Elektrorakete Mit dem #3 folgt der zweite Streich der völlig neu erfundenen Automarke Smart. Als Version Brabus bietet er Sportwagenfahrleistungen zum Kampfpreis.
Der Smart ein Schnäppchen? Das ist ja mal ganz was Neues, werden viele Leser nicht ganz zu Unrecht denken. Schliesslich war er von Anfang eher Lifestyle- und Marketingprodukt als Budgetauto, ganz besonders in den Brabus-Varianten. Dabei hatte der Urvater des Urmodells, Swatch-Gründer Nicolas Hayek, ganz andere Vorstellungen. Ein verbrauchsarmes, am liebsten sogar elektrisch angetriebenes und preiswertes Auto für die Stadt hätte es werden sollen. Eine citytaugliche Grösse hatte der Smart dann zwar schon, aber die übrigen Hayek-Visionen wurden nicht Wirklichkeit, weshalb der Schweizer Unternehmer sich noch vor der Lancierung des ersten Smart Fortwo im Jahr 1998 aus der gemeinsam mit Daimler-Benz gegründeten Micro Compact Car Smart GmbH zurückzog.
Heute entsprechen die Modelle von Smart zumindest in einem Punkt Hayeks Vorstellungen: Sie sind ausnahmslos vollelektrisch. Die Marke gehört zu je 50 Prozent Mercedes-Benz und dem chinesischen Gigakonzern Geely (ja, das sind die, die auch Volvo besitzen). Aktuell hat Smart zwei Produkte in der Palette: Den #1 (also Hashtag One) und den auf diesem aufbauenden #3 (Hashtag Three). Den ersten «Häschtäg» testeten wir für die AR 16/2023, nun konnten wir den etwas flacheren Neuankömmling ebenfalls unter die Lupe nehmen. Und zwar die Version Brabus zum Preis ab 48 980 Franken.
Viel Leistung fürs Geld – und viel Platz
Moment mal! War da nicht von einem Schnäppchen die Rede? 50 Riesen für einen Smart? Sind die meschugge? Nicht ganz. Denn für dieses Geld gibt es einiges an Leistung und Ausstattung. Zwei permanenterregte Synchronmaschinen werden mit insgesamt 315 kW (428 PS) auf beide Achsen losgelassen, und die Optionenliste sieht nur einen einzigen Entscheidungspunkt vor, nämlich die Wahl der Aussenfarbe (ohne Aufpreis). Alles andere ist ebenfalls serienmässig an Bord (ziemlich viel) oder halt einfach nicht verfügbar (ziemlich wenig).
Auch optisch macht der #3 einiges her, sieht mit seiner leicht geduckten Silhouette und dem abfallenden Dach gelungener aus als der in unseren Augen etwas klobige #1. Das dezente Brabus-Bodykit unterstreicht die sportliche Linienführung, mit etwas Fantasie erkennt man von der Seite ein bisschen die Mercedes-Benz GLA-Klasse. Der Smart ist sogar etwa gleich lang (rund 4.40 m) und breit (1.80 m) und auch ähnlich hoch (1.56 m). Als Hauptkonkurrent im zur Hälfte eigenen Haus gilt aber eher der EQA, der schliesslich wie der Smart #3 vollelektrisch ist.
Eingefleischte Mercedes-Fans werden jetzt vielleicht die Stirn runzeln, ein Smart war nie eine veritable Konkurrenz für einen Benz – höchstens eine Ergänzung nach unten. Im #3 schimmert nun nicht nur grössenmässig viel Mercedes durch. Die verbauten Materialien und auch die Verarbeitung stehen dem deutschen Vorbild (der Smart wird in China hergestellt) in wenig bis nichts nach. Zwar wirken die grossflächig silberlackierten Flächen auf Armaturenbrett und Mittelkonsole etwas effekthascherisch, aber am Finish gibt es nicht viel zu mäkeln. Nichts wackelt, nichts klappert.
Das Raumgefühl ist überraschend luftig, sowohl vorne wie hinten. Nach Kompakt-SUV fühlt sich das nicht an, eher nach einer Klasse höher. Der #3 ist im Gegensatz zu GLA respektive EQA von Anfang als reiner Stromer entwickelt worden, das merkt man auch seinem Innenraum an. Wer zu viert unterwegs ist, wähnt sich vom Platzangebot her in einem Modell der oberen Mittelklasse. Nicht unbedingt beim Kofferraum, der mit 370 Litern Volumen eher durchschnittlich daherkommt, wenn nicht sogar etwas darunter. Immerhin gibt es vorne noch einen Frunk für Ladekabel und dergleichen. Fürs Gepäck hat es im Verhältnis aber auf jeden Fall weniger Platz als für die Passagiere. Weniger begeisternd ist dabei jedoch die Sitzposition für Grossgewachsene hinten, obwohl sie nirgends anstossen, weder vorne noch oben. Aber erstens sitzt man mit angewinkelten Knien, und zweitens lassen sich die Kopfstützen nicht verstellen. Das kann unkomfortabel werden.
