Honda-e:Ny1 - Der elektrische Zwilling

AR-Testteam | 07.12.2023

Elektro-SUV Der Honda e:Ny1 ist dem Hybridmodell HR-V ­optisch sehr ähnlich, ­unterscheidet sich von ihm aber nicht nur durch Details, sondern vor ­allem durch die neue technische Plattform.

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Optisch dem HR-V sehr ähnlich, unterscheidet sich der e:Ny1 von ihm jedoch in Details, etwa der geschlossenen Frontpartie und den speziellen Rückleuchten.

Honda ist nicht gerade als Vorreiter im Bereich der Elektrifizierung bekannt. Bisher hat sich das japanische Unternehmen vor allem auf Hybridfahrzeuge konzentriert. Frühzeitig setzte man auch auf Brennstoffzellentechnik, die sich aber in Form des FCX Clarity nur mässig verkaufte (weltweit 1900 Fahrzeuge). Das bislang einzige batterieelektrische Modell, der Kleinwagen Honda e, wurde vor wenigen Tagen in Europa aus dem Programm genommen. Trotzdem setzt Honda inzwischen verstärkt auf BEV. Das Unternehmen hat angekündigt, bis 2030 etwa 30 neue batteriebetriebene Elektromodelle auf den Markt bringen zu wollen. Das erste Modell dieser neuen Offensive: ein SUV im C-Segment. Es hört auf den Namen e:Ny1, was gemäss Honda-Marketing Anyone ausgesprochen wird.

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Optisch dem HR-V sehr ähnlich, unterscheidet sich der e:Ny1 von ihm jedoch in Details, etwa der geschlossenen Frontpartie und den speziellen Rückleuchten.

Optisch ähnelt der e:Ny1 dem Hybrid-SUV HR-V, unterscheidet sich aber durch die geschlossene Frontpartie und einige besondere Details wie das weisse H-Zeichen auf der Front, das zum neuen Symbol für Hondas Elektrifizierung wird. Unterschiede gibt es auch bei Seitenwänden, Scheinwerfern und der neuen Schriftart für den Markennamen am Heck. Der e:Ny1 ist auch etwas grösser, da er fünf Zentimeter länger und fast acht Zentimeter breiter ist als das Hybridpendant. Er ist 4387 Millimeter lang und 1790 Millimeter breit bei ­einer Höhe von 1584 Millimetern. Diese Unterschiede sind darauf zurückzuführen, dass der e:Ny1 auf der neuen Plattform e N Architecture F basiert, die ausschliesslich für Elektrofahrzeuge bestimmt ist.

Schwache Ladeleistung

Prinzipiell kann dieses Chassis bis zu zwei Elek­tromotoren aufnehmen, im e:Ny1 ist aber nur ­einer installiert. Er ist an der Vorderachse positioniert, hat eine Leistung von 150 kW (204 PS) und ein maximales Drehmoment von 310 Nm. Er wird von ­einer von Catl hergestellten Lithium-Ionen-Batterie mit Nickel-Mangan-Kobalt-Chemie und einer Bruttokapazität von 68.8 kWh angetrieben, was für diese Klasse ein mehr als respektabler Wert ist. Nicht berauschend ist allerdings die Ladeleistung: Die Batterie kann mit einer maximalen Leistung von 78 kW aufgeladen werden, wenn der Stecker des Autos mit einer Schnellladestation (Gleichstrom) verbunden ist. Das ist deutlich weniger als bei den meisten Konkurrenten, allen voran dem Smart #1, der eine Ladeleistung von 150 kW bietet. Das Honda-SUV muss also eine Dreiviertelstunde an der Ladestation bleiben, wenn seine Akkus den Grossteil ihrer Speicherkapazität (10 bis 80 %) nutzen sollen.

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Optisch dem HR-V sehr ähnlich, unterscheidet sich der e:Ny1 von ihm jedoch in Details, etwa der geschlossenen Frontpartie und den speziellen Rückleuchten.

