serienmässig

Die andere grosse Neuheit dieses C 63 ist sein Allradantrieb. Trotz ihrer Platzierung auf der Hinterachse kann die elektrische Maschine je nach Haftungsbedingungen auch Drehmoment an die Vorderachse schicken. Das Getriebe ist obligatorisch ein Automatikgetriebe mit neun Gängen. Der Elektromotor verfügt ebenfalls über ein Zweiganggetriebe. Dadurch kann der Mercedes von einem hohen Raddrehmoment beim Anfahren auf eine stabile Dauerleistung bei höheren Geschwindigkeiten umschalten. Der Übergang erfolgt durch einen elektrischen Aktuator, spätestens bei 140 km/h. Das ist die Geschwindigkeit, die der Höchstdrehzahl der elektrischen Maschine entspricht, die bei rund 13 500 U/min liegt.

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Panamericana-Kühlergrill, verbreiterte Spur, durchbrochene Motorhaube, breite Felgen und spezielle Logos unterscheiden den AMG von einer normalen C-Klasse.

Wie erwähnt, wurde der Hybridantrieb eher aus Leistungs- als aus Umweltgründen konzipiert. Der Hybridantrieb ist auf die schnelle Erzeugung und Aufnahme von Energie ausgelegt und nicht auf eine möglichst grosse Reichweite, die laut Hersteller übrigens nur 13 Kilometer beträgt – 17 Kilometer nach unseren eigenen Messungen. Der offizielle Benzinverbrauch wird mit 6.9 l/100 km angegeben, bei der Messungen auf der AR-Normrunde waren es 7.3 l/100 km. Der durchschnittliche CO2-Ausstoss nach WLTP-Norm liegt bei 156 g/km. Hier ist die Verbesserung gegenüber dem Modell der vorherigen Generation (10.5 l/100 km, 239 g/km) am deutlichsten. Der AMG-Kombi wuchs um 83 Millimeter in der Länge. Im Vergleich zur normalen C-Klasse ist sein Radstand um zehn Millimeter grösser und die vordere Spurweite 76 Millimeter breiter. Die Motorhaube, die in der Mitte durch einen Luftauslass durchbrochen ist, ist ebenfalls spezifisch. Vorne auf der Haube befindet sich ein AMG-Wappen anstelle des Mercedes-Sterns. Der auffälligste Unterschied ist jedoch der Panamericana-Kühlergrill mit vertikalen Lamellen – dieser mit Mercedes-Stern.

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Die Verarbeitung ist hervorragend, mit Ausnahme des Mitteltunnels, der mit billigem Plastik verkleidet ist. Das Platzangebot ist auf den Vorder- und Rücksitzen gut – aber im Kofferraum, in den die Batterien hineinragen, ist es schlecht.

Im Inneren des C 63 finden sich natürlich alle Elemente der neuen C-Klasse wieder, jedoch mit einem Hauch von Luxus und Sportlichkeit. So bieten das digitale Armaturenbrett und der zentrale vertikale Touchscreen spezielle Anzeigemodi und Informationen für diese sportliche Variante. Dasselbe gilt für das Doppelspeichenlenkrad. Es verfügt nicht nur über zwei Satelliten, mit denen sich die Fahrparameter schnell einstellen lassen, sondern auch über Schaltwippen aus Metall. Apropos schalten: Es ist schade, dass der Gangwahlhebel jetzt hinter dem Lenkrad angebracht ist und den Hebel auf dem Mitteltunnel abgelöst hat. Die Verarbeitung ist insgesamt hervorragend, die Materialien sind von guter Qualität. Besonders hervorzuheben sind die Karbon- und Metallverkleidungen. Schade ist jedoch, dass der Mitteltunnel mit einem einfachen, Klavierlack-besetzten Kunststoff verkleidet ist, der sich billig anfühlt. Das Raumangebot ist durchwachsen: auf den Vordersitzen und auf der Rückbank gut, im Kofferraum miserabel. Das Volumen des Kofferraums sinkt durch die Batterie auf 360 Liter unter der ausfahrbaren Klappe. Dies ist umso ärgerlicher, als der Boden des Kofferraums zu einer Treppe mit mehreren Stufen wird, was sehr unpraktisch ist.