Der beste Platz ist der am Lenkrad
Die Vordersitze überzeugen derweil mit einer gelungenen Mischung aus Sportlichkeit und Komfort. Zwar wirken hier die Kopfstützen ebenfalls als Störfaktor, aber mehr optisch. Sie wirken arg aufgesetzt, sehen aber unbequemer aus als sie sind. Die Sitzflächen selbst stützen Popo und Rücken auf jeden Fall gut, und wer etwas rassig in die Kurve fährt, freut sich über zufriedenstellenden Seitenhalt und den rutschhemmenden Alcantarabezug. Beides kann man auch ziemlich gut brauchen, denn der Smart #3 als Brabus-Variante entpuppte sich beim Test tatsächlich als kleine Fahrspassmaschine. Fahrwerk und Lenkung sind knackig ausgelegt und laden regelrecht zum Kurvenräubern ein. Da sind sowohl beim Hinein-, Durch- und Hinausfahren Tempi möglich, die selbst manchen Sportwagen alt aussehen lassen. Nicht nur solche im vergleichbaren Preisbereich.
Mittelklassesportler gucken dann spätestens bei der Längsbeschleunigung in die Röhre. 3.7 Sekunden von 0 auf 100 km/h gibt Smart als Sprintwert an, auf der Messstrecke schaffte er es in 4.2 Sekunden. Für maximalen Spurtspass muss unter den verschiedenen Fahrmodi der etwas versteckte Raketenstart (der heisst wirklich so!) aktiviert werden. Der Durchzug ist im Fahrmodus Brabus am beeindruckendsten. Ganz und gar nicht imponierend sind hingegen die Bremsen, bei der Messung brauchte der Chinese über 47 Meter aus 100 km/h bis zum Stillstand. Das ist noch schlimmer als die nervigen Assistenten.
Typisch chinesische Bevormundung
Der Grossteil aller Einstellungen – Fahrmodi, Radio oder auch Assistenzfunktionen – wird über den zentralen Touchscreen bedient. Die Assistenten funktionieren eigentlich gut, aber wie so oft bei Modellen, die in China gebaut werden, übertreiben sie es zuweilen. Warum zum Beispiel die Geschwindigkeitswarnung direkt mit der automatischen Geschwindigkeitsanpassung verbunden ist und sich als Ganzes nach jedem Neustart wieder aktiviert, ist weder rational noch gesetzlich nachvollziehbar – vorgeschrieben ist es nur bei der Warnung. So bremst der hier gar nicht so smarte Smart eben grundsätzlich von sich aus ab, wenn er irgendwo eine 60er-Tafel erkennt. Ganz unabhängig davon, ob die Tafel denn für die gerade befahrene Strasse (eine Autostrasse) oder die daneben gilt (eine Vorortstrasse). Und dass der Abstandstempomat nur bis 130 km/h funktioniert, mag in der Schweiz sinnvoll sein, könnte die Ausfahrt nach Deutschland aber vermiesen (der #3 schafft immerhin 180 km/h Spitze). Wobei die netto 62 kWh kleine Batterie bei solchen Geschwindigkeiten natürlich ratzfatz leer ist. So empfiehlt sich der #3 vielleicht doch besser als urbaner Raketensportler im Rahmen der Verkehrsregeln.
Testergebnis 78/100
Antrieb 21/25
Weit über 400 PS sind bei Elektroautos keine Ausnahme mehr, in dieser Fahrzeuggrösse allerdings schon. Wer (meistens) normal fährt, schafft auch Strecken über 300 Kilometer ohne Ladestopp.
Fahrwerk 17/20
Das haben die China-Schwaben wirklich gut hinbekommen. Der #3 liegt sehr gut auf der Strasse, lenkt willig ein und durchpflügt Kurven wie auf Schienen. Für Insider: Der ebenso dynamische Volvo EX30 ist Technikbruder.
Innenraum 12/15
Viel Platz, gute Verarbeitung, angenehme Sitzposition vorne, weniger angenehme hinten. Kofferraum genügend. Aber es gibt einen Frunk.
Sicherheit 7/15
Eine Zwitternote: Eigentlich viele Assistenten mit meist verlässlicher Funktion. Aber oft völlig übertrieben. Und die Bremsen sind schwach.
Budget 21/25
Die Sternstunde des Smart #3. Für dieses Geld gibt es (ausser dem Volvo EX30) nichts Vergleichbares auf dem Schweizer Markt. Und die Ausstattung ist immer komplett, zahlungspflichtige Optionen: null.
Fotos: Vesa Eskola, Text: Simon Tottoli