Apropos Steckdose: Die Ladeklappe an der Vorderseite des Fahrzeugs ist sehr gross, da sie zwei verschiedene Arten von Steckern aufnehmen kann (je nach Markt). Für Europa wurde der Combo-Stecker (CCS) gewählt. Eine gute Sache ist, dass ein Leuchtstreifen, der sich über die gesamte Breite des Ladeanschlusses erstreckt, auf einen Blick den Status des Ladevorgangs anzeigt. Ausserdem blinkt der horizontale Streifen unter der Motorhaube während des Ladevorgangs links und rechts. Leuchtet das Licht permanent, ist der Akku vollständig aufgeladen. Wird ein Ladefehler festgestellt, blinkt ein rotes Licht. Das ist sehr praktisch.

Hoher Verbrauch

Im Test – mitten im Winter – verbrauchte der e:Ny1 auf der AR-Normrunde 24.2 kWh/100 km, das ist deutlich mehr als der WLTP-Verbrauch von 18.2 kWh/100. Auch im Vergleich zu den Konkurrenten ist dies ein besonders hoher Wert. Bei diesem Verbrauch und einer Nettokapazität der Batterie von 61.8 kWh ergibt sich eine Reichweite von 284 Kilometern (412 km nach WLTP-Zyklus). Das ist nicht gerade ein Spitzenergebnis, aber wir wissen ja, dass winterliche Temperaturen den Verbrauch in die Höhe treiben.

Wie das Modell Honda e und der Civic bewiesen haben, verfügt Honda über echtes Know-how bei der Entwicklung von Fahrwerk und Antrieb. Lässt sich das auch vom e:Ny1 sagen? Die Antwort fällt unentschieden aus. Bei der Traktion hat das SUV mehr als zu kämpfen. Bei jeder schnellen Beschleunigung verliert eines der beiden Antriebsräder die Haftung. Eine bessere Arbeit am Vorderachsdifferenzial wäre wünschenswert gewesen. Oder liegt es vielleicht an den Michelin Pilot Alpin 5, die bei diesen kalten Temperaturen Schwierigkeiten haben, die Kraft auf den Asphalt zu übertragen? Die Traktionskontrolle braucht eine Ewigkeit, um in Aktion zu treten. Und der Fahrer bedauert, dass es keinen Allradantrieb gibt.

Erstklassige Leistung

Glücklicherweise ist die Leistung des Fahrzeugs dennoch gut. Mit einer Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 7.7 Sekunden steht der Honda gut da. Die Höchstgeschwindigkeit ist auf 160 km/h begrenzt. Was das Fahrwerk betrifft, so profitiert das SUV von seinem geringen Gewicht von 1695 Kilogramm und bietet eine gute Fahrdynamik, obwohl es in Kurven mehr oder weniger stark wankt, da es keine adaptive Federung gibt. Insgesamt bietet das SUV jedoch einen guten Kompromiss zwischen Sportlichkeit und Komfort. Die Bremsen sind gut, die Rekuperation kann über Schaltwippen am Lenkrad reguliert werden. Es ist jedoch bedauerlich, dass der Honda es nicht erlaubt, die stärkste Einstellung des regenerativen Bremsens länger als ein paar Sekunden zu halten, wenn der Normalmodus eingeschaltet ist. Das zwingt Freunde des One-Pedal-Drivings dazu, die Funktion immer wieder neu zu aktivieren.