Beeindruckende Fahrleistungen

Mit einem Gewicht von fast 200 Kilogramm belastet das Hybridsystem den Wagen, der so eine Masse von 2210 Kilogramm auf die Waage bringt. Auf der Strasse ist der Mercedes also nie eine Ballerina. Das ist besonders auf kleinen Bergstrassen zu spüren, wo die Serpentinen trotz der serienmässigen Hinterradlenkung nicht schnell genug befahren werden können. Die weichste Dämpfung erweist sich als zu lasch, um die Karosseriebewegungen einzudämmen. Dank der aktiven Federung gelingt es im Sportmodus jedoch auf beeindruckende Weise, das Auto wieder ruhig zu bekommen. Allerdings wird das Auto dann sehr hart, vor allem da die Schalensitze ebenfalls einen sehr trockenen Dämpfungskomfort haben.

Mit 680 PS ist die Leistung beeindruckend: von 0 auf 100 km/h in 3.6 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h, optional sogar 280 km/h. Dank der Elektromaschine, die von der ersten Radumdrehung an kräftig anschiebt, und der 400-Volt-Anlage, die die Reaktionszeit des Turbos eliminiert, ist die Beschleunigung des Autos ein Kinderspiel. Allerdings gibt es eine Einschränkung: Beim Beschleunigen von 80 auf 120 km/h spürt man die Latenzzeit des Zweiganggetriebes am Elektromotor. Dieser Verzögerungseffekt tritt meist bei 110 km/h auf. Ansonsten ist die Traktion, die durch das elektronisch gesteuerte Sperrdifferenzial und den Allradantrieb unterstützt wird, bemerkenswert. Die Leistungsverteilung ist je nach Fahrprofil sehr unterschiedlich. Eine besondere Erwähnung verdient der Drift-Modus, bei dem die Vorderachse vollständig abgekoppelt wird.

Seit dem Aufkommen von Elektrofahrzeugen und ihrer Fähigkeit, alles auf dem Weg von 0 bis 100 km/h in Grund und Boden zu fahren, sind Leistung und Performance nicht mehr die einzigen Punkte, über die Käufer nachdenken. Bei Mercedes ist eines der Kundenkriterien der charakteristische Klang des V8-Motors, der wesentlich attraktiver ist als die falschen Vokale eines Vierzylinders, die aus den Lautsprechern im Innenraum ertönen. Das ist unter anderem der Grund, warum der Kombi nur schwer zu überzeugen vermag. Oder liegt es am logischerweise sehr hohen Preis der Technologie, immerhin 145 100 Franken für die Grundausstattung? Das sind 15 000 Franken mehr, als ein M3 Competition Touring kostet – mit weniger Leistung, aber einem edlen Motor.

Testergebnis

Gesamtnote 78.0/100

Antrieb

Der Antriebsstrang glänzt mit Leistung und Effizienz. Leider gelingt es ihm nicht, so viel Gefühl wie ein V8 zu vermitteln.

Fahrwerk

Mit einem Gewicht von über 2.2 Tonnen hat das Fahrwerk alle Hände voll zu tun, um die Wankbewegungen einzudämmen. Letztlich gelingt das mit Bravour, denn die Fahrprogramme decken eine grosse Bandbreite zwischen Komfort und Sportlichkeit ab.

Innenraum

Die Verarbeitung ist insgesamt gut, das Infotainmentsystem auf dem neusten Stand und intuitiv bedienbar. Das Platzangebot ist vorne und hinten gut, im Kofferraum jedoch wegen der Batterien miserabel.

Sicherheit

Der Mercedes ist bei den Assistenzsystemen auf dem neusten Stand, aber aufgrund seines Gewichts kann er keine erstklassigen Bremsen bieten, auch wenn sie trotz allem überdurchschnittlich gut sind.

Budget

Mit 173 101 Franken für die hier getestete Version ist der Mercedes deutlich teurer als seine Rivalen, die zwar weniger Leistung, dafür aber mehr Zylinder haben.

Fazit

Die AMG C-Klasse hat ihr Alleinstellungsmerkmal aufgegeben, um die Umweltstandards zu erfüllen. Zusätzliche Leistung und ausgefeilte Technik können die hervorragenden V8-Motoren nicht vergessen ­machen.

Fotos: Vesa Eskola, Texte: Olivier Derard

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