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Das Herzstück des Innenraums ist der riesige, zentrale 15.1-Zoll-Touchscreen, der im Hochformat angeordnet ist. Er bietet eine neue, exklusiv für dieses Modell entwickelte zonenbasierte Bedienung. Diese teilt den Bildschirm in drei verschiedene Bereiche auf: einen für die Navigation, einen für das Entertainment und einen für die Klimaanlage. Das ist zwar recht praktisch und schnell zu bedienen, aber andererseits überladen, weil zu viele Informationen angezeigt werden. Das 10.25-Zoll-Kombiinstrument ist deutlich schlichter und besser ablesbar und zeigt alle Informationen an, die der Fahrer benötigt, um sich entspannt auf die Strasse zu begeben – den Ladestand der Batterie in Prozent zum Beispiel oder die verbleibende Reichweite. Im Allgemeinen ist die Qualität des Innenraums nicht so gut, wie man es von Honda in der Vergangenheit gewohnt war. Im oberen Teil des Armaturenbretts werden harte Kunststoffe verwendet. Die Verarbeitung könnte besser sein, da einige Kunststoffe nicht bündig mit den Teilen abschliessen, die sie umrahmen (dies ist insbesondere um das Kombiinstrument herum der Fall). Ausserdem ist der Mitteltunnel mit einem Klavierlack überzogen, der ein wenig billig aussieht.

Keine Magic Seats

Während die Sitzposition auf den Vordersitzen nicht ideal ist, haben die Passagiere auf den Rücksitzen viel Platz. Sie geniessen nicht nur eine gute Kniefreiheit, sondern können auch ihre Füsse unter die Vordersitze schieben. Der mittlere Sitzplatz ist jedoch unnötig hoch. Die Modularität ist nicht so gut wie beim HR-V. Im Gegensatz zum HR-V profitiert der e:Ny1 nicht von Magic Seats, die sich wie Kinositze hochklappen lassen, damit auch sperrige Gegenstände transportiert werden können. Dennoch bleibt das SUV mit einem Kofferraumvolumen von 344 Litern praktisch. Wenn die Rückbank umgeklappt wird, vergrössert sich das Ladevolumen bei völlig ebener Fläche auf 1136 Liter. Vorne hingegen ist von ­einem Frunk, also ­einem zweiten kleinen Kofferraum, keine Spur.

Was die Assistenzsysteme betrifft, ist der e:Ny1 mit den neuesten Technologien ausgestattet, einschliesslich des obligaten Geschwindigkeitswarners, der hier dreimal piepst, wenn das erkannte Tempolimit überschritten wird. Glücklicherweise ist dieses System im Honda nicht allzu laut eingestellt. Der e:Ny1 wird in China zusammengebaut, und Honda macht es den Kunden leicht, das Bestellformular auszufüllen. Denn die Auswahl ist auf ein Minimum reduziert: ein Antriebsstrang, zwei Ausstattungsvarianten (Elegance und Ad­vance), fünf Aussenfarben. Der Preis beginnt bei 45 990 Franken. 

Testergebnis

Gesamtnote 75.0/100


Antrieb

Der Antriebsstrang funktioniert gut. Schade, dass er so viel verbraucht (ein ziemlicher Makel) und dass die höchste Stufe des regenerativen Bremsens jedes Mal manuell neu aktiviert werden muss.

Fahrwerk

Das Fahrwerk profitiert vom geringen Gewicht des Autos. Allerdings hat es Schwierigkeiten, die 150 kW Leistung auf den Boden zu bringen. Ein Allradantrieb wäre daher wünschenswert.

Innenraum

Das Infotainmentdisplay ist überladen, die Verarbeitung ist verbesserungswürdig, und die Modularität ist nicht so gut wie im HR-V. Ansonsten gibt es aber keine grossen Mängel zu vermelden.

Sicherheit

Das Auto bremst ordentlich, und es gibt etliche Fahrhilfen. Dieses Kapitel gehört klar zu den grössten Stärken des Hondas.

Budget

Der Honda startet bei knapp über 45 000 Franken und ist serienmässig sehr gut ausgestattet. So schnellt sein Preis nie in die Höhe.

Fazit

Mit dem e:Ny1 wagt Honda ein zweites Mal den Sprung ins kalte Wasser der Elektroautos, das mittlerweile ein Haifischbecken ist. Das Auto hat zwar gute Chancen, ein Erfolg zu werden, aber einige Mängel müssten dennoch so schnell wie möglich behoben werden: die schlechte Traktion, der zu hohe Verbrauch und der nicht erhältliche Allradantrieb.

Fotos: Vesa Eskola, Text: Olivier Derard